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16.11.18 / Zwei Besessene / »Sonne und Gott und Alles« – Der Dramatiker Hermann Sudermann und seine Stalkerin Anna Julia Wolff

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-18 vom 16. November 2018

Zwei Besessene
»Sonne und Gott und Alles« – Der Dramatiker Hermann Sudermann und seine Stalkerin Anna Julia Wolff
Bettina Müller

Die Verehrung, die eine Berlinerin  dem ostpreußischen Autor Hermann Sudermann entgegenbrachte, glich einem Personenkult. An­fangs davon geschmeichelt, wurde sie ihm am Ende ziemlich lästig. 

„Sie haben betont, meine Liebe zu Ihnen wäre eine Angelegenheit, die ich mit meinen vier Wänden allein abzumachen hätte“, schreibt die Berliner Schriftstellerin Anna Julia Wolff am 11. August 1909 an Hermann Sudermann. Anna Julia überschüttet ihn mit einer übersteigerten Verehrung, die den kranken Sudermann überfordert. Er kann und will sie nicht erhören. Geschmeichelt fühlt er sich am Anfang dennoch. 

Anna Julia Wolff hat ihn mindestens drei Jahre lang mit einer hartnäckigen Verehrung verfolgt, die wie Stalking anmutet. 1909 befindet sich der am 30. September 1857 im ostpreußischen Matziken als Sohn eines Bierbrauers geborene Schriftsteller schon lange in einer Sinnkrise. Seiner Ehefrau Clara ist er zwar aufrichtig zärtlich zugetan, doch für seinen kreativen Schaffensprozess muss er alleine sein. Das Ehepaar verbringt daher sehr viel Zeit in räumlicher Trennung. Sein Drama „Die Ehre“ hat Sudermann zum umfeierten Star der Literaturszene gemacht, vier Jahre später sollte ihm mit dem Schauspiel „Heimat“ der Durchbruch gelingen. 

Zum Verhängnis wird ihm der „Kritikerstreit“, den er 1902 selber mit seiner strengen Schrift „Über die Verrohung in der Theaterkritik“ auslöst. Sie verursacht heftige Reaktionen, die Kontrahenten in Berlin bilden eine geschlossene Front, darunter Alfred Kerr, Maximilian Harden, aber auch ein Landsmann Sudermanns, Josef Wiener-Braunsberg. Letzterer mutiert vom größten Bewunderer, der 1894 sogar eine Fortsetzung von „Die Ehre“ unter dem Titel „Alma’s Ende“ ge­schrieben hat, zum nachtragenden Spötter, der sich noch Jahre später über Sudermann in der Zeitschrift „Ulk“ lustig macht.

Die Korrespondenz Sudermanns mit seinem „Leibarzt“ Wilhelm Fliess lassen den Autor tatsächlich als einen sehr kranken Mann erscheinen, ein Arbeitstier, das schon 1884 „körperlich heruntergekommen und psychisch erschöpft“ ist. Vor allem seine Nervenschwäche bekommt er nicht in den Griff: Ende 1916 erleidet er einen schweren Nervenzusammenbruch. Vor 90 Jahren, am 21. November 1928, vier Jahre nach dem Tod seiner geliebten Frau, stirbt Sudermann im Alter von 71 Jahren in Berlin. 

Zu diesem Zeitpunkt ist Anna Julia Wolff schon sieben Jahre tot. Wann und wo genau sie sich zum ersten Mal begegnet sind, liegt im Dunkeln. Vielleicht war er dabei, als die sehr sozial eingestellte Frau, wie so oft, Spenden für den Verein für Kinder-Volksküchen gesammelt hat. 

