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07.12.18 / Darf man alles sagen? / Eine kritische Antwort auf die Schönredner

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-18 vom 07. Dezember 2018

Darf man alles sagen?
Eine kritische Antwort auf die Schönredner
Ingo von Münch

Auf die Frage, ob man alles sagen darf, antworten die Schönredner in Politik und den Mainstream-Medien mit „ja“. Hier einige Beispiele von vielen: „Man darf alles sagen, niemand klingelt am nächsten Morgen um vier Uhr an der Haustür“ (Ole von Beust in der „Welt“). „Hierzulande kommt keiner wegen unbotmäßiger Äußerungen hinter Gitter“ (Claus Kleber, ZDF). „Davon, dass man in diesem Land nicht frei eine Meinung sagen könne, kann, wie nicht nur jeder Blick ins Internet zeigt, wahrlich nicht die Rede sein“ (Berthold Kohler in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“). „Man darf alles sagen. Auch wenn man dafür schief angeschaut wird“ (Frank Plasberg, ARD, im „Spiegel“).

Ein Blick in Leserbriefe in denselben Medien zeigt jedoch eine andere Einschätzung, etwa: „Wer heute auf seiner freien Meinung beharrt, muss damit rechnen, dass er wirtschaftlich oder sozial vernichtet wird, wenn seine Meinung nicht politisch korrekt ist.“ Eine Untersuchung des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld kam schon 2016 zu dem Ergebnis, dass mehr als ein Viertel der Menschen in Deutschland der Aussage zustimmt: „In Deutschland kann man nicht mehr frei seine Meinung äußern, ohne Ärger zu bekommen.“ Spricht daraus übertriebene Ängstlichkeit? Wohl kaum, denn selbst der prominente Publizist Michel Friedman urteilt: „Du kannst in Deutschland alles sagen, was du willst – du musst nur bereit sein, die Konsequenzen zu tragen.“

Geht es wirklich nur um „Ärger“? Was sind die von Friedman erwähnten „Konsequenzen“? Zwar nicht existenzgefährdend, aber doch mehr als ärgerlich für die davon Betroffenen sind faktische Redeverbote, wie sie heute leider nicht selten an Universitäten vorkommen, die ja eigentlich gerade Stätten der Wissenschaftsfreiheit und damit des freien Austausches von Meinungen sein sollten. Schon im Jahr 1999 wurde der damalige Vorsitzende der CDU, Wolfgang Schäuble, von Linken daran gehindert, in der Universität Göttingen einen Vortrag zu halten. Mittlerweile, so kürzlich eine Notiz in der FAZ, „werden auch in Frankfurt, Köln oder Bremen Platzverweise an Redner mit ungefälligen Ansichten verteilt“. Diese Angabe ließe sich noch um Berlin und Siegen ergänzen. Die Liste der politisch unerwünschten und deshalb erst gar nicht Einzuladenden oder nach Einladung wieder Auszuladenden umfasst neben dem Hauptfeind Thilo Sarrazin beispielsweise die Autoren Martin Walser, Jörg Friedrich, Norman Finkelstein und Götz Kubitschek. Urheber von Boykottaktionen können kleine studentische Gruppen sein, wie im Fall der Kampagne gegen den Historiker Jörg Baberowski eine trotzkistische Gruppe, oder eine mächtige gesellschaftliche Organisation. So musste der Historiker Stefan Scheil, der von der Landsmannschaft Ostpreußen/Landesgruppe Nordrhein-Westfalen im Herbst 2016 als Hauptredner eingeladen worden war, auf Druck der Gewerkschaft Verdi wegen angeblichen „Geschichtsrevisionismus‘“ des Eingeladenen wieder ausgeladen werden.

In allen diesen Fällen stellt sich die Frage: Handelt es sich bei der Verhinderung von Einladungen um eine subtile Form von Selbstjustiz? Von „selbsternannten Wächtern des Sagbaren“ spricht der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Er gibt den Rat: „Auf keinen Fall darf man zurück­weichen und, zum Beispiel, eingeladene Referenten wieder ausladen oder Thesen aus nichtwissenschaftlichen Gründen zurück­zunehmen. Denn das ist für die Überwacher nur eine Ermunterung zu größerer Dreistigkeit.“ Dieser Rat des bedrängten Berliner Hochschullehrers ist gut gemeint, aber in der Praxis wenig hilfreich, wenn eine Veranstaltung bestenfalls unter Polizeischutz stattfinden könnte oder wenn eine Hochschulverwaltung die Verwendung universitärer Finanzmittel für die Einladung unerwünschter Vortragender untersagt.

