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09.11.18 / Umfangreiche Dissertation zur Geschichte in Bildern am Beispiel des Memellands

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-18 vom 09. November 2018

Umfangreiche Dissertation zur Geschichte in Bildern am Beispiel des Memellands
Dirk Klose

Kein Thema ist so abwegig, keine Ecke zu winzig oder abgelegen, als dass eine neugierige Wissenschaft sie nicht aufspürt und einer staunenden Öffentlichkeit mitteilt. Da hat sich die deutsch-litauische Historikerin Eva Pluharova-Grigiene in ihrer 2013 von der Universität Leipzig angenommenen Dissertation der Fotografieforschung verschrieben und als Thema das Memelgebiet in Fotografien und Abbildungen in den 100 Jahren seit 1889 gewählt. Herausgekommen ist eine deutsch-litauische Kulturgeschichte, die Trennendes und Gemeinsames zwischen beiden Völkern zeigt und die Einzigartigkeit von Menschen und Landschaft in diesem einst nordöstlichsten Vorposten Deutschlands in Erinnerung ruft.

Die Region hatte unterschiedliche Bezeichnungen: Memelgebiet,  Memelland, nordöstliches Ostpreußen, Preußisch-Litauen oder Kleinlitauen – all das waren und sind bis heute gängige Bezeichnungen. Gemeint ist das Land beiderseits der Memel von der einst deutsch-russischen Grenze über Tilsit bis zur Stadt Memel an der Ostsee. Die Autorin hat in enormer Fleißarbeit seltene Quellen in litauischen Archiven, in Königsberg und in der Bundesrepublik durchgesehen und in einer Auswahl die unterschiedlichen nationalen Interessen an Hand der Fotografien deutlich gemacht.

Kein Bild ohne Absicht, das gilt für die Malerei, aber auch für die Fotografie. Die Ergebnisse dieses Buches lassen sich, sehr vereinfacht, so zusammenfassen, dass sich das politische Interesse am Land stets auch im Bild spiegelte. Vor 1914 dominierte die deutsche Fotografie, die die Schönheit der Landschaft hervorhob, vor allem die Kurische Nehrung, die „preußische Sandwüste“, und die litauische Bevölkerung wohlwollend, aber auch herablassend sah. In der Zwischenkriegszeit und besonders nach 1923, als der neue Staat Litauen den Landstrich okkupierte, dominierte auf beiden Seiten die Reklamierung der Region als deutsch beziehungsweise litauisch. Die NS-Zeit stilisierte Landschaft und Menschen zu Ikonen ihrer Blut-und-Boden-Ideologie. 

Nach 1945 änderte sich das Bild in wahrsten Sinne des Wortes: Unter den Sowjets dominierte der sozialistische Aufbau, Fabriken, Werften und Arbeiter ersetzten Nehrung und Fluss. In der Bundesrepublik beschworen die Vertriebenen in der Landsmannschaft Ostpreußen in Publikationen mit traditionellen Bildmotiven die verlorene Heimat. Das Gleiche taten die vor allem in den USA und in Kanada lebende kleinlitauische Emigranten. Die Autorin beendet ihr umfangreiches Opus mit dem Jahr 1991, also dem Ende der Sowjetunion. Heute, so kann man annehmen, sind die nationalen Differenzen so gut wie verschwunden, die gemeinsame Arbeit von Deutschen und Litauern gilt der Bewahrung dieser Landschaft. 

Wie Ostpreußen insgesamt, so ist auch dieser Landstrich eine Wehmutsregion der Deutschen. Die Autorin ist dieser Versuchung zum Glück nicht erlegen, sondern beschreibt nüchtern ihr ausgewertetes Material, das sie, für eine Dissertation wohl unumgänglich, einbettet in die wissenschaftstheoretischen Diskussionen ihrer Disziplin. Dem Buch sind 25 Farbtafeln und 235 Fotografien in Schwarz-Weiß beigegeben, angefangen von Bildern aus dem deutschen Kaiserreich über die 1920er und 1930er Jahre bis in die Zeit nach 1945. Das anfangs harte Sowjetregime lockerte sich ab den 1960er Jahren etwas, sodass auch die Fotografie über die platte Abbildung des sozialistischen Alltags hinauskam. 

Es lag wohl am Bildmaterial, dass die Autorin den deutsch-litauischen Gegensatz so sehr herausstellte. Vielleicht hätte man auch den Aspekt der Gemeinsamkeit betonen können. Im Buch selbst wird mehrfach der aus der Region stammende Dichter Johannes Bobrowski erwähnt, der sich ja zeitlebens allen hier lebenden Menschen gleichermaßen verpflichtet sah. Zweitgutachterin dieser Dissertation war übrigens Ruth Leiserowitz, die in den vergangenen Jahren selbst mehrere sensible Bücher zum Thema Deutsche und Litauer vorgelegt hat. 

Gleichwohl, eine bedeutende Arbeit. Das Buch ist wegen der vielen Bilder auf Hochglanzpapier gedruckt, was den Preis trotz Förderer zwangsläufig nach oben getrieben hat. Er steht wohl einer größeren Verbreitung im Wege, aber Bibliotheken und städtische Büchereien sollten sich dieses unglaublich schöne Stück Ostpreußen nicht entgehen lassen. 

Eva Pluharova-Grigiene: „Die Migration der Bilder. Das Memelgebiet in fotografisch illustrierten Büchern (1889–1991)“, Böhlau Verlag, Köln Weimar Wien 2017, 500 Seiten, 60 Euro