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11.01.19 / Schreiben gegen Krieg und Vertreibung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-19 vom 11. Januar 2019

Schreiben gegen Krieg und Vertreibung
D.Klose

Freya Klier hat ihren Bericht  „Wir letzten Kinder Ostpreußens“ bis in die jüngste Zeit fortgeschrieben, was diese erweiterte Nachauflage durchaus rechtfertigt. 

Ein achtjähriges Mädchen erlebte die Eroberung Königsbergs durch die Rote Armee. Seine Familie versuchte zu fliehen: „Von der Seite kamen auf einmal (sowjetische) Panzer, sie kamen nicht durch dieses Chaos von Leichen, Kadavern und Menschengewimmel. Plötzlich fuhren sie dort hinein, sie walzten alle nieder, ein Menschenleben zählte gar nichts. Ein Bild kriege ich bis heute nicht aus dem Kopf: Da zermalmte ein Panzer eine Frau, und der schlugen dabei die Röcke über den Kopf. Unter den Röcken trug sie ganz weiße spitzenbesetzte Unterwäsche. Es war furchtbar.“

Wer als Kind solche Szenen erlebt hat, zusätzlich Tod und Vergewaltigung, Flucht übers vereiste Haff und Trecks in bitterer Kälte, der vergisst das sein Lebtag nicht. Die in Dresden geborene Schriftstellerin und Dokumentarfilmerin Freya Klier, in der DDR eine der mutigen Bürgerrechtlerinnen, hat vor mehreren Jahren am Beispiel von sieben Lebensläufen, vier weiblich und drei männlich, versucht, das Entsetzen der Kinder und dann der Heranwachsenden über ein ganzes Leben hinweg zu verfolgen. Lange Originalzitate aus vielen Gesprächen hat sie mit eigener Darstellung der historischen Ereignisse ergänzt.

Die hier porträtierten Menschen sind bis auf eine Aufnahme bei Kriegsende noch Kinder. Es ist längst eine psychologische Gewissheit, dass sich extreme Ereignisse auch bei noch so kleinen Kindern in der Erinnerung eingraben. Alle sieben hatten bis zum August 1944 eine unbeschwerte Kindheit. Im Winter, als Ostpreußen vom Reich abgeschnitten war, kam es zur ersten Massenflucht und zu Massakern durch die vordringende Rote Armee. Im April 1945 fiel Königsberg, die folgenden Monate wurden für die zurückgebliebenen Deutschen – und so wenige waren es trotz der Massenflucht zuvor gar nicht – zu einem nicht enden wollenden Martyrium. 

Klier verfolgt die Lebenswege der Heranwachsenden, die später fast alle in der DDR landeten, dort groß wurden und langsam, sehr langsam innerlich wie äußerlich  zu einem normalen Leben fanden. Nach der Wende versuchten einige mit Erfolg, noch einmal die Heimat zu sehen. Sie engagierten sich in Versöhnungsprojekten, Hass ist bei keinem zu spüren. Einer der Betroffenen, nach erfolgreicher Karriere als Orchestermusiker heute im Ruhestand, sagte: „Wer so erbarmungslos angegriffen hat wie die Deutschen, wird eben auch erbarmungslos bekämpft und besiegt.“

Unter den sieben Menschen dürfte einer bekannter als die anderen sein, nämlich der in dem kleinen Nest Mallenuppen geborene Siegfried Matthus. Der