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14.12.18 / Der erste ohne SPÖ-Ticket / Vor 100 Jahren wurde der sechste Präsident der Zweiten Republik, Kurt Waldheim, geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-18 vom 14. Dezember 2018

Der erste ohne SPÖ-Ticket
Vor 100 Jahren wurde der sechste Präsident der Zweiten Republik, Kurt Waldheim, geboren
Erik Lommatzsch

Auch eher geneigte Historiker beurteilen den ersten nicht von der SPÖ, sondern von der ÖVP vorgeschlagenen Bundespräsidenten der Zweiten Republik ambivalent. Manfried Rauchensteiner etwa sieht Kurt Waldheim als „Bundespräsidenten zwischen dem Ungewöhnlichen und dem Unvermeidlichen“. In der Alpenrepublik gilt die Diskussion über die Person Kurt Waldheims als Abkehr von der Lesart, das Land sei ausschließlich das „erste Opfer“ Adolf Hitlers gewesen und Beginn einer differenzierteren Betrachtung.

Kurt Waldheim wurde am 21. Dezember 1918 in Niederösterreich geboren. Er besuchte die Konsularakademie, studierte Rechtswissenschaften und wurde 1944 an der Universität Wien promoviert. Bereits vor dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich war er zum Kavallerieoffizier ausgebildet worden. Mit Unterbrechungen erlebte er den Zweiten Weltkrieg von Beginn an als Soldat. Am Polen- und Westfeldzug der Wehrmacht nahm er teil, in der Sowjetunion wurde er verwundet. Nach seiner Genesung wurde er ab März 1942 auf dem westlichen Balkan und in Griechenland eingesetzt. Tätig war er unter anderem als Dolmetscher und Ordonnanzoffizier. Seit August 1942 wirkte er im Generalstab unter Alexander Löhr, der im Februar 1947 in Belgrad als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurde. Waldheims letzte Beförderung – zum Oberleutnant – erfolgte im Dezember 1942.

Nach dem Krieg ging Waldheim zielstrebig seinen ursprünglich eingeschlagenen Weg. Er war Sekretär des Außenministers Karl Gruber, verschiedene diplomatische Verwendungen folgten, er wurde Botschafter in Kanada und bei den Vereinten Nationen. Unter Bundeskanzler Josef Klaus von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) stand er schließlich selbst zwischen 1968 und 1970 an der Spitze des Außenministeriums. 1971 kandidierte er erfolglos für das Amt des österreichischen Bundespräsidenten, im selben Jahr wurde er zum UN-Generalsekretär gewählt. Eine dritte Amtszeit scheiterte 1981 am Widerstand der Volksrepublik China. In der Folgezeit wirkte er als „Distinguished Professor“ an der Wa­shingtoner Georgetown University. Im März 1985 wurde ihm durch den ÖVP-Parteiobmann Alois Mock ein weiteres Mal die Kandidatur für das höchste Staatsamt angeboten. Waldheim nahm an. Ein Wahlkampfargument war seine bis dahin kaum infrage stehende internationale Reputation.

Am 8. Juli des Jahres 1986 endete die Amtszeit des Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger, im vorausgegangenen Frühjahr begannen die Angriffe auf Waldheim. Das österreichische Nachrichtenmagazin „Profil“ und namentlich der Redakteur Hubertus Czernin veröffentlichten eine Reihe von Artikeln, die sich mit Waldheims Tätigkeit in der NS-Zeit befassten. Vorgeworfen wurde ihm zunächst allgemein die Lückenhaftigkeit seiner biografischen Angaben über diesen Lebensabschnitt. Sowohl der Sturmabteilung (SA) als auch dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund soll er angehört haben. Obwohl entsprechenden Behauptungen Akteneinträge zugrunde liegen, bestritt Waldheim noch in seinem 1996 erschienenen Buch „Die Antwort“, in dem er die „Affäre“ aus seiner Sicht darstellt, jemals einer NS-Organisation beigetreten zu sein. 

Weit schwerer wogen Anschuldigungen, er sei auf dem Balkan an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen, bis hin zur Vermutung, er könne an der Deportation der jüdischen Bevölkerung mitgewirkt haben. Neben „Profil“ und dem politischen Gegner, der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ), war es insbesondere der Jüdische Weltkongress (World Jewish Congress, WJC), der Material gegen Waldheim vorlegte und Anschuldigungen formulierte. Das Ganze war auch intern nicht unumstritten. In Österreich kam es ob der Schwere der Vorwürfe, die sich zum Teil als falsch erwiesen, zu Reaktionen, die wiederum als antisemitische Reflexe gedeutet wurden. Immerhin erreichte der WJC, dass die USA Waldheim 1987 mit einem Einreiseverbot belegten. Von anderen westlichen Staaten wurde er kaum eingeladen.

Waldheim wehrte zunächst ab. Seine Familie habe auf der Seite des 1938 von Adolf Hitler abgesetzten Kanzlers Kurt Schuschnigg gestanden. Ein NS-Dokument von 1940 bescheinigt ihm, „in der Systemzeit durch Angeberei seine Gehässigkeit zu unserer Bewegung unter Beweis gestellt“ zu haben. Wissen über Verbrechen oder gar Beteiligung daran bestritt er. Im Fokus des WJC fühlte er sich auch, weil er in seiner Zeit als UN-Generalsekretär Entscheidungen zuungunsten Israels verantwortet hatte.

Waldheims Vergangenheit wurde – auch auf dessen eigenen Wunsch hin – von Wissenschaftlern durchleuchtet. Ergebnis der umfangreichen Aktensichtung war, dass Waldheim keine Kriegsverbrechen zur Last zu legen und seine Handlungsspielräume aufgrund seiner Stellung nur sehr gering gewesen seien. Allerdings wurde ihm auch nachgewiesen, dass er falsche Aussagen gemacht und sehr wohl besser über die damaligen Vorgänge informiert war, als er vorgegeben hatte. Proteste seinerseits seien nicht erkennbar gewesen und er habe „im Zusammenhang rechtswidriger Vorgänge mitgewirkt“.

Waldheim konnte durchaus prominente Fürsprecher ins Feld führen, etwa den sogenannten Nazijäger Simon Wiesenthal, der das nicht immer faktengestützte Vorgehen des WJC kritisierte, oder den Journalisten, Verleger und Diplomaten österreichisch-jüdischer Herkunft Lord George Weidenfeld, den er bereits aus seiner Zeit an der Konsularakademie kannte.

Der Stab über Waldheim war wohl bereits gebrochen, bevor er sein Amt antrat. Im Zusammenhang mit Waldheim gab es eine Reihe von Rücktritten, so von SPÖ-Bundeskanzler Fred Sinowatz am Tage von dessen Wahl und von ÖVP-Generalsekretär Micha­el Graff im November 1987. Letzterer hatte Waldheim mit der Äußerung verteidigen wollen, es gebe kein Problem, wenn nicht erwiesen sei, dass er „eigenhändig sechs Juden erwürgt“ habe. Von Waldheim selbst erhofften viele den freiwilligen Rückzug. Sogar sein Besuch beim Papst im Juli 1987, eine der wenigen Auslandsreisen, war von Protesten begleitet. Waldheim hielt sechs Jahre aus. Er verzichtete lediglich auf eine erneute Kandidatur. Im Juni 2007 ist er gestorben.