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16.11.18 / Einst der Verwaltungssitz der Wolgadeutschen / In Russland heißt eine ganze Stadt nach Marx – Anders als in Trier wird im Jubiläumsjahr dort nicht an ihn erinnert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-18 vom 16. November 2018

Einst der Verwaltungssitz der Wolgadeutschen
In Russland heißt eine ganze Stadt nach Marx – Anders als in Trier wird im Jubiläumsjahr dort nicht an ihn erinnert
Bodo Bost

Während Trier Karl Marx mithilfe der Volksrepublik China seinem großen Sohn eine kolossale Gedenkstatue zu seinem 200. Geburtstag geschenkt hat, hat man in der einzigen Stadt in Russland, die noch seinen Namen trägt, offenbar ganz vergessen, seinen Geburtstag zu feiern. 

Marx, die einstige Metropole der Wolgadeutschen, wurde 1765 als wolgadeutsche Weberkolonie durch den holländischen Baron Ferdinand Baron Caneau de Beauregard als „Baronsk“ auf dem linken Wolga-Ufer gegründet. Die deutsche Bezeichnung zu Ehren der russischen Kaiserin Katharina II. „Jekaterinenstadt“ beziehungsweise „Katharinenstadt“ erhielt sie erst ab 1768.

1919, nach der Oktoberrevolution, an der sich kaum ein Wolgadeutscher beteiligt hatte, aber dafür umso mehr Kommunisten aus Deutschland, wurde der Hauptort der Wolgadeutschen zu Ehren von Karl Marx in „Marxstadt“ umbenannt. Von 1919 bis 1922 war es Gebietszentrum des Autonomen Gebiets der Wolgadeutschen, von 1922 bis 1941 Zentrum des Kantons Marxstadt der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen. 1942, als die Wolgadeutschen nach Zentralasien deportiert worden waren, wurde die Stadt in „Marx“ umbenannt. So heißt die Stadt trotz des Endes des Sowjetkommunismus und auch des Endes aller Wiederherstellungsversuche der Autonomie der Wolgadeutschen heute immer noch. Wiederhergestellt wurde seit dem Zerfall der Sowjetunion in Marx nur die einstige evangelische Kirche.

Die erste Kirche haben die Siedler 1840 aus eigenen Mitteln erbaut. Einige Jahre später wurde sie zur Domkirche der Heiligen Dreifaltigkeit erhoben. Neben dem Dom der Lutheraner gab es in Katharinenstadt eine katholische und eine orthodoxe Kirche. 1900 gab es vier Friedhöfe, einen protestantischen, einen katholischen, einen orthodoxen und einen moslemischen. Mit der Oktoberrevolution brach 1917 die Tragödie über die Gemeinde herein und infolge des Religionsverbots wurden alle Kirchen enteignet und geschlossen. Die lutherische Kirche wurde 1929, die katholische 1935 geschlossen. 

Das weitere Schicksal der Kirche gleicht dem vieler Gotteshäuser in Russland. Sie wurde zweck­entfremdet und in Kulturhäuser umgewandelt. Gegen Ende der 1950er Jahre kam es in der Chruschtschow-Ära zu einer weiteren Welle der Zerstörung religiöser Denkmäler. In dieser Zeit gab es erste zaghafte Bemühungen einer Rehabilitierung und Rückkehr der deportierten Wolgadeutschen. Die neuen Bewohner der deutschen Orte wollten mit dem Zerstörungswerk eine Rückkehr der einstigen Besitzer erschweren. An der Kirche wurden damals die Kuppel und der Glockenturm samt Uhr zerstört. Erst im Zuge von Glasnost und Perestrojka konnten in dieser Kirche wieder Gottesdienste gefeiert werden. Die katholische Pfarrei entstand bereits 1983 wieder, 1989 wurde eine orthodoxe Pfarrei organisiert. 1995 erhielten die Lutheraner ihr Kirchengebäude zurück. 

Das Gotteshaus war eines der wenigen, das auf dem Gebiet der vormaligen Wolgadeutschen Republik halbwegs erhalten geblieben war. Aber die Zeit der Zweck­entfremdung war nicht spurlos an der Kirche vorübergegangen. Zur dringend notwendigen Sanierung und Restaurierung fand sich erst nach 20 Jahren überraschend ein in Saratow lebender Sponsor wolgadeutscher Herkunft, Viktor Schmidt. Dank seines Engagements begann im August 2014 der Aufbau des Glockenturms. Zu Weihnachten war der Rohbau bereits fertiggestellt und auch das Tragwerk der Kuppel angeliefert. 

Im August 2015 erstrahlte die Kirche – zumindest äußerlich – im alten Glanz, und im September wurde sie zum 250. Gründungsjubiläum der Stadt erneut eingeweiht. Nachdem 85 Jahre zuvor, am 5. August 1930, die Kommunisten die Kirche geschlossen hatten, wurde am 4. August 2015 wieder das Kreuz auf dem neuerbauten Kirchturm errichtet. Seit 1999 unterhält die Kirchengemeinde von Marx eine Partnerschaft mit der Stern-Kirchengemeinde in Potsdam. Pastor ist Wladimir Rodikow.

Die deutschen Siedler errichteten bereits 1852 der Zarin Katharina II., die sie seinerzeit ins Land gerufen hatte, ein Denkmal in der nach ihr benannten Stadt, das vom Bildhauer Pjotr von Klodt gestaltet wurde. Die Skulptur stand auf einem Marmorsockel, auf dem auf zwei Seiten auf Deutsch und Russisch zu lesen war: „An die Kaiserin Katharina II. als Dankbeweis der ausländischen Siedler.“ Anfang der 1930er Jahre wurde das Denkmal demontiert, 1941 für Kriegszwecke eingeschmolzen. Am 29. September 2007 wurde ein rekonstruiertes Denkmal für Katharina II. feierlich neu eingeweiht.

Ein Denkmal für Karl Marx hat es in Marx an der Wolga nie gegeben, lediglich einige Fabriken und Kolchosen trugen seinen Namen, wie fast überall in der Sowjet­union. In den Vorkriegsjahren gab es in der Stadt ein reges Kulturleben, dazu gehörten ein eigenes Theater und ein Puppentheater. Seit 1995 gibt es sogar wieder ein Heimatkundemuseum, das an die Errungenschaften der deutschen Kolonisten erinnert.