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11.01.19 / Griechenland droht die Überalterung / Viele junge Hellenen kehren ihrem Land den Rücken oder verzichten auf die Gründung einer Familie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-19 vom 11. Januar 2019

Griechenland droht die Überalterung
Viele junge Hellenen kehren ihrem Land den Rücken oder verzichten auf die Gründung einer Familie
Peter Entinger

Aufgrund fehlender Perspektiven verlassen immer mehr junge Griechen ihr Land. Und diejenigen, die bleiben, gründen immer seltener eine Familie.

Wegen Perspektivlosigkeit, niedriger Löhne und hoher Arbeitslosigkeit haben seit 2010 gut 360000 Griechen auf der Suche nach einer besseren Zukunft ihr Heimatland verlassen. Diese Zahklen nannte jetzt das größte griechische Wirtschaftsinstitut, KEPE. Weil die Verwaltungen des Landes überfordert ist und nicht jeder Abgang registriert wird, gibt es sogar Experten, die davon ausgehen, dass bereits mehr als eine halbe Million Griechen das Weite gesucht haben. Mehr als 90 Prozent derer, die ihre Heimat verlassen haben, sind jünger als 40 Jahre alt. 

Es sind vor allem die Fachkräfte, deren Auszug erfasst wurde. Nach Angaben des Athener Ärzteverbands sind seit 2010 schätzungsweise 18000 junge griechische Ärzte sowie Tausende Krankenpfleger ausgewandert. Auch Ingenieure und andere hochqualifizierte junge Menschen sind gegangen. Die Mehrheit von ihnen arbeitet einem Bericht von „Spiegel Online“ zufolge heute in Großbritannien, Deutschland und den Golfstaaten. Viele jüngere Menschen ohne weiterführende berufliche Qualifikation melden sich gar nicht erst ab und schlagen sich halblegal ins benachbarten EU-Ausland als Saisonarbeiter oder Aushilfskräfte durch.

Seit Beginn der Krise 2009 hat Griechenland ein Viertel seiner Wirtschaftskraft verloren. Inzwischen wächst das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwar, allerdings auf äußerst geringem Niveau. 1,4 Prozent waren es 2017, knapp zwei Prozent ein Jahr später. Die Arbeitslosenquote liegt bei 20 Prozent. Unter den 15- bis 24-Jährigen suchen sogar 42 Prozent einen Job. 

Dennoch versuchen sich die Herrschenden in Athen in Optimismus. Sie wollen so etwas wie eine Aufbruchsstimmung verbreiten. Premierminister Alexis Tsipras kündigte in seiner Neujahrsansprache für Griechenland „ein Jahr der Hoffnung, der Zuversicht und der Schaffenskraft“ an. Endlich könnten die Griechen „ohne Vormundschaft und Befehle“ der internationalen Geldgeber über ihr Schicksal entscheiden. 

In Brüssel hat man diese Worte mit Argwohn vernommen. Denn erst Ende August des vergangenen Jahres wurde Athen aus dem Milliardenhilfsprogramm der in­ternationalen Kreditgeber entlassen. Um den ersten Staatsbankrott eines EU-Landes zu verhindern, hatten EU und Internationaler Währungsfonds ab 2010 Hilfen von 289 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Daran waren harte Sparauflagen geknüpft, an die sich die Regierung nun offenbar nicht mehr gebunden fühlt. Selbst die auf Druck der EU durchgeführte Rentenreform könnte nachträglich kassiert werden. 

Und das hat Folgen. Im Standortvergleich „Doing Business“ der Weltbank fiel Griechenland unter 190 bewerteten Staaten vergangenes Jahr vom 61. auf den 67. Rang zurück. EU-Experten sprechen bereits vom „Afrika Europas“. Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet, appellierten Ökonomen zuletzt verstärkt an die Regierung, den in der Krise eingeschlagenen Kurs beizubehalten. So forderte die griechische Zentralbank in ihrem jüngsten Bericht zur Geldpolitik die Fortsetzung der Strukturreformen, weitere Privatisierungen, Bürokratieabbau und eine Steuerreform. Davon werde abhängen, wann Griechenland sich wieder am Kapitalmarkt refinanzieren kann.

Doch die Regierung in Athen ist erst einmal mit dem Machterhalt beschäftigt. Im neuen Jahre stehen Parlamentswahlen an, Tsipras und sein Kabinett haben den Termin möglichst lange nach hinten geschoben. Aber spätestens im Herbst müssen die Wahlberechtigten unter den elf Millionen Einwohnern an die Urne. Tsipras Syriza käme Umfragen zufolge nur noch auf 23 Prozent, und der kleine Koalitionspartner, die Unabhängigen Griechen“ (ANEL), käme mit zwei Prozent nicht mehr ins Parlament. 

Beobachter befürchten außerdem extrem instabile politische Verhältnisse. Auch dieses gilt als Grund, warum die Jugend in Scharen auswandert. Viel zu wenige Griechen haben Vertrauen in die Zukunft, und viel zu wenige von ihnen können sich vorstellen, eine Familie zu gründen. Die Geburtenrate ist derart niedrig, dass Experten für die kommenden fünf Jahrzehnte eine Schrumpfung der griechischen Bevölkerung um die Hälfte erwartet. Die Folgen wären drastisch. Nach Einschätzung griechischer Wirtschaftsverbände müsste das Renteneintrittsalter von heute 67 auf 73 Jahre erhöht werden. 

Kostas Simitis, einer der Vorgänger von Tsipras, fürchtet, dass Athen schon bald um neue Hilfskredite bitten muss. Der Sozialdemokrat, der von 1996 bis 2004 Premierminister war, glaubt, dass sein Land finanziell nicht auf eigenen Beinen stehen könne. In der EU gelte es als sicher, dass Griechenland schon bald wieder um Hilfskredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bitten müsse, so Simitis gegenüber der griechischen, überregionalen Wochenzeitung „To Vima“. 

Der Politiker gilt als gut vernetzt und steht mit seinem Pessimismus nicht allein. So zeichnen griechische Kommentatoren zu Jahresbeginn ein übles Bild. Lediglich Alte, Kranke und Schwache würden dem Land erhalten bleiben. Wer eine Perspektive suche, denke zwangsläufig ans Auswandern, so KEPE.