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11.01.19 / Frontstellung gegen PiS / Neuaufstellung der bürgerlichen Parteien in Polen vor der Europawahl – Reformen kämen deutschen Rückwanderern zugute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-19 vom 11. Januar 2019

Frontstellung gegen PiS
Neuaufstellung der bürgerlichen Parteien in Polen vor der Europawahl – Reformen kämen deutschen Rückwanderern zugute
Thomas W. Wyrwoll

Ende vergangenen Jahres ist es in der Republik Polen zu einer umfassenden Neuaufstellung der vor allem in den ostdeutschen Gebieten starken bürgerlichen Parteien des Staates gekommen, die in Widerstreit zum regierenden Block um die nationalistische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) stehen. 

Zunächst hatte Anfang Dezember die sich als EU-freundlich und wirtschaftsliberal gerierende „.Nowoczesna“ („Die Moderne“, kurz: .N) die seit dem März bestehende Fraktionsgemeinschaft mit der mandatsmäßig bedeutendsten Oppositionspartei, der ebenfalls westorientierten „Bürgerplattform“ (PO), aufgekündigt. Die verbliebene PO-Fraktion änderte daraufhin ihren Namen von „Plattform.Moderne – Bürgerkoalition“ beziehungsweise „Bürgerkoalition“ (Platforma. Nowoczesna Koalicja Obywatelska) in „Bürgerplattform – Bürgerkoalition“ (Platforma Obywatelska – Koalicja Obywatelska). Grundlage hierfür war dabei nicht ein Parteitagsbeschluss, sondern einer der Parlamentsfraktion im Warschauer Sejm. 

Die erst im Frühjahr 2015 formierte „.N“ war ursprünglich als liberale Erneuerungsbewegung angetreten und sorgte unter ihrem Gründer Ryszard Petru als eigentliche Vertretung der Opposition im Sejm landesweit immer wieder für Furore, wurde dann aber durch prowestlich-nationalistische Kreise um die spätere Parteichefin Katarzyna Lubnauer von innen zersetzt, die 2017 die Macht übernahmen. 

Die durch US-Strippenzieher aufgebaute Lubnauer war bereits im Januar 2018 vom machtvollen Amt der Fraktionsvorsitzenden verdrängt worden, ersetzte in der neuerlichen Umbruchphase im Dezember aber kurzzeitig wieder ihre Nachfolgerin Kamila Gasiuk-Pihowicz, die daraufhin als Stellvertretende Vorsitzende mit sieben weiteren „.N“-Abgeordneten zur neuen PO überwechselte. 

Der ausgedünnten „.N“ verbleiben nach einem Neueintritt – Jacek Protasiewicz von den „Union der Europäischen Demokraten“ – nur noch 15 ihrer ursprünglich 28 Mandate. Lubnauer wurde ob dieses Desasters nach nur einem Tag an der Frak­tionsspitze durch Pawel Pud­lowski abgelöst, einem in Niederschlesien geborenen Manager aus der Energiebranche mit Verbindungen in den angelsächsischen Politikbetrieb.

Unmittelbar darauf ernannte die Partei Jacek Sutryk zum Leiter ihres sogenannten Selbstverwaltungsrates und versuchte, den populären Politiker für „höhere“ Aufgaben zu gewinnen. Der in Breslau geborene Soziologe war im August als gemeinsamer Kandidat von PO und „.N“ auf Vorschlag der letzteren im ersten Wahlgang mit knapp mehr als der Hälfte aller Stimmen und damit deutlich vor dem Kandidaten der PiS mit „nur“ 27,5 Prozent zum Stadtpräsidenten von Breslau gewählt worden. Einen Beitritt zur „.N“ lehnte Sutryk allerdings bis auf Weiteres entschieden ab, sodass der Partei weiterhin ein zugkräftiger Politiker an ihrer Spitze fehlt.

Die neue PO stellte kurz nach ihrer Neukonstituierung das Programm „Höhere Löhne“ vor, das eine noch stärkere Senkung der beiden Einkommenssteuersätze als das bisherige Programm der „.N“, nämlich von bisher 18 und 32 Prozent auf zehn und 24 Prozent, vorsieht. Weitere Pläne für Änderungen des Parteiprogramms waren indes bisher nicht zu vernehmen, und auch die genaue personelle Aufstellung der PO für die anstehenden Wahlen bleibt abzuwarten.

Der 2017 entmachtete Gründer der „.N“ und bis dahin faktische Oppositionsführer im Sejm, Ry­szard Petru, ein in Breslau geborener Reform-Ökonom und früherer Mitarbeiter Leszek Balcerowicz’, der gemeinsam mit Joanna Scheuring-Wielgus sowie seiner Lebensgefährtin Joanna Schmidt im Frühjahr die „.N“ verlassen und im Juni eine „liberal-soziale“ Proto-Partei begründet hatte, hob eine Bewegung mit dem Namen „Jetzt!“ (Teraz!, T!) aus der Taufe. Deren Programm sieht vor: eine einheitliche Lohn- und Einkommenssteuer von gar nur 16 Prozent, die Änderung der Gießkannen-Sozialpolitik der PiS bei Beibehaltung der finanziellen Familienförderung und Einführung kostenloser Kinderbetreuung, einen „weltanschaulich neutralen Staat“ einschließlich einer für die PiS bereits provokativen Ladenöffnung am Sonntag, einen Beitritt zum Euro bei Maßnahmen zur Festhaltung des bisherigen Preisniveaus, Liberalisierungen im Wohnungsbau- und Mietwesen, umfangreiche Privatisierungen des Staatseigentums einschließlich des von der PiS geschaffenen und als parteipolitisches Instrument verwendeten Polnischen Nationalfonds, zumindest abseits des strategisch relevanten und Sicherheitsbereichs, sowie eine festgelegte Grundfinanzierung von Kultur und Bildung in Höhe von einem Prozent der Körperschaftssteuer. 

Auch weitere Abtrünnige der „.N“, darunter Anna Skiba und mit ihr fast die gesamte frühere Parteiführung des Karpatenvorlandes, etwa 40 führende Mitglieder der Partei in der Woiwodschaft Westpommern und der frühere Leiter des „.N“-Ju­gendverbandes Adam Kadziela haben sich inzwischen der „T!“ angeschlossen, die sich damit rasch zu einer auch personell nennenswerten liberalen Alternative mauserte. 

Eine Umsetzung der von ihr angedachten Reformen ist der „T!“ selbst als zahlenmäßiger Juniorpartner einer Regierungskoalition durchaus zuzutrauen und würde zumindest die ostdeutschen Gebiete für Aus- oder Rückwanderer aus der Bundesrepublik deutlich attraktiver machen, was dem Land sicher zugutekäme.

Damit dürften in etwa die bürgerlichen Parteien samt ihren aktuellen Programmen feststehen, die sich sowohl in den Europawahlen als auch in den bis zum November anzusetzenden Sejm-Wahlen gegen den nationalistischen Block um die PiS bewähren sollen. Angesichts von deren zahlreichen politischen Verfehlungen und der allgemeinen volatilen Verhältnisse in der polnischen Politik könnte es dabei zu erheblichen Veränderungen kommen.