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07.12.18 / Wie Geschichte »gemacht« wird / Öffentlich-rechtliche Anstalten bauen die Vergangenheit im Sinne heutiger Machtinteressen der Regierung um

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-18 vom 07. Dezember 2018

Wie Geschichte »gemacht« wird
Öffentlich-rechtliche Anstalten bauen die Vergangenheit im Sinne heutiger Machtinteressen der Regierung um
Erik Lommatzsch

Um die Vergangenheit für heutige politische Zwecke nutzbar zu machen, wird die Geschichte zuweilen heftig zurechtgebogen. Die erfolgreiche TV-Serie „Babylon Berlin“ liefert einige anschauliche Beispiele dafür. 


Als „offen nationalsozialistisch“ bezeichnete Friedrich Merz unlängst Teile der AfD. Der CDU-Mann, der nach langen Jahren beim Vermögensverwalter Black­Rock noch einmal an berufliche Veränderung denkt und gern den Vorsitz seiner Partei übernehmen möchte, stellt damit gleich auf mehreren Feldern fatale Unkenntnis zur Schau. 

Eine „offen nationalsozialistische“ Gruppierung wäre in der Bundesrepublik Deutschland verboten und könnte ihm folglich, was offenbar sein wunder Punkt ist, potenzielle Wähler kaum abspenstig machen. Zum anderen scheint Geschichte nicht so sein Fach zu sein, sonst wäre ihm – neben der Verunglimpfung des politischen Gegners, die man gerade noch als verfrühten Wahlkampf deuten könnte – die sachliche Absurdität seiner Aussage peinlich bewusst. 

Aber woher soll es auch kommen, das Wissen um die Geschichte? Der Schulunterricht ist bei Merz, wie auch bei vielen anderen, schon eine ganze Weile her. Berufliche und anderweitige Einbindung lassen nur selten Zeit und Muße für umfangreichere Beschäftigung mit historischen Themen, von der Lektüre dickleibiger Bücher ganz zu schweigen. 

Da bleibt viel Raum für die Medien, die diesen auch gern ausfüllen und nachhelfen. Die Vermittlung historischer Fakten jedoch steht bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten derzeit meist gar nicht so im Mittelpunkt. In Zeiten, in denen es um „Haltung“ geht, wird vor allem auf die „richtige“ Sicht der Dinge Wert gelegt. 

Im gegenwärtigen Kampf „gegen Rechts“, der sich nicht selten als Kampf gegen jegliche Abweichung vom Kurs der Regierungsparteien und der Hilfsregierungspartei „Grüne“ entpuppt, ist auch die Vergangenheit nutzbar. Parallelen zum Scheitern der Weimarer Demokratie werden suggeriert, um den politischen Gegner zu diskreditieren. Was man damals nicht bekämpft hat, muss man jetzt bekämpfen, so die Linie. Dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat, spielt keine Rolle.

Die mit einem „Bambi“ ausgezeichnete, soeben von der ARD ausgestrahlte Serie „Babylon Berlin“ ist nur ein Beispiel. Vordergründig soll es sich um spannende Fernsehunterhaltung handeln, eine verzwickte, bis in die Politik hineinreichende Kriminalgeschichte, welche in der deutschen Reichshauptstadt des Jahres 1929 spielt.

Die Qualitäten der Serie, für die der Roman „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher Pate stand, mögen Geschmackssache sein. Ausweislich der Zuschauerzahlen lief das Ganze aber sehr erfolgreich. Das Gebaren der wahlweise tumben oder perfiden Gestalten, die damals eifrig dazu beitrugen, die Weimarer Republik zu vernichten, soll unübersehbar vor entsprechenden heutigen „Gefahren“ warnen, natürlich vor „Gefahren von rechts“.

Da gibt es etwa den fleischigen, zwielichtigen Polizisten, der sich später als Attentäter auf Repräsentanten der Demokratie entpuppt. Mit ehemaligen Weltkriegskameraden skandiert er pathetisch im Chor: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Die „Schwarze Reichswehr“ kocht ihr Süppchen, fast ohnmächtig stehen die mutigen Verteidiger der Republik der aufziehenden Unbill gegenüber, wird doch der böse Putsch-Generalmajor sogar von Reichpräsident Hindenburg persönlich vor der ihn bloßstellenden Pressekonferenz gerettet. 

Und wer zunächst geglaubt hatte, es gäbe Ausgewogenheit – bekanntermaßen sind die Kommunisten für den Untergang der ersten deutschen Demokratie genauso verantwortlich wie die Nationalsozialisten – war auf dem Holzweg: Den Anschlag auf einen Sympathieträger und bedingungslosen Anhänger des demokratischen Staates, der schließlich zusammen mit seiner kleinen Tochter ermordet wird, führt nicht, wie man zuerst dachte, ein Kommunist aus, sondern ein SA-Mann, der sich als Kommunist ausgegeben hatte. Während eine Armenärztin, ein wackerer Rosa-Luxemburg-Verschnitt, bärbeißig und aufrecht die Sache der Arbeiter verteidigt. Historischen Unfug und so manche Einseitigkeit mag man einem Spielfilm verzeihen. Mit der bewussten politischen Botschaft für unsere Tage ist es etwas problematischer.

