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30.11.18 / Das Weltall und die Menschen in Polen / In polnischen Großstädten schießen Wissenschaftszentren wie Pilze aus dem Boden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-18 vom 30. November 2018

Das Weltall und die Menschen in Polen
In polnischen Großstädten schießen Wissenschaftszentren wie Pilze aus dem Boden
Chris W. Wagner

Auf der Stettiner Oderinsel Lastadie [Lasztownia] entsteht gerade ein Meereszentrum der Wissenschaft. Die gegenüber der Altstadt gelegene Stettiner Lastadie war stets von Hafenanlagen geprägt. Nun wird dort an die Geschichte der Ostseeschifffahrt erinnert. Die Architektur des Gebäudes ist dem Rumpf eines Schiffes nachempfunden. Mitte 2019 soll entschieden werden, wie die ständige Ausstellung dieses Ostseezentrums aussehen wird. Für den Marschall der Woiwodschaft Westpommern, Olgierd Geblewicz, soll dieses Zentrum neben der Stettiner Philharmonie und dem Dialog-Zentrum Umbrüche (Centrum Dialogu Przelomy) ein neues Wahrzeichen der Stadt werden. Fertig soll das Unterfangen zwar erst 2021 werden, doch es steht bereits ein Name für das Zentrum fest, es wird nach dem 2012 verstorbenen Professor Jerzy Stelmach benannt.

Stelmach, 1954 in Breslau geboren, war Kosmologe und Astrophysiker, Professor der Stettiner Universität. Die Schaffung des ersten interaktiven Wissenschaftszentrums polenweit in seiner Wahlheimat Stettin war Stelmachs Idee. Doch scheint, als würde Lodsch [Lodz] in Sachen Wissenschaftszentrum die Nase vorn haben. Denn seit Kurzem kann man unweit des Bahnhofs „Lodz Fabryczna“ im historischen Lodscher Kraftwerk das Wissenschafts- und Technikzentrum EC1 besuchen. Auf einer Fläche von 8000 Quadratmetern sind dort bereits drei ständige Ausstellungen zur Energienutzung, Mikro- und Makrowelten sowie zum Thema „Wissensentwicklung und Zivilisation“ eingerichtet worden. Besucht man die erste der genannten ständigen Ausstellungen, kommt es einem vor, als wäre man plötzlich in eine Farbfilmversion von „Metropolis“ versetzt. Alles dreht sich hier um Elektrizität. Diese Präsentation ist nämlich strikt mit dem Standort verbunden, dem 1907 erbauten Lodscher Kraftwerk. Dort erfährt der Besucher, wie ein Turbogenerator von 1930 gearbeitet hat und genauer, wie das Innere so einer Maschine aussah. Außerdem kann man in einem Strategiespiel die Führung eines Elektrizitätswerkes erproben. „Übernehme die Kontrolle über die Energiezufuhr“, heißt die Aufgabe und die Ideengeber des Zentrums arbeiten bereits am nächsten Strategiespiel für die Ausstellung „Wissensentwi-cklung und Zivilisation“, sie soll Anfang des kommenden Jahres fertig sein. Besonders beliebt bei Besuchern sind die Themenbereiche „Weltall“ und „der Mensch im Weltall“. Hier können Besucher zwischen Molekülen und Atomen wandeln. Im ehemaligen Kühlturm des Kraftwerks haben Besucher zudem die Möglichkeit, eine Reise zur internationalen Raumstation ISS nachzuempfinden. Anfang November besuchten mehr als 100000 Interessierte das Lodscher Wissenschaftszentrum. 89000 Interessierte schauten sich die Sternbilder im Planetarium an.

Auch Bromberg [Bydgoszcz] zieht mit. Ähnlich wie Stettin setzt man hier auf das Thema Wasser. In den mächtigen Getreidespeichern in der Stadt an der Weichsel und Brahe [Brda] wird heute Kunst ausgestellt. Doch Bromberg ist immer noch ein wichtiger Wasserknotenpunkt. Über die Internationale Wasserstraße E70 gibt es eine direkte Verbindung nach Berlin und Warschau. Und auch Bromberg investiert nun in ein Wissenschaftszentrum auf seiner historischen Mühleninsel. Marta Stachowiak vom Bromberger Magistrat hofft, dass mit dem neuen „Bildungspark“ die Stadt touris-tisch belebt wird. Der Park soll anhand der Reise eines Wassertropfens bis ans Ende des Weltalls den Besucher zur Reflexion über die Natur, das Menschenleben und sein Wirken auf die Umwelt in einer Mikro- und Makroskala animieren, so Stachowiak in einer Presseerklärung. Sie betonte zugleich, dass die Ausstellung starke lokale Motive beinhalten wird. In einer multimedialen Präsentation will man die Gestalt des, aus Sicht der Macher, berühmtesten Bromberger, nämlich Marian Rejewski, vorstellen. Der Mathematiker soll im Zweiten Weltkrieg dazu beigetragen haben, die Enigma-M4, also die Rotorschlüsselmaschine, die Nachrichtenverkehr der deutschen Kriegsmarine zur geheimen Kommunikation zwischen dem Befehlshaber der U-Boote und den im Atlantik operierenden deutschen U-Booten verwendet wurde, zu entschlüsseln. 

Dabei hat die Stadt eine ganze Reihe Wissenschaftler hervorgebracht wie den Meteorologen und Geophysiker Hugo Emil Hergesell (1859–1938), der die Aerologie als Teilgebiet der Meteorologie begründete, den Neurologen und Neuroanatomen Louis Jacobsohn-Lask (1863–1940) oder den Bakteriologen und Präsidenten des Robert-Koch-Instituts Eugen Gildemeister (1878–1945). Diese scheinen im Wissenschaftszentrum jedoch kaum eine Rolle zu spielen.

Auch Danzig schließt sich dem „Science-Trend“ an und plant für 2022 den Bau eines Ozeanariums mit 5D-Höhlen, einem Schwimmbereich mit exotischen Lagunen ähnlich dem deutschen Tropical Island. Wissenschaftszentren sollen die Städte touristisch attraktiv machen. Wissenschaft zum Anfassen – dafür planen die Städte viel Geld ein. Marta Derek vom Institut für Geographie, Tourismus und Erholung an der Universität Warschau analysiert die Gründe für die wachsende Beliebtheit solcher wissenschaftlicher Freizeitparks. „Wir verbringen unsere Freizeit anders als früher. Wir gehen davon ab, in einen ein-, zwei- bis dreiwöchigen Urlaub zu gehen, dessen Hauptattraktion das Sonnenbaden war. Wir machen häufiger Kurzurlaube im Jahr und wollen diese Zeit eher aktiv nutzen“, so Derek gegenüber der Gazeta Wyborcza. Solche Objekte entstehen in reicher werdenden Gesellschaften. Marek Nowara, Ideengeber für das Danziger Ozeanarium ist ehrgeizig. Er will das Breslauer Afrikarium toppen, das zu den größten Attraktionen polenweit zählt und allein im vergangen Jahr 1,7 Millionen Besucher verbucht hat.