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07.12.18 / Leben mit Honeckers in der DDR und in Chile

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-18 vom 07. Dezember 2018

Leben mit Honeckers in der DDR und in Chile
Dirk Klose

Der SED- und Staatsratsvorsitzende der DDR Erich Honecker war in zweiter Ehe mit der späteren Volksbildungsministerin Margot Honecker verheiratet. Beide hatten sich in der Jugendorganisation FDJ kennengelernt. Ihre Tochter Sonja hatte Anfang der 1970er Jahre einen chilenischen Wissenschaftler geheiratet. Dieser war mit zahlreichen anderen Landsleuten, die 1973 vor dem Pinochet-Regime geflüchtet waren, in die DDR gekommen. Am 10. Oktober 1974 wurde deren Sohn Roberto Leonardo Yáñez Betancour y Honecker geboren. Dessen Schicksal als Honecker-Enkel und später als entwurzelter Emigrant in Chile erzählt das Buch, das der Filmemacher Thomas Grimm in Abstimmung mit Yañez-Honecker collageartig zusammengestellt hat. 

Als Honecker-Angehörige zählte die Familie zur Nomenklatura der DDR mit all den Vergünstigungen, die diesem Personenkreis zur Verfügung standen. Für den kleinen Jungen und Jugendlichen bedeutete das eine unbeschwerte Kindheit, die er sichtlich genoss, die aber auch geprägt war von der im persönlichen Umgang liebevollen, in Sachen Erziehung und Weltanschauung aber unerbittlich „sozialistisch“ denkenden Großmutter („die böse und weise Oma“). Sehr herzlich war offenbar das Verhältnis zum Großvater, allerdings beobachtete der Junge schon früh eine gewisse Verschlossenheit, wenn das Gespräch, selten genug, auf politische Themen kam.

Nach dem Sturz Honeckers und der Wende in der DDR verließen Robertos Eltern die DDR. Das Pinochet-Regime hatte abgedankt, die geflohenen Chilenen kehrten in großer Zahl in ihre Heimat zurück, auch Robertos Vater. Für den Jungen begann ein neues Leben, das für ihn anfangs fast problemlos war. Dann aber, als die Großeltern Anfang 1993 nach längerer Haft Erich Honeckers überraschend nach Chile ausreisen konnten, holte ihn die deutsche Vergangenheit ein. 22 Jahre lebte er nach dem Tod des Großvaters im Mai 1994 mit seiner Großmutter in Santiago de Chile zusammen. Margot Honecker, man weiß es aus anderen Zeugnissen, blieb bis zu ihrem Tod im Mai 2016 eiserne Sozialistin. Sich von ihr und dem eigenen DDR-Trauma zu lösen, gelang Roberto Yáñez erst allmählich. Heute ist er Maler, Dichter und Liedtexter; der Insel-Verlag, der diese Biografie publiziert hat, hat auch schon den Lyriker Roberto Yáñez vorgestellt.

Es ist die nicht zu stillende, wohl auch verständliche Neugier der Menschen, immer wieder zu erfahren, wie die Mächtigen leben. Diesem Interesse kommt auch dieses Buch, soweit es sich auf den Alltag Robertos in der DDR bezieht, entgegen. Konkrete politische Themen werden allerdings kaum angesprochen, der Junge war ja tatsächlich noch zu jung. Die Honeckers werden als liebevolle Großeltern vorgestellt. 

Nicht allen Lesern wird das gefallen. Das Buch schildert eine dramatische Begebenheit, als Anfang 1990 das plötzlich völlig mittellos dastehende Ehepaar Honecker von einem barmherzigen Pfarrer  aufgenommen wurde. Wütende Demonstranten attackierten dessen Grundstück, ein ehemaliger Bautzen-Häftling war gar nicht zu beruhigen. 

„Dann schaute er (der Pfarrer) dem Mann ins Gesicht und sah seine wirklich verbitterten Züge: ,Was Ihnen Honecker an Unrecht getan hat, müssen Sie ihm selbst vergeben. Wenn Sie ihm nicht vergeben, frisst die Bitterkeit Ihres Herzens Sie auf. Und da hat der Mann einen Augenblick überlegt und dann gesagt: ,Ja, Sie haben vielleicht recht, ich muss vergeben und ich will vergeben.‘“ Vielleicht muss man mit dieser Gesinnung auch ein solches Buch lesen.

Roberto Yáñez, Thomas Grimm: „Ich war der letzte Bürger der DDR. Mein Leben als Enkel der Hone-ckers“, Insel Verlag, Berlin 2018,  gebunden, 256 Seiten, 20 Euro