Zweifel an der volkspädagogischen Absicht wurden spätestens mit einem Beitrag des ebenfalls in der ARD ausgestrahlten Magazins „Monitor“ beseitigt. „Babylon Berlin: Die Lehren von Weimar“ stellt hemmungsfrei Verbindungen her, um eindrückliche Unterhaltungsszenen mit Heutigem zu vermengen und „rechte Gefahr“ zu konstruieren. Auch heute schwinde das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie, die Bindungskraft der großen Volksparteien nehme „dramatisch“ ab, „rechtsradikale“ Gruppierungen erhielten Zulauf, und mit der AfD sei eine „nationalistische Partei im Bundestag, auf die sie all ihre Hoffnungen richten“. 

Der Direktor des „Instituts für Zeitgeschichte“ erklärt: Sichtbarkeit auf der Straße sei „ein essenzielles Element, ein wichtiger Bestandteil für radikale Strömungen“, erkennbar werde „eine Front, eine Kampfposition“. Entgegenhalten könnte man ihm, dass das Demonstrationsrecht und die freie Meinungsäußerung ein essenzieller Bestandteil der Demokratie sind und dass sie auch für Gruppierungen gelten, deren Position man nicht unbedingt zu teilen vermag. Aber das scheint hier nicht so sehr von Interesse zu sein. Sekundiert wird der Historiker von einem Baseler Professor, der verkündet, dass „wir“ heute „ganz langsam“ das sehen, was schon damals passiert sei. 

Offenbar fühlt man sich in der „Monitor“-Redaktion nicht ganz wohl mit der schiefen Parallelsetzung. Daher gibt es zwischenzeitlich die Aussage, dass die AfD nicht die NSDAP sei. Unmittelbar darauf folgt jedoch die Relativierung: „Aber sie ist im Bundestag in den letzten Jahren (sic!) zum Sammelbecken der Rechten geworden und von Menschen, die ihre Unzufriedenheit bisher nur im Verborgenen ausgelebt haben.“ Jetzt trage die AfD dazu bei, „dass diese Menschen ihre Fremdenfeindlichkeit, ihren Rassismus offen zur Schau stellen können“. 

Damit der Zuschauer die Orientierung nicht verliert, wird auf die „Parallele“ zur NSDAP verwiesen, dass diese damals „auch“ viele Nichtwähler mobilisiert habe. Zum Schluss raunt der Moderator, dass es unvorstellbar sei, dass wir unsere Demokratie „in wenigen Jahren“ verlieren könnten. Aber – und hier sind wir wieder in der Endphase der Weimarer Republik: Wehe, wenn es wirtschaftlich bergab geht, denn: „Die Feinde der Demokratie stehen schon bereit.“

Nun wird Geschichte bei Weitem nicht nur in historischen Serien und erläuternden politischen Magazinen „gemacht“. Die „Tagesschau“ verkündete anlässlich des 100. Jahrestages des „Kieler Matrosenaufstandes“ am 3. November, dass die Matrosen sich „mit protestierenden  Arbeitern in ganz Deutschland“ verbündet hätten. „Das führte zur Abdankung des Kaisers und zur Gründung der Weimarer Republik.“ Wer geglaubt hatte, eine derartig undifferenzierte und eindimensionale Herstellung von Kausalzusammenhängen sei spätestens mit der Außerdienststellung des letzten DDR-Schulbuchs erledigt, sieht sich im Jahr 2018 eines Besseren belehrt.  

Dass Ende August in Chemnitz ein Mensch durch Asylbewerber ermordet, dass zwei weitere Menschen schwer verletzt wurden, ist aus der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verschwunden. Lästige Tatsachen wurden verdrängt, an deren Stelle wurden politisch passende Behauptungen gesetzt, so über die nachfolgenden Demonstrationen. In der „Monitor“-Sendung zu „Babylon Berlin“, in die auch „Chemnitz“ eingebunden wurde, war die Rede davon, dass hier Ausländer „gejagt“ worden seien. Die Legende von den „Hetzjagden“ ist zwar inzwischen gründlich widerlegt, hat sich aber längst verfestigt. Eine Podiums-Diskussion der „Zeit“, welche durch Ausstrahlung im MDR-Hörfunk ebenfalls breitenwirksam war, räsonierte anlässlich des 9. November über die „Lehren aus Chemnitz“. Auf die Möglichkeit, einen der „Gefährlichen“ als Diskutanten einzuladen, hatte man vorsichtshalber verzichtet.

Wer wirklich an historischen Zusammenhängen interessiert ist, der ist mit öffentlich-rechtlichen Medien derzeit nicht immer gut bedient. Stattdessen kann man dort hervorragend begutachten, wie Geschichte „gemacht“ wird.