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23.11.18 / »Namenlose Zivilfeigheit« / Kurz nach Kriegsende erschien Heinrich Manns »Der Untertan«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-18 vom 23. November 2018

»Namenlose Zivilfeigheit«
Kurz nach Kriegsende erschien Heinrich Manns »Der Untertan«
W. Dahle/tws

Vier Jahre musste Heinrich Mann warten, ehe sein Roman „Der Untertan“ in Buchform erscheinen konnte. Kaum war der Erste Weltkrieg vorbei und die Monarchie beendet, wurde seine satirische Auseinandersetzung mit dem Kaiserreich vor genau 100 Jahren veröffentlicht. Der Roman des Bruders des späteren Nobelpreisträgers Thomas Mann gehört zu den wichtigsten Auseinandersetzungen mit der deutschen Ge­schichte im Kaiserreich des 19. und 20. Jahrhunderts und karikiert in ironischer Form am Beispiel des Untertanen Diederich Heßling das Verhältnis von kaisertreuen Bürgern und preußischem Staat. 

Dass der Roman im Kurt-Wolff-Verlag als Abgesang auf eine vergangene Epoche am 30. November 1918 erschien, hat seine Vorgeschichte: Schon ab 1912 arbeitete Mann mehrere Jahre an dem Buch, das von Januar 1914 bis zum Kriegsausbruch als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift „Zeit im Bild“ begann, aber mit Beginn des Ersten Weltkrieges der Zensur zum Opfer fiel. 

Erst nach Kriegsende konnte der Roman in einer größeren Auflage in Deutschland erscheinen. Allein in den ersten vier Wochen wurden 80000 Exemplare verkauft. Neben dem bereits 1905 erschienenen Roman „Professor Unrat“, der Ende der 20er Jahre mit Marlene Dietrich unter dem Titel „Der blaue Engel“ verfilmt wurde, sollte „Der Untertan“ Heinrich Manns bekanntestes Werk werden. Kurt Tucholsky schrieb dazu 1919 in der „Weltbühne“: „Dieses Buch Heinrich Manns, heute, gottseidank, in aller Hände, ist das Herbarium des deutschen Mannes. Hier ist er ganz: in seiner Sucht, zu befehlen und zu gehorchen, in seiner Rohheit und in seiner Religiosität, in seiner Erfolgsanbeterei und in seiner namenlosen Zivilfeigheit.“

In der DDR, die 1951 gerade zwei Jahre alt war, wurde der Stoff in einem Film der DEFA unter der Regie von Wolfgang Staudte um­gesetzt, in dem der bekannte Schauspieler Werner Peters die Hauptrolle übernahm. In den Nachkriegsjahren waren diese Filmpremieren noch von immenser Bedeutung, da es das dominierende Medium Fernsehen noch nicht gab. In der Bundesrepublik konnte der Film aber erst 1957 in einer gekürzten Fassung gezeigt werden. Unvergessen ist die Schlussszene, als Heßling bei seiner Rede zur Einweihung eines Kaiserdenkmals vom Gewitter überrascht wird und er völlig durchnässt seine pathetischen Worte ins Leere spricht, weil das Publikum inzwischen das Trockene aufgesucht hat.

Das Lübecker Buddenbrookhaus mit dem Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum hat sich der Werkpflege dieser beiden Literaten seit dem vorigen Jahrhundert ständig gewidmet. Auch zum „Untertan“ gab es dort schon viele Veranstaltungen, so im Jahr 2007, als es von Mitte August bis An­fang November unter dem Titel „Vom Kaiserreich zum geteilten Deutschland“ zu Buch und Film sowie zu weiteren Literaturverfilmungen zahlreiche Veranstaltungen in der Stadt gab. 

Heinrich Mann zeichnete in seinen Werken die Demokratie als eine geistige Lebensform, wofür er bis zu seinem Tod 1950 in den USA – neben seinem Bruder Thomas – in vielfältigen Veranstaltungen und Begegnungen, auch von Institutionen in Ost und West, gewürdigt wurde. Sein größtes Werk entstand im französischen Exil: ein zweibändiger historischer Roman über König Heinrich IV., einen streitbaren Humanisten. In seinem US-Exil näherte er sich ab 1945 wieder dem Literaturbetrieb in Deutschland und wurde besonders in der DDR durch einige Werkausgaben den Lesern erneut nahegebracht. Seine überführte Urne wurde am 25. März 1961 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Ost-Berlin beigesetzt.