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09.11.18 / Kritische Analyse über 50 Jahre Umerziehung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-18 vom 09. November 2018

Kritische Analyse über 50 Jahre Umerziehung
D. Jestrzemski

Anlässlich der 50 Jahre zurückliegenden Studentenrevolte von 1968 rückt 2018 das übernationale Phänomen „68“ in den medialen Fokus. Im Reigen des öffentlichen Gedenkens dominiert das vorherrschende Deutungsmuster, gemäß dem mit den Kampagnen der Studenten eine längst überfällige Liberalisierung der Bundesrepublik ausgelöst worden sei. Die Standardmeinung lautet, dass sich unsere Zivilgesellschaft ohne diese Impulse nicht entwickelt hätte und man den Akteuren schon deshalb Respekt schulde. 

Ein Buchautor wie Josef Kraus (geb. 1949), der sich überaus kritisch mit dem Erbe von „68“ auseinandersetzt und selbst das Attribut „ambivalent“ zu milde findet, kommt daher mit seiner Streitschrift „50 Jahre Umerziehung. Die 68er und ihre Hinterlassenschaften“ bei den Kritikern der Massenmedien nicht zum Zuge. Allenfalls wird die messerscharfe Analyse des Publizisten, Diplom-Psychologen und Bildungsexperten in diesen Medien mit einem Fragezeichen hinter dem Haupttitel als einsamer Kontrapunkt zur Diskussion gestellt, beleuchtet sie doch die Merkmale und das Werden unserer gelenkten Demokratie – Kraus liebäugelt sogar mit dem Schlagwort „Demokratur“. 

Der Autor war viele Jahre ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbands und ist auch Verfasser von Bestsellern wie „Helikopter-Eltern“ und „Der Pisa-Schwindel“. 2018 wurde er mit dem Sprachpreis der Henning-Kaufmann-Stiftung ausgezeichnet. Eine sprachliche Glanzleistung ist auch sein leserfreundlich geschriebenes, gleichwohl entlang wissenschaftlichen Kriterien argumentierendes Buch. 

Kraus hat das Konglomerat der „ideologischen und realen Hinterlassenschaften“ der 68er und ihrer Epigonen in Gesellschaft, Politik und Kirche aufgedröselt. Getragen von einer links orientierten Meinungsindustrie haben sich über den Marsch durch die Institutionen Gefälligkeitssysteme herausgebildet, lautet sein Befund. 

So präsentieren sich heute Politiker, Kirchenleute und Massenmedien in merkwürdigem Gleichklang. Bei der „Normierung, Kanonisierung und Monopolisierung der Moral“, sprich der „Political Correctness“, wirke die Bertelsmann-Methode des „nudge“ (deutsch: Anstoßen, Anstupsen). Damit werde die Umerziehung des  Individuums am Laufen gehalten mit dem Ziel und Zweck der Entmündigung durch Selbstzensur. Ob es sich dabei um einen deutschen Sonderweg handelt, sei allerdings dahin gestellt. In der Asylkrise offenbarte sich dann die Kehrseite der „Humanität“ des Meinungskartells aus Politikern und Journalisten. Zum Vorschein kam die Bereitschaft zu einer beinharten Bekämpfung Andersdenkender. Seither werden Meinungsdissidenten noch stärker ausgegrenzt und öffentlich beschimpft. 

Ausführlich behandelt der Autor die Ursachen für die stetig gesunkenen Schulleistungen. Diese seien traurige Folge des pädagogischen Egalisierungs- und Machbarkeitswahns linker Ideologen. Auf eine Abwehrhaltung dürften vieler-orts auch seine Leitgedanken zur ambivalenten Haltung der Linken zum Islam stoßen. 

Allgemein wird die gesellschaftliche Evolution seit 1968 als linke Bewegung definiert. Ansatzweise diskutiert Kraus die Frage, inwiefern die  Begrifflichkeiten „rechts“ und „links“ noch wie bisher anwendbar seien, da doch die „Political Correctness“ auch Politikern lieb und teuer sei, die mitnichten „linke“ Positionen vertreten. Entgrenzung, ein wesentliches Merkmal von „68“, sei eigentlich ein genuin linkes Prinzip, betont er. Auch im Hinblick auf die neue territoriale Entgrenzung, die von Spitzenmanagern freudig begrüßt wird, hat die alte Rechts-Links-Achse wohl ausgedient. Und aus der Entgrenzung zwischen Privatem und Öffentlichem schlagen die Tech-Konzerne bekanntlich milliardenschwere Vorteile. Darauf wird im Kapitel „Linke und ‚Kapitalisten‘ Hand in Hand“ ein Blick geworfen. Der Kapitalismus, urteilt Kraus, entwurzele Menschen, indem er auf dasjenige setze, was der Familie schade, nämlich auf Ungebundenheit und Gewinnmaximierung. Sein Resümee lautet, dass die fragwürdige Bilanz der 68er und ihrer Vollender sich wesentlich dem Versagen des Bürgerlichen verdankt. Unbedingt lesenswert! 

Josef Kraus: „50 Jahre Umerziehung. Die 68er und ihre Hinterlassenschaften. Sechste Ausgabe der Werk-reihe TUMULT“, Hg. von Frank Böckelmann, Manu-skriptum Verlagsbuchhandlung, Lüdinghausen/Berlin 2018, broschiert, 189 Seiten, 19,90 Euro