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14.12.18 / Gipfelsturm auf dem Weg nach Süden / Die erste Autobahn im Hochgebirge führte über den Brenner

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-18 vom 14. Dezember 2018

Gipfelsturm auf dem Weg nach Süden
Die erste Autobahn im Hochgebirge führte über den Brenner
Klaus J. Groth

Auf dem Brennerpass grüßt schon von Weitem ein kolossaler Rundbau. Im Brenner Mode-Outlet kann man kaufen, was es auch im Flachland gibt. Wo früher die Bergluft klar und rein war, wabern Kohlendioxid und Stickoxide. Der Brenner ist die am meisten genutzte Transitstrecke über die Alpen. Österreichs Autobahn A13, der Abschnitt von Innsbruck bis zur österreichischen Staatsgrenze, und weiter auf der italienischen Seite die Autobahn A22 bilden zusammen die erste Gebirgsautobahn der Welt. Rund 11,5 Millionen Personenkraftwagen und zwei Millionen Lastwagen überqueren auf ihr jährlich den Brennerpass. Viele davon sind Schwertransporte, die sich auf der Kriechspur nach oben quälen. 

Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts ließ sich absehen, dass die alte Brennerstraße dem zunehmenden Tourismus und Warenverkehr bald nicht mehr gewachsen sein würde. Eine Autobahn sollte zum Brenner, dem mit 1375 niedrigsten Alpenhauptkamm, hinaufführen. Schon 1939 hatte es Überlegungen für eine Autobahn von München bis Modena gegeben. Das Projekt wurde aber als technisch unmöglich ad acta gelegt. Nun kamen die Pläne wieder auf den Tisch. Die Projektierung war für Bedenkenträger ein Albtraum. Drei Trassen standen zur Diskussion. Die Wahl fiel auf die kühnste, weil sie den besten Anschluss der Stadt Innsbruck ermöglichte. Das Hauptproblem war der tiefe Einschnitt der Sill, eines rechten Nebenflusses des Inn. Eine Brücke sollte auf 190 Meter hohen Stelzen das Tal auf einer Länge von 800 Metern überspannen. Mehr als ein Viertel der 36 Kilometer langen Autobahnstrecke musste über Brücken verlaufen, von denen die Luegbrücke bei Gries mit 1800 Metern die längste sein würde. Mit Steigungen bis zu 6,1 Prozent und Kurvenradien bis zu 400 Metern glich die Trasse einer futuristischen Achterbahn. 

Der Spatenstich für die Brücke über die Sill, dem ersten Teilstück von Innsbruck nach Schönberg, erfolgte am 25. April 1959 durch Österreichs Bundesminister für Handel und Wiederaufbau, Fritz Bock. Der Beifall war groß, als der Minister den Namen des Bauwerks bekanntgab. Es sollte den Namen Europabrücke tragen, als Zeichen dafür, dass die Brennerautobahn einen wichtigen Beitrag für die europäische Integration leiste. Sie bringe Österreich und dem Land Tirol „Ruhm und Ehre“. Hohe Kosten ließen den Weiterbau schon drei Jahre später stocken. Eine Maut sollte die Finanzierung sichern. Auf Beschluss des Nationalrats wurde die Brenner Autobahn Aktiengesellschaft gegründet, die später in der 1982 gegründeten und noch heute bestehenden Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) aufging. 65 Prozent der Anteile gehörten dem Bund und 35 Prozent dem Land Tirol. Beim Bau der Europabrücke, damals die höchste Europas, kamen 22 Arbeiter ums Leben. Der Legende nach wurden ihre Leichen in den Pfeilern einbetoniert, weil der Transport nach oben unmöglich erschien. Vor 50 jahren, am 22. Dezember 1968 wurde der 13965 Kilometer lange Autobahnabschnitt zwischen den Anschlussstellen Matrei-Steinach und Brennersee freigegeben.

