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04.01.19 / Wo der Nimbus des finnischen Soldaten entstand / In der Schlacht von Suomussalmi besiegte der skandinavische David den sowjetischen Goliath

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-19 vom 04. Januar 2019

Wo der Nimbus des finnischen Soldaten entstand
In der Schlacht von Suomussalmi besiegte der skandinavische David den sowjetischen Goliath
Michael Foedrowitz

Kein Rauschen in den Bäumen. Kein Vogelgesang. 17000 Felsblöcke stehen stumm vor einem Monument, von dem ein leises, silbernes Läuten ertönt. Kleine Metallplättchen, die Erkennungsmarken der Soldaten assoziieren, sind zwischen zwei gebogenen Betonstelen vom Wind bewegt, stoßen bei dem leisesten Windhauch an kleine Glöckchen. Geben Laute wie ein Zeichen aus dem Jenseits.

Es ist die Gedenkstätte nahe Suomussalmi im hohen Norden Europas, die an den sogenannten Winterkrieg (November 1939 bis März 1940) erinnert. Auf und neben der 18 Kilometer langen

Straße sind wahrscheinlich 20000 russische Soldaten ums Leben gekommen, gefallen im Kampf, versunken im Sumpf, erfroren und verhungert, exekutiert vom NKWD, der sowjetischen Geheimpolizei.

Ort und Geschehnis sind in der Öffentlichkeit nicht in dem Maße beachtet worden, wie es der Massentragödie gebühren würde. Ein junger Finne sagte es so: „Die Amerikaner hatten an einem Landeabschnitt in der Normandie Juni 1944 2000 Mann Verluste, und eine Unmenge Filme mit den besten Schauspielern der Welt sind darüber produziert worden. Hier ist die zehnfache Menge junger Männer ums Leben gekommen, und es gibt keinen einzigen Film!“

Moskau hatte diesen Angriffskrieg ab August 1939 vorbereitet, heimlich in der arktischen Wildnis Straßen und Eisenbahnen in Ost-West-Richtung zur finnischen Grenze vorgetrieben. Am 30. November 1939 wurde mit dem fingierten Vorwand, finnische Artillerie hätte das Dorf Mainila beschossen und sowjetische Soldaten getötet, angegriffen.

Der Vorstoß verlief von der sowjetischen Grenze über Raate auf der Straße nach Westen (die heutige 9195 oder Raatteentie). Die Sowjets sollten an der dünnsten Stelle Finnlands zur Ostsee durchstoßen und die Landverbindung Südfinnland zum Norden des Landes wie auch Schweden unterbrechen. Die übermächtige UdSSR mit 200 Millionen Menschen war gegen das kleine Finnland mit drei Millionen Bewohnern angetreten. Keine Frage, die gesamte Weltöffentlichkeit stand auf Seiten der Finnen. Und hier im Raum Suomussalmi kämpften 11500 Finnen gegen 36000 Sowjets.

Es waren Verbände der 44. motorisierten Schützendivision unter dem Kommando von Brigade-Kommandeur Alexej Winogradow aus dem Militärbezirk Schitomir in der Ukraine, die gerade an dem Angriff der UdSSR auf Polen teilgenommen hatte und nun mit 18000 Mann per Bahn nach Norden transportiert wurde. Die Soldaten sprachen miteinander, sie wussten, wo es hinging. Sie fühlten sich mit den Finnen verbunden, die wie sie 1917 um ihre Unabhängigkeit gekämpft hatten. Einige wollten nicht an diesem Unrecht eines nicht gerechtfertigten Angriffs teilnehmen und desertierten aus einem Transportzug: insgesamt 69 Mann. Die offizielle Begründung für die sowjetische Aggression war, dass man die „unterdrückten“ Finnen von ihrem vorgeblich blutrünstigen Führer Carl Gustaf Emil Mannerheim befreien wollte.

Am 13. Dezember 1939 hatte die 44. die russisch-finnische Grenze überschritten. Die Division sollte der schwer bedrängten 163. Schützendivision, die von Norden auf Suomussalmi vorstieß, helfen, sich mit ihr vereinigen, um dann auf Suomussalmi vorzustoßen. Die Division war mit ihren Panzern, Fahrzeugen und Feldküchen auf diese Straße angewiesen, denn rechts und links waren versumpfte Wälder, in die man nicht ausweichen konnte. Dort konnte man keine Schützenlöcher graben, weil sie sofort mit Wasser vollliefen. Felsboden und zahlreiche knorrige Wurzeln ließen oftmals gar kein Eingraben zu. Die russischen Soldaten hatten zudem Angst, in die Wälder zu gehen, weil aus ihnen die schnellen finnischen Vorstöße stattfanden, die den Tod brachten, den „weißen Tod“ wie die Rotarmisten ihn nannten. 

Während des sowjetischen Vorstoßes nach Westen gingen nördlich und südlich der Straße, von Waldstreifen sichtmäßig geschützt, Einheiten der finnischen 9. Division auf Skiern und Schneeschuhen unter dem Befehl von Oberst Hjalmar Siilasvuo in entgegengesetzter Richtung nach Osten vor, zumeist auf zugefrorenen Seen. Sie waren lautlos und schnell. Kaum zu sehen mit ihrer schneeweißen Tarnkleidung, während die Schützen der 44. teilweise normale Sommermäntel trugen.

Während es verhältnismäßig einfach war, mit schwachen Kräften die Straßen zu sperren, griffen aus den Waldstreifen die Finnen die sowjetische Kolonne an, von Süden und Norden überquerten sie die Straßen, erschossen die Russen, teilten den Lindwum der Roten Armee in zahlreiche kleine Kessel (Motti), die dann einzeln vernichtet wurden. Die Methode nannte man „Motti-Taktik“. So wurde die sowjetische Schützendivision vom 1. bis zum 7. Januar 1940 Stück für Stück zerschlagen.

Die sowjetischen Verluste wurden von Moskau für die 44. Schützendivision mit 4700 Toten und die von Norden zu einem Klammerangriff angetretene 163. Schützendivision mit etwa 3700 Toten beziffert. Diese Angaben stimmen höchstwahrscheinlich nicht. Insgesamt fielen im Winterkrieg 138000 sowjetische Soldaten.

Nur wenige Soldaten gerieten im Winterkrieg in finnische Gefangenschaft. Man ging davon aus, dass die 5000 bis 6000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die nach dem Friedensschluss am 13. März 1940 den Sowjets übergeben worden sind, samt und sonders ermordet worden seien. Das traf jedoch „nur“ für die Offiziere zu. Nach der Gorbatschow-Ära meldeten sich letzte Veteranen, einfache ukrainische Soldaten, die den Fernsehsendern ihr Martyrium schilderten.

Brigade-Kommandeur Winogradow konnte aus einem Kessel entkommen und sich zu den sowjetischen Linien durchschlagen. Er wurde für die spektakuläre Niederlage, die den Nimbus des finnischen Soldaten schuf, vor ein sowjetisches Erschießungskommando gestellt und hingerichtet.