Die Frage, ob man alles sagen darf, zielt zunächst juristisch betrachtet auf die Schranken des Grundrechts der Meinungsfreiheit. Das Grundgesetz (Artikel 5) nennt als diese Schranken „die Vorschriften der allgemeinen Gesetze, die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend“ und „das Recht der persönlichen Ehre“. Konkret geht es in der Praxis häufig um die Strafbarkeit der Volksverhetzung und der Holocaustleugnung oder um Entschädigungsansprüche wegen Verletzung des sogenannten Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher erfreulicherweise dezidiert für den Schutz der Meinungsfreiheit ausgesprochen. In seiner Entscheidung vom 4. November 2009 hat das Gericht festgestellt: „Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer Beeinträchtigung des ‚allgemeinen Friedensgefühls‘ oder der ‚Vergiftung des geistigen Klimas‘ sind ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte.“

Bedeutet diese Rechtsprechung Entwarnung im Kampf um die Meinungsfreiheit? Mitnichten – denn im alltäglichen Leben ist die Meinungsfreiheit weniger vom schweren Geschütz der Kriminalisierung, also der strafrechtlichen Verfolgung, bedroht, als durch gesellschaftliche Ächtung, politische Ausgrenzung, publizistischen Pranger, bis hin zur Verweigerung eines Zutrittes, zur Blockade von nicht verbotenen Versammlungen, zur Nichtwählbarkeit in ein öffentliches Amt oder zu beruflicher Kündigung. Wehe dem, auf den eine der drei harten Keulen (Faschismuskeule, Rassismuskeule, Nazikeule) niedersaust. Ein Bezirksschornsteinfeger darf seinen Beruf nicht mehr ausüben; eine Grundschullehrerin wird beurlaubt; ein Karikaturist wird gefeuert; Erzieherinnen in Kindertagesstätten eines Landes müssen „auf dem Boden der Verfassung stehen“; ein Lehrbeauftragter an einer Polizeischule wird entlassen, weil er „für rechte Zeitungen schrieb“; ein Bundesbankvorstandsmitglied muss zurücktreten; der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz wird in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Darf man alles sagen?

Die Schublade, die zu nicht unerheblichem Ärger führt, wenn jemand in sie einsortiert wird, ist klar: im schlimmsten Fall „rechtsextrem“, aber für Ächtung reicht schon „rechtsradikal“, „rechtspopulistisch“, „rechter Rand“ oder einfach „rechts.“ Absurd wird die Angelegenheit, wenn die von einer Sanktion Betroffenen gar nicht selbst „rechts“ sind, sondern nur Kinder einer Mutter „mit gefährlichen Ansichten“: Weil die Mutter von zwei Schulkindern (acht und zwölf Jahre alt) sich als Philosophin im Umfeld der „Neuen Rechten“ betätigt, wurden die Kinder von einer Wiener Waldorfschule verwiesen. Sippenhaft wäre für diesen Vorgang kein übertriebener Ausdruck. In Erinnerung ist auch das Schicksal der Ruderin Nadja Drygalla, deren Liaison mit einem früheren NPD-Landtagskandidaten Grund genug war, sie aus der deutschen Mannschaft bei den Olympischen Spielen 2012 auszuschließen. Die jämmerliche Begründung: Ein Verbleib der Ruderin im Olympia­team hätte dem Ansehen der deutschen Equipe schaden können.

Von dem Staatsrechtsprofessor Horst Dreier, der wegen einer durchaus diskutablen, aber vom Mainstream in Politik und Publizistik missbilligten Äußerung zur sogenannten Rettungsfolter nicht Bundesverfassungsrichter werden durfte, stammt ein kluger Aufsatz zum Thema „Der freiheitliche Staat als riskante Ordnung“. Die Formulierung des Themas gibt eine Antwort auf die Frage „Darf man alles sagen?“, nämlich: Man darf, aber wenn man etwas sagt, was nicht politisch korrekt ist, kann dies ziemlich riskant sein.