Am 26. Mai 1866 kommt Anna Julia als Tochter des wohlhabenden jüdischen Kaufmanns Hermann Levinthal und dessen Ehefrau Theodora, geborene Heinemann, in Berlin zur Welt. „Ohne besonderen Stand“ heiratet sie am 23. Oktober 1886 in Berlin den Kaufmann Max Wolff, das Ehepaar bekommt zwei Kinder. Langsam tastet Anna Julia sich dann an eine schriftstellerische Karriere heran. 1895 veröffentlicht sie ihr erstes Buch mit dem Titel „Laß dir erzählen. Novellistische Kleinigkeiten“. Ihr literarisches Werk wird überschaubar bleiben, sie publiziert satirische und humoristische Novellen im Bloch-Verlag und Verse, die auch im Satireblatt „Simplicissimus“ erscheinen.

Anna Julia Wolff ist seit der ersten Begegnung mit Sudermann eine zutiefst an unglück­licher Liebe krankende Frau, schwankend zwischen Hoffnung und Desillusion, aber auch krankhaft hartnäckig mit Tendenz zum Besitzergreifen. Sie erkennt, dass ihre Liebe zu Sudermann aussichtslos ist, verfolgt ihn jedoch weiter und will sich dann angeblich mit dem bloßen räumlichen Zusammensein zufrieden geben: „Denn wenn ich Ihnen nur gegenübersitzen und mit ihnen plaudern darf, so ist mir das ja Glücks genug.“ 

Zugestanden hat Sudermann ihr in der Spätphase ihres beharrlichen Werbens noch zwei persönliche Begegnungen im Park von Blankensee. Auf diesem nicht nur für Anna Julia Wolff zutiefst beeindruckenden Anwesen hat sich Sudermann 1897 seinen ganz persönlichen Traum erfüllt. In diesem Jahr pachtet er Blankensee und erschafft ein lebendiges Museum mit antiken Skulpturen und südländisch anmutender Ve­getation, 1902 kauft er schließlich Schloss und Park.

Sudermanns Leben in Blankensee in den Sommermonaten gleicht einer theatralischen und exzentrischen Inszenierung mit deutlichen Zügen der Besessenheit, die sich in einem ungezügelten Kaufrausch von Altertümern und seltenen Pflanzen zeigt. Für Anna Julia Wolff ist dieses Ge­samtkunstwerk wiederum ein Symbol für etwas Übermenschliches und so stilisiert und idealisiert sie Sudermann zu einem Traumbild: „Wer es vermag, so viel hohe, weihevolle Schönheit in sein Leben zu tragen, der ist ein Erdmensch, dem zum Höchsten nur ein klein wenig verstehende Güte mangelt“.

Für Anna Julia wird die letzte Begegnung mit Sudermann im Park von Blankensee, die zwischen dem 11. und dem 17. August 1909 stattgefunden haben muss, zur „bittersten Stunde“ ihres Lebens. Sudermann begegnet ihr „eisig und unverblümt“, freiwillig solle sie „aus seinem Leben verschwinden“, ihr Verhalten sei „unwürdig und erbärmlich“. Anna Julia rudert sofort zurück und schlägt einen merkwürdigen Kompromiss vor, der eigentlich gar keiner ist. Sie sieht in ihm „Sonne und Gott und Alles“, niemals sei er so stark und selbstlos geliebt worden wie von ihr. 

„Das Erotische“ in ihren Empfindungen sei nebensächlich, behauptet sie, völlig ausschalten könne sie es jedoch auch nicht. Noch einmal also schüttet sie ihm ihr Herz aus, ahnt, dass es das letzte Mal sein würde, und bittet dann in ihrer Hilflosigkeit: „Und nun, nachdem ich Ihnen das alles gesagt habe, nun bitte ich Sie, lassen Sie uns einen Kompromiß miteinander schließen. Ich kann nämlich ein ganz netter Kerl sein, wenn ich nicht gerade den sentimentalen Klaps habe. Wollen Sie es also auf dieser Basis mit mir wagen?“ Sudermanns Antwort ist nicht überliefert. 

Am 26. Mai 1921 stirbt Anna Julia Wolff in Berlin. Ihre letzte Ruhe hat sie neben ihrem Ehemann auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee gefunden.