20.04.2024

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30.11.18 / »Risikoreduziert« in die Sucht / US-Marktführer für E-Zigaretten will nach Deutschland expandieren – Gesundheitsexperten alarmiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-18 vom 30. November 2018

»Risikoreduziert« in die Sucht
US-Marktführer für E-Zigaretten will nach Deutschland expandieren – Gesundheitsexperten alarmiert
Peter Entinger

In den USA melden Verkäufer von E-Zigaretten reißenden Absatz. Nun will der Marktführer Juul nach Deutschland expandieren. Gesundheitsbehörden warnen vor einer hohen Suchtgefahr.

Auch in den Vereinigten Staaten ist eine heftige Debatte über den Zigaretten-Ersatz entbrannt. Die US-Gesundheitsbehörde FDA spricht von einer Epidemie, gerade unter Jugendlichen. Nach einer Umfrage, die der Hersteller in Auftrag gegeben hat, nahm der Konsum von E-Zigaretten zwischen 2017 und 2018 unter Oberschülern in den USA um 78 Prozent zu, unter Mittelschülern um 48 Prozent. Insgesamt 3,6 Millionen dieser Schüler konsumieren demnach inzwischen die elektrischen Zigaretten. Hunderttausende von ihnen sollen bereits abhängig sein. Die Jugendlichen haben aus dem Firmen- und Produktnamen Juul das Verb „juuling“ für das E-Zigaretten-Rauchen abgeleitet. FDA-Chef Scott Gottlieb drohte bereits mit einem Totalverbot von E-Zigaretten, sollten die Hersteller nicht handeln: „Ich werde nicht zulassen, dass eine Generation von Kindern durch E-Zigaretten nikotinsüchtig wird.“

Die Juul-Zigarette ist dünn wie ein USB-Stick und kann wie dieser auch an einem Laptop aufgeladen werden. Mit einer Nikotinstärke von 50 Milligramm pro Milliliter Flüssigkeit entfaltet sie eine Wirkung wie eine starke Zigarette. Besonders populär bei jungen US-Amerikanern sind einem Bericht der Nachrichten­agentur AP zufolge besonders häufig süße Geschmackssorten wie Mango oder Sahne. Ähnlich wie bei einem Kaffeekapsel-System müssten Juul-Nutzer nur eine befüllte Minipatrone mit der Nikotin-Flüssigkeit in das Gerät stecken, heißt es in dem Bericht weiter.

Die Firmenchefs James Monsees und Adam Bowen kennen sich bereits seit ihrer Zeit an der Stanford University in Kalifornien. In ihrer gemeinsamen Diplomarbeit haben sie den Milliarden-Dollar-Markt der Tabakindustrie analysiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass mit der elektronischen Variante viel Geld zu verdienen ist. Sie werden persönlich anwesend sein, wenn Mitte Dezember bei einer Veranstaltung in Hamburg der Verkauf der E-Zigarette Juul auf dem deutschen Markt gestartet wird. Innerhalb von zwei Jahren ist Juuls Marktanteil in den USA nach Berechnungen des Marktforschungsinstituts Nielsen von zwei Prozent auf zuletzt mehr als 70 Prozent hochgeschossen und hat damit selbst die alteingesessenen Tabak-Giganten wie Philip Morris überrascht.

Die Tabakerhitzer, die Philip Morris vertreibt, heißen IQOS und sind nach Angaben der Firma „eine Erfolgsgeschichte“. Im Gebiet der Europäischen Union zählt der Hersteller nach eigenen Angaben inzwischen 1,3 Millionen Konsumenten, die ihre Rauchgeräte unter anderem in Boutiquen erhalten oder sie im Netz bestellen können. „Wir verfolgen die Vision einer rauchfreien Zukunft“, wirbt das Unternehmen und suggeriert, dass seine Geräte nicht gesundheitsschädlich sind. Dahinter steckt auch die Furcht, die Konkurrenz könnte wie in den USA die Marktverhältnisse auf den Kopf stellen. In den ersten neun Monaten des Jahres 2018 hat Philip Morris in der EU einen Umsatz von 577 Millionen US-Dollar erwirtschaftet mit diesen „risikoreduzierten Produkten“, wie der Tabakgigant die Geräte nennt. Weltweit lag der Umsatz bei 2,97 Milliarden Dollar.

Das Geheimnis der Juul-Zigaretten ist offenbar der hohe Nikotin-Gehalt. In der Europäischen Union ist diese Menge verboten. Die Tabakrichtlinie der EU lässt höchstens 20 Milligramm Nikotin je Milliliter zu. Eine Höchstgrenze für den Nikotinwert existiert im US-Markt dagegen nicht. Unternehmenssprecher Paul Mowius kann die Aufregung vor dem Verkaufsstart nicht nachvollziehen: „Juul ist für uns nur eine von vielen fast baugleichen E-Zigaretten, die es in Deutschland bereits gibt“, sagte er gegenüber der „Bild“-Zeitung und versicherte, dass die angebotenen Modelle „natürlich“ die strengeren Richtwerte der Europäischen Union einhalten würden.

Über das Für und Wieder der E-Zigaretten herrscht seit Jahren eine heftige Diskussion. Kritiker sagen, dass Jugendliche mit E-Zigaretten mit Bonbon- oder Fruchtgeschmack in den Nikotinkonsum einstiegen, um später bei den weitaus gefährlicheren Tabakzigaretten zu landen. Andererseits haben E-Zigaretten vielen langjährigen Rauchern geholfen, von Marlboro, Camel & Co. wegzukommen. Und ihr Dampf ist Studien zufolge bei Weitem nicht so krebserregend wie Tabakqualm.

In einer vom Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung Kiel im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchgeführten Untersuchung wurden 2186 Zehntklässler über sechs Monate beobachtet. Das Ergebnis: „Zu Studienende zeigte sich, dass Jugendliche mit E-Zigaretten-Erfahrung eher zur Tabakzigarette griffen. So begannen 22 Prozent der Befragten, die bereits E-Zigaretten probiert hatten, auch mit dem Tabakrauchen. Von den Jugendlichen, die zuvor keinerlei E-Zigaretten-Erfahrung hatten, fingen zehn Prozent mit dem Tabakrauchen an.“