Auf der italienischen Seite begann der Bau der Brennerautobahn vier Jahre später. Die 314 Kilometer lange Strecke der italienischen Autobahn A22 führt durch 29 Tunnel und über Viadukte. Sie endet in Modena. Auf dem Pass vereinen sich beide Autobahnen zur Europastraße 45. Vor 50 Jahren, am 21. Dezember 1968, wurde der etwa 50 Kilometer lange erste Autobahnabschnitt im Etschtal von Bozen nach Trient für den Verkehr freigegeben

Das Jahrhundertwerk setzte die spektakuläre Geschichte des Brenners fort. Er war schon in der Bronzezeit ein Multikulti-Gipfel, den Menschen aus allen Ecken Europas passierten. Von Völkerverständigung konnte aber keine Rede sein. Nur die Händler kamen mit ihren Waren in friedlicher Absicht. Die Kimbern und Teutonen nahmen diesen Weg auf ihren Eroberungszügen gen Süden, die Römer schick­ten ihre Heere über den Brenner nach Germanien. Ihr Kaiser Septimius Severus ließ den unwegsamen Saumpfad zwischen 195 und 215 zu einer gepflasterten Straße ausbauen, um die Kolonien am Rhein verkehrstechnisch besser anzubinden. Ein gut erhaltenes Stück ist heute in der Raststätte Brenner zu besichtigen. Von der Kunst der Römer im Straßenbau profitierten die Westgoten, als sie sich nach Italien aufmachten, um dem weströmischen Reich den Todesstoß zu versetzen. 

Im Mittelalter war der Mons Brennerus, wie er in den Chroniken genannt wird, der am meisten genutzte Alpenübergang. 90 Prozent des Fernhandels zwischen Augsburg und Venedig liefen über ihn, etwa 6500 Frachtwagen pro Jahr wurden von Maultier und Mensch nach oben gezogen. 

Der Name Brenner leitet sich vermutlich von Bernstein (Brennstein) ab, der seit dem Altertum von der Ostsee bis nach Nordafrika gehandelt wurde. Die Erfindung des Schwarzpulvers verschaffte den Reisenden Erleichterung. Felsen wurden weggesprengt und die Straße verbreitert. Anfang des 16. Jahrhunderts nahm eine Postkutschenlinie den Dienst auf. Auch Johann Wolfgang von Goethe reiste mit dem gelben Wagen von Innsbruck kommend über den Brenner an den Gardasee und weiter bis Sizilien. Im Posthaus, der einzigen Herberge auf dem Gipfel, nahm er Quartier, aber der Wirt wollte den Touristen möglichst schnell loswerden, weil, wie Goethe in seiner „Italienischen Reise“ schreibt, der Mann die Pferde am Tag darauf zur Heuernte brauchte. So fuhr der Dichter bei Mondschein hinab zur nächsten Poststation.

Heute flankieren über 20 Raststätten und mehrere Hotels die Route, und keiner der Betreiber fasst noch eine Heugabel an. Auch wenn der Mond scheint wie zu Goethes Zeiten und schneebedeck­te Gipfel sein mildes Licht reflektieren, steht den Anrainern der Brennerautobahn der Sinn nicht nach Romantik. Die Bürgerinitiative Transitforum Austria-Tirol hat den Brenner wegen der Belastung der Umwelt mit Abgasen und Lärm zum Unort erklärt. Lärmmessungen an der A 13 überschreiten nach Angaben des Forums den Grenzwert von 60 Dezibel bei Tag um 150 Prozent und bei Nacht den zulässigen Wert von 50 Dezibel um 280 Prozent. Seit Jahren verlangen die Bürger von der ASFINAG einen wirksamen Lärmschutz. Der Bau des Brenner Basistunnels (BBT) für die Eisenbahn soll eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene bringen, um die Emissionen einzudämmen. Die Freigabe des 27 Kilometer langen Haupttunnels ist für 2026 geplant.