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04.01.19 / Streitbarer Kommentator und Geschichtsschreiber / Zu keiner Zeit passte der vor 20 Jahren gestorbene Journalist und Essayist Sebastian Haffner in ein Links-Rechts-Schema

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01-19 vom 04. Januar 2019

Streitbarer Kommentator und Geschichtsschreiber
Zu keiner Zeit passte der vor 20 Jahren gestorbene Journalist und Essayist Sebastian Haffner in ein Links-Rechts-Schema
Erik Lommatzsch

Sebastian Haffner sei „so etwas wie ein Volksschullehrer für deutsche Geschichte in einem geschichtslosen Land geworden“ – so sein Biograf Uwe Soukup, der den Journalisten in den 1990er Jahren noch persönlich kennengelernt hat. Präsent war Haffner vor allem in der alten Bundesrepublik durch Beiträge in großen Zeitungen und Magazinen wie „Die Welt“ und „Stern“, aber auch in Rundfunk und Fernsehen. Hier war er oft in der Runde des von Werner Höfer moderierten „Internationalen Frühschoppens“ zu Gast. Eine Reihe von Essays und Büchern widmet sich gut lesbar und zugleich anspruchsvoll historischen Themen. Haffner blickte immer wieder auf Preußen, vor allem aber auf die deutsche Zeitgeschichte. Obwohl er sich nicht akademisch forschend betätigte, wurden seine Thesen auch von der Wissenschaft aufgegriffen und diskutiert. 

Geboren wurde er Ende Dezember 1907 in Berlin als Raimund Pretzel. Nach Gymnasium und dem Abschluss eines juristischen Studiums arbeitete er im „Dritten Reich“ als Journalist. 1938 bat er in England, wo er im Auftrag von Ullstein eine längere Reportage erstellen sollte, um Asyl. Zur Begründung verwies er auf seine schwangere Verlobte und spätere Ehefrau, die „Halbjüdin“ Erika Landry, die Deutschland bereits verlassen hatte.

In Großbritannien, dessen Staatsbürger er wurde, wählte er den Namen, unter dem er bekannt wurde: Sebastian Haffner, Sebastian nach dem Komponisten Johann Sebastian Bach, Haffner nach der Haffner-Sinfonie von Wolfgang Amadeus Mozart. Verwendung fand das Pseudonym erstmalig für das Anfang 1940 in London erschienene Buch „Germany. Jekyll and Hyde“, das die Zustände in Deutschland während der NS-Zeit darstellt. Man gab sich begeistert, Premierminister Winston Churchill soll sogar angeordnet haben, dass sein Kabinett das Buch liest. Der Autor war allerdings zu dem Zeitpunkt, als er in England als Hitler-Gegner gefeiert wurde, als Deutscher noch interniert und kam erst im August 1940 wieder frei.

Hart ging Haffner mit Zeitgenossen ins Gericht, die wie er den Nationalsozialismus ablehnten, aber im Gegensatz zu ihm in Deutschland geblieben waren. Über die sogenannte innere Emigration schrieb er: „Sie war aber auf eine merkwürdige Weise unmöglich.“ Autoren etwa, die durch ihre Themenwahl – „zeitlose Idyllen, Jugenderinnerungen, Naturschilderungen“ – deutlich zu erkennen geben wollten, dass sie „unpolitisch“ zu sein gedachten, haben nach Haffner das Regime gestützt. „Jeder, der unter Goebbels arbeitete, auch wenn er sich noch so sehr als Antinazi fühlte, spielte irgendein kleines Instrument in Goebbels’ Orchester.“

