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14.12.18 / Wie der Weg zum Zweifrontenkrieg begann / Mit dem Inkrafttreten einer Militärkonvention entstand vor 125 Jahren der französisch-russische Zweiverband

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-18 vom 14. Dezember 2018

Wie der Weg zum Zweifrontenkrieg begann
Mit dem Inkrafttreten einer Militärkonvention entstand vor 125 Jahren der französisch-russische Zweiverband
Wolfgang Kaufmann

Russland darf nicht unter die Zahl unserer wirklichen Feinde gerechnet werden“, schrieb Friedrich der Große 1752 in seinem politischen Testament. Ganz ähnlich sah dies später auch Otto von Bismarck, der nach der Gründung des Deutschen Reiches während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 sukzessive ein europäisches Bündnissystem erschuf, das Frankreich isolieren und alle anderen wichtigen Mächte von Koalitionen gegen Deutschland abhalten sollte. In diesem System gehörte Russland zu den zentralen Größen. „Mit Frankreich werden wie nie sichern Frieden haben, mit Russland nie die Nothwendigkeit des Krieges“, lautete das diesbezügliche Credo des Eisernen Kanzlers. 

Mit dem Dreikaiserabkommen von 1873 und dem Dreikaiserbund von 1881 bemühte sich Bismarck um ein Dreierbündnis aus Deutschem Reich, Österreich-Ungarn und Russland. Die Rivalitäten der beiden Ostmächte um das Erbe des Osmanischen Reiches auf dem Balkan nahm jedoch dafür schließlich zu heftige Ausmaße an, sodass Bismarck schließlich auf getrennte Bündnisse mit jedem einzelnen der beiden Kaiserreiche setzte. So trat an die Seite des bereits seit 1879 bestehenden Zweibundes mit der Donaumonarchie im Jahre 1887 der Rückversicherungsvertrag mit dem Zarenreich. In diesem Geheimabkommen ga­rantierten beide Seiten einander wohlwollende Neutralität, falls Russland unprovoziert von Österreich-Ungarn oder das Deutsche Reich unprovoziert von der Französischen Republik angegriffen würde. Darüber hinaus anerkannte Deutschland die russischen Rechte auf dem Balkan und sicherte Russland in einem „Ganz Geheimen Zusatzprotokoll“ Un­ter­stützung für den Fall zu, dass das Zarenreich seinen Zugang zum Mittelmeer durch die türkischen Meerengen verteidigen müsse.

1890 stand die Verlängerung des Rückversicherungsvertrages an, doch die deutsche Führung, an deren Spitze mittlerweile nicht mehr Bismarck stand, verweigerte diese. Berlin argumentierte, dass zumindest der Geist des Rückversicherungsvertrages sich nicht mit dem Bündnis mit Wien vereinbaren lasse. 

Die Folgen des Auslaufens des deutsch-russischen Neutralitäts­paktes waren dramatisch. Um nun nicht alleine dem Bündnis der benachbarten Großmächte gegenüberzustehen, suchte Russland nolens volens die Annäherung an die verbleibende vierte kontinentale Großmacht, ganz im Sinne der Panslawisten, denen eine Vereinigung aller Slawen einschließlich jener im Hohenzollernstaat und im Habsburgerreich unter russischer Führung vorschwebte. Dieser Versuch einer Annäherung stieß in Paris auf Gegenliebe, war man dort doch offen für jede Chance, die von Bismarck betriebene Isolierung zu beenden. 

Doch nicht nur aus politischen, auch aus wirtschaftlichen Gründen bot sich eine Zusammenarbeit an. Während der Sieg Frankreichs und seiner Verbündeten über Deutschland im Ersten Weltkrieg die Verarmung des Verlierers zur Folge hatte, hatte der deutsche Sieg über Frankreich im Deutsch-Französischen Krieg nicht etwa eine analoge Verarmung Frankreichs  zur Folge gehabt. Vielmehr folgte dem deutschen Sieg die Belle Époque (schöne Epoche). Französisches Kapital suchte lukrative Anlagemöglichkeiten, und Russland hatte für die anvisierte Modernisierung einen enormen Investitionsbedarf. 

Auf Initiative französischer und russischer Militärs wurde zunächst auf den Abschluss einer Militärkonvention hingearbeitet. In diesem Zusammenhang besuchte ab dem 23. Juli 1891 ein französisches Flottengeschwader unter Konteradmiral Alfred Albert Gervais die russische Marinebasis Kronstadt. Während des Treffens, das ungeachtet des ideologischen Gegensatzes, dass Russland eine Autokratie und Frankreich eine Republik war, zum regelrechten Verbrüderungsfest geriet, ertönten die Nationalhymnen beider Länder, sodass die zaristischen Offiziere und ihr oberster Dienstherr pikanterweise zur revolutionären „Marseillaise“ salutierten beziehungsweise barhäuptig verharrten. 

Damit war der Boden für die geheime Militärkonvention bereitet, die am 5. August 1892 zur Unterzeichnung kam. Darin verpflichteten sich Russland und Frankreich zur gegenseitigen Hilfe, falls eines der beiden Länder vom Deutschen Reich und einem von dessen Dreibundpartnern, also Österreich-Ungarn oder Italien, angegriffen wurde. In der zweiten Oktoberhälfte 1893 statteten russische Marineeinheiten Toulon einen zweiwöchigen Gegenbesuch ab, der wiederum zu einem wahren Freudentaumel führte. Kurz nach dem Besuch und einem kurzen Briefwechsel zwischen Paris und Sankt Petersburg wurde die Militärkonvention ratifiziert. Am 4. Januar 1894 trat die Konvention zwischen den beiden kontinentalen Flügelmächten und großen Nachbarn des Deutschen Reiches in Kraft, die Geburtsstunde des sogenannten Zweiverbandes.

Die deutsche Seite reagierte hierauf mit demonstrativer Gelassenheit. Einerseits war das französisch-russische ein Defensivbündnis. Und andererseits gelang es dem Deutschen Reich mit einem am 10. Februar 1894 mit Russland geschlossenen bilateralen Handelsvertrag, der die gegen den jeweils anderen gerichtete Schutzzollpolitik beendete, Bismarcks vielzitierten „Draht nach Russland“ zumindest zum Teil erst einmal wiederherzustellen. 

Nichtsdestotrotz legte die französisch-russische Allianz den Keim für die fatalen späteren Entwicklungen, die schließlich im Ersten Weltkrieg gipfelten. Frankreich konnte nunmehr die Isolation durchbrechen, in die es infolge der Politik Bismarcks gedrängt worden war. 1907 gelang die Erweiterung zur wenn auch nur informellen französisch-russisch-britischen Triple Entente, der Allianz, der die Mittelmächte im Ersten Weltkrieg schließlich gegenüberstanden. 

Hierdurch wuchs in Deutschland das berechtigte Gefühl der Einkreisung, während Russland im Bewusstsein, starke Partner im Westen zu haben, sein Engagement auf dem Balkan verstärkte, was wiederum die Spannungen im Verhältnis zwischen Sankt Petersburg und Berlins Verbündeten Wien erhöhte. Wozu dies letzt­endlich führte, ist bekannt.