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14.12.18 / Majolika aus Cadinen / Ein Referat der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen in Hof

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-18 vom 14. Dezember 2018

Majolika aus Cadinen
Ein Referat der Landsmannschaft der Ost- und Westpreußen in Hof
Christian Joachim

Cadinen [Kadyny] ist ein Ort in der Gemeinde Tolkemit [Tolkmicko], heute gelegen in der Woiwodschaft Ermland-Masuren – nordöstlich von Elbing am Frischen Haff an der Ostsee.

Das kleine Dorf Cadinen liegt am Rande des Naturparks Elbinger Höhen und gehörte dem letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. Das barocke Schloss aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert ist verfallen, soll aber in naher Zukunft von einem Privatinvestor restauriert werden. Ein Ausflugsziel ist heute noch das von Wilhelm II. begründete Gestüt, in dem bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges vorwiegend Trakehner, aber auch Holsteiner gezüchtet wurden. Im südlichen Teil des Dorfes befindet sich ein besonderes Naturdenkmal: eine siebenhundertjährige Eiche. Sie hat einen Umfang von über zehn Metern und wurde nach Hans von Baysen benannt, einem berühmten preußischen Ritter und Staatsmann, der den Preußischen Bund in den Dreizehnjährigen Krieg (1454–1466) gegen den Deutschen Orden führte. Auf einer Anhöhe im Wald steht ein altes Franziskanerkloster mit Kirche. Lange Zeit eine Ruine wurde es in den letzten Jahren mithilfe von Spendengeldern von den Franziskanern wiederaufgebaut. 

Als 1898 der verschuldete Braunsberger Landrat Arthur Birkner den Landsitz dem deutschen Kaiser Wilhelm II. überließ, baute dieser ihn zu seiner Sommerresidenz aus. Interessant an Cadinen waren für den Kaiser zunächst die großen Wälder rings um den Ort mit Steilküste zum Frischen Haff. Diese Wälder ließ der Kaiser sogleich unter Schutz stellen, um hier Jagden veranstalten zu können.

Bei Cadinen gab es aber auch umfangreiche Tonvorkommen. Dieser rotbraune, eisenhaltige Ton ließ sich zu feinen keramischen Arbeiten, der Cadiner Majolika, verarbeiten. Der Begriff „Majolica“ leitet sich von der Insel Mallorca ab, wo die maurische Keramikkunst einst in Blüte stand und von dort nach Italien ausstrahlte. Im 19. Jahrhundert verwendete man den Begriff ganz allgemein für bemalte und glasierte Kunstkeramik.

Um das Jahr 1900 herum kam die durch ihre leuchtenden Farben bekannte Majolika-Keramik in Deutschland in Mode. So entstand die „Königliche Majolika- und Terrakotta-Werkstatt“ in Cadinen.

In der Kaiserzeit bestimmte der Geschmack Wilhelms II, der sich an der griechischen Antike, der italienischen Renaissance, aber auch an der Neorenaissance und dem Jugendstil orientierte, die Formen und das Dekor der Keramik. Das Sortiment umfasste Bildnisreliefs, Büsten, Wand- und Prunkteller, Deckeldosen, Vasen, Wandschmuck, Tischlampenfüße und große Blumenkübel, die sich nur betuchte Kunden leisten konnten.

Neben Keramikfiguren und Gebrauchsgegenständen wurde auch Bauwerkkeramik gebrannt. Die Kacheln im alten Hamburger Elbtunnel stammen aus Cadinen. Für die Gestaltung der Keramik stellten die Werkstätten Keramikkünstler ein. Ludwig Manzel, Max Bezner, Wilhelm Dietrich und Oswald Bachmann waren die bekanntesten unter ihnen.

Beispiele für das große künstlerische und handwerkliche Können der Cadiner Werkstätten findet man noch heute. In der Villa Patschkie in Danzig-Langfuhr sind Wandfliesen aus Cadinen im Stil der Neorenaissance aus der Zeit um 1910 erhalten geblieben. Sie schmücken das Portal zum 

Vestibül der Villa und sind mit Girlanden, Vasen und drei allegorischen Frauenfiguren verziert. Im Hamburger Hotel „Atlantic“ hängt ein mit Majolikafliesen gestaltetes zwei Meter hohes Wandporträt von Wilhelm II. Es stammt von Paul Heydel. Wer sich für die Keramik aus Cadinen interessiert und sich einen umfangreicheren Einblick in die Vielfalt der dort produzierten Keramik verschaffen möchte, sollte sich die ständige Ausstellung zu diesem Thema im Ostpreußischen Landesmuseum Lüneburg anschauen. Auch in der Abteilung „Flüchtlinge und Vertriebene in Hof“ des Hofer Museums Bayerisches Vogtland ist ein schönes Exemplar zu bewundern. 

Das zweite wirtschaftliche Standbein in Cadinen war die Herstellung von Ziegelsteinen, die vor dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) ein Verkaufsschlager waren. Zur Kaufmasse hatte auch eine Ziegelei gehört. Im Zuge der Modernisierung der Ziegelei und der Errichtung der Manufaktur für die Majolikaherstellung ließ Wilhelm II. neue Fabrikgebäude, Wohnhäuser, eine Schule, ein Postgebäude und eine Kirche errichten. 

Die Architekten orientierten sich an der Architektur der Ordensburgen aus dem Mittelalter. Man spricht auch vom „Ordensland-Stil“. Die meisten der Häuser sind erhalten geblieben. Typisch sind die Verwendung von rotem Backstein und Fachwerkelemente, die die Fassaden auflockern. Viele der Häuser aus der wilhelminischen Zeit sind noch erhalten. Nur die neogotische Kirche brannte 1945 nieder. 

Nach dem Ersten Weltkrieg musste sich die Manufaktur umorientieren. Die Keramikerzeugnisse waren Ladenhüter, vielleicht auch, weil sie mit dem Kaiser in Verbindung gebracht wurden. Der Retter aus der wirtschaftlichen Not hieß Wilhelm Dietrich. Der Keramikmaler und ab 1926 Direktor der Werkstätten stellte die Produktion auf Ofenkacheln um, die sich gut verkauften. Auch mit Nachbildungen von Prunköfen aus Danzig und Elbing erzielten die Cadiner Gewinn. Eine Marktnische bedienten sie in den 1930er Jahren mit der Herstellung von Tierfiguren: Falken, Eisbären, Pumas, Pferde und Löwen. Die Entwürfe stammten von den Keramikkünstlern Arthur Steiner, Heinrich Splieth, Max Bezner und Albert Hinrich Hußmann. 

Erfolgreich waren die Cadiner auch nach 1918 mit der Ziegelproduktion. Die Grundlage dafür hatte der Kaiser bereits um die Jahrhundertwende gelegt. Eine Schmalspurbahn transportierte die Ziegelsteine zu einem kleinen Hafen am Haff, wo sie verschifft wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte die Ziegelei ihre Produktion steigern. Ein bedeutender Großkunde war die öffentliche Hand. Noch einmal stieg der Ausstoß von Ziegelsteinen während der Zeit des Nationalsozialismus an. 1938 waren in Cadinen zwei Ringöfen und zwei vollautomatische Strangpressen im Einsatz. Jeden Tag verließen 24000 Ziegel und 6000 Dachpfannen das Werk. 

Die Herstellung der Cadiner Majolika endete 1945. Die Einwohner des Ortes flohen vor der heranrückenden Front in Richtung Westen. Unter den Flüchtenden befand sich der Direktor der Majolika-Werkstätten, Wilhelm Dietrich, den es über Thüringen nach Pinneberg in Schleswig-Holstein verschlug, wo er 1961 verstarb. Die Ziegelei jedoch wurde von den neuen polnischen Bewohnern weitergeführt.