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23.11.18 / Fast sieben Millionen überschuldet / Allein in diesem Jahr sind in Deutschland 19000 Personen dazugekommen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-18 vom 23. November 2018

Fast sieben Millionen überschuldet
Allein in diesem Jahr sind in Deutschland 19000 Personen dazugekommen
Peter Entinger

Deutschland gehe es gut. So suggerieren es die Regierenden. Doch die Wahrheit sieht anders aus. So viele Bürger wie nie zuvor gelten als überschuldet. 

Im laufenden Jahr ist die Zahl der überschuldeten Personen in der Bundesrepublik um rund 19000 auf mehr als 6,9 Millionen gestiegen, teilte die Wirtschaftsauskunftei Creditreform mit. Bei gut jedem zehnten Erwachsen sind die Gesamtausgaben dauerhaft höher als die Einnahmen. Überdurchschnittlich stark zugenommen hat nach Angaben der Experten erneut die Altersüberschuldung. Creditreform stufte in diesem Jahr rund 263000 Menschen in Deutschland ab 70 Jahren als überschuldet ein. Das entspricht einem Anstieg um fast 70000 Fälle oder 35 Prozent.

Mit einer Verschuldungsquote von 11,69 Prozent liegt das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen deutlich über dem Durchschnitt von 10,04 Prozent. Schlechter schnitten unter den Bundesländern nur Berlin, Sachsen-Anhalt und Bremen ab. Mit einer Quote von 7,43 Prozent steht Bayern vor Baden-Württemberg (8,31 Prozent) am besten da. Interessant ist die Entwicklung in der Hauptstadt. Fast jeder achte Erwachsene (12,42 Prozent) kann dort seine Verbindlichkeiten nicht tilgen. 

Laut Creditreform geht die Quote in der Stadt seit fünf Jahren zurück. 2013 hatte der Wert in Berlin noch bei 13,12 Prozent gelegen. Im gleichen Zeitraum stieg die Überschuldungsquote in Städten wie Nürnberg, Leipzig, Essen, Dortmund und Duisburg. Unter 401 deutschen Städten belegt Berlin Rang 349. 

Offensichtlich wird Wohnen in deutschen Großstädten in vielen Fällen zunehmend zum Überschuldungsrisiko. „Auch wenn im Ranking der Ursachen von Überschuldung die Kosten für das Wohnen erst an neunter Stelle von den Betroffenen genannt werden, zeigen die gestiegenen Verbrauchsausgaben die Rolle, die vor allem die Mietpreissteigerungen spielen“, erläutert Michael Bretz, Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung gegenüber der „Wirtschaftswoche“. Der Grund sei, dass Verbraucher der Begleichung von Mietschulden zumeist eine hohe Priorität einräumen. „Die Nichtzahlung von Mietkosten hat für den Mieter meist harte Folgen“, so Bretz. „Deshalb werden Mietkosten selbst bei knapper werdenden finanziellen Ressourcen meist vorrangig beglichen.“

Die Entwicklung in der Hauptstadt sei vor allem darauf zurück-zuführen, dass in den vergangenen Jahren verstärkt wohlhabende, junge Menschen in die Metropole gezogen seien. 

Die Experten setzen die Ergebnisse ins Verhältnis zur aktuellen Stimmungslage in der Bundesrepublik und sprechen von „Licht und Schatten. Die Stimmungslage in der deutschen Wirtschaft bewegt sich zwischen Stagnationsangst und Euphorie. Deutschland sieht zwei Entwicklungen gleichzeitig: Zum einen ziehen höhere Energie- und Mobilitätskosten sowie eine insgesamt gestiegene Inflation den Verbrauchern das Geld aus den Taschen, andererseits sind derzeit so wenige Menschen arbeitslos wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr.“

Die Wirtschaftsauskunftei Cre­dit­reform rechnet für die nahe Zukunft trotz dieser sehr positiven konjunkturellen Rahmenbedingungen nicht mit einer nachhaltigen Entspannung. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, dass die Überschuldungszahlen weiter ansteigen werden, schreiben die Autoren der Auswertung. „Angesichts der derzeitigen Rahmenbedingungen ist für die nächsten Monate nicht davon auszugehen, dass die Überschuldungszahlen in Deutschland sinken werden. Hierzu werden sicherlich auch die weiter steigenden Immobilien- und Mietpreise beitragen“, heißt es im Schuldner-Atlas. „Nicht alle Menschen werden vom wirtschaftlichen Aufschwung erreicht. Mehr als 50 Prozent unserer Ratsuchenden haben ein monatliches Nettoeinkommen von weniger als 1000 Euro. Und das ist natürlich sehr sehr knapp, wenn man in einer Großstadt lebt und hohe Mieten zahlen muss“, sagte Michael Eham von der Schuldnerhilfe Köln der ARD.

Experten empfehlen für Miete, Immobilienkredit und Energiekos-ten nicht mehr als 30 Prozent des Einkommens auszugeben. Wie die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung im vergangenen Jahr herausfand, liegt die Mietbelastungsquote derzeit allerdings bei etwa vier von zehn Haushalten in Deutschlands Großstädten bei über 30 Prozent ihres Nettoeinkommens. Wie die „Wirtschaftswoche“ unter Berufung auf die Studie schreibt, hatten Ende 2017 etwa 1,3 Millionen Haushalte in deutschen Großstädten nach Abzug der Miete sogar nur ein Resteinkommen unterhalb der Hartz-IV-Regelsätze zur Verfügung. „Die Folge ist, dass Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger sehr häufig bei ihrer Kommune um Unterstützung bitten, weil sie die Miete nicht aufbringen können“, erklärt Creditreform-Mann Bretz. Menschen ohne Schul- oder mit Hauptschulabschluss tragen wenig überraschend ein höheres Risiko, in eine Überschuldung zu geraten als Menschen mit Fachhochschulreife oder Abitur. Arbeitslosigkeit gehört nach wie vor zu den Hauptauslösern einer Überschuldung (20 Prozent). Eine gescheiterte Selbstständigkeit ist bei acht Prozent eine Ursache. Allerdings spielen wirtschaftliche Gründe eine deutlich geringere Rolle als noch vor zehn Jahren – was vor allem mit der stabilen wirtschaftlichen Lage Deutschlands zusammenhängt. Erkrankungen, Süchte und Unfälle sind für 16 Prozent aller Überschuldungen verantwortlich. Unwirtschaftliche Haushaltsführung führt zu 13 Prozent aller Überschuldungen. Beide Werte sind im Verlauf der letzten zehn Jahre angestiegen.