1954 kam Haffner als Deutschlandkorrespondent des „Observer“, für den er seit Beginn der 1940er Jahre tätig war, zurück nach Berlin. „Ich gehöre leider hierher.“ Engländer könne man nicht werden, wenn man nicht dort geboren und zur Schule gegangen sei, meinte er. Mit seinem Arbeitgeber überwarf er sich Ende Juli 1961. Die Londoner verfolgten eine nach Haffners Verständnis zu nachgiebige Haltung bezüglich des besonders in Berlin schwelenden Ost-West-Konflikts, der nur zwei Wochen später mit dem Mauerbau einen Höhepunkt erreichen sollte. Mit dem Springer-Verlag wiederum lag er wegen der „Spiegel“-Affäre im Herbst 1962 über Kreuz. Massiv setzte er sich für die seiner Meinung nach unterminierte journalistische Freiheit des Hamburger Nachrichtenmagazins ein. Die Reaktion der Polizei auf die Demonstration am 2. Juni 1967 in West-Berlin gegen den Schahbesuch, in deren Folge der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde, bezeichnete Haffner als „einen systematischen, kaltblütigen Pogrom, begangen von der Berliner Polizei an Berliner Studenten“. 

Politisch eindeutig zuzuordnen war Haffner wohl immer nur mit der jeweiligen Aussage zur jeweiligen Situation. In ein Links-Rechts-Schema passte er nie. 

In seinem 1969 erschienen Buch „Die verratene Revolution – Deutschland 1918/19“ stieß er unter anderem Friedrich Ebert vom Sockel. Haffner vermochte nur bei wenigen Akteuren dieser Monate, etwa bei Kurt Eisner, wirklich revolutionären Willen zu entdecken. Die Chance zum Umschwung sei vertan worden. In kürzeren Abhandlungen und Rundfunksendungen wusste Haffner darzulegen, warum die Deutschen Schlachten hätten gewinnen können, aber die beiden Weltkriege verloren, und warum sie Stabilität weit mehr schätzen als Demokratie. Zudem vertat er die bemerkenswerte Ansicht, dass „aller Wahrscheinlichkeit nach“ der Zweite Weltkrieg verhindert worden wäre, hätten die Deutschen den Versailler Vertrag nicht unterschrieben.

Große Aufmerksamkeit findet bis heute Haffners 1978 erschienener Essay „Anmerkungen zu Hitler“. Der Autor vertritt – zwar nicht als einziger, aber prononciert wie kaum ein anderer – die Meinung, Hitler habe das Kompetenzchaos im Dritten Reich, etwa die vielfältigen Überschneidungen bei Zuständigkeiten der Staats- und Parteidienststellen, bewusst herbeigeführt, um sich letztendliche Entscheidungen selbst vorbehalten zu können.

In dem opulent illustrierten Band „Preußen ohne Legende“ schreibt er, dieser Staat sei auf- und untergegangen „wie ein Meteor“. Einen großen historischen Bogen schlug er noch einmal 1987. In seiner ein reichliches Jahrhundert umspannenden Darstellung deutscher Geschichte „Von Bismarck zu Hitler. Ein Rück­blick“ bezog er abermals streitbare Positionen. „Im Gegensatz zu manchen unschön auftrumpfenden Äußerungen“ sei Wilhelm II. „im Grunde genommen eine sensible, nervöse, friedliebende Natur“ gewesen. Wirtschaftliche und politische Entwicklung hängen Haffners Meinung nach nicht so eng zusammen, wie es so mancher Interpret gern hätte und „Nischen“ für Unangepasstes habe es im Dritten Reich sehr wohl bewusst gegeben. 

Im Oktober 1949 hatte Haffner bezüglich der deutschen Teilung in einem Zeitungsartikel noch geschrieben, nichts sei beschlossen, das sei ein „gefährlicher Irrtum“. 1987 schrieb er, eine Wiedervereinigung komme „für die beiden deutschen Staaten … heute nicht mehr wirklich in Frage … aus handfesten politischen Gründen“. Wie man sieht: Auch große Geister – und Sebastian Haffner gehört zweifelsfrei dazu – können irren. Am 2. Januar 1999 ist er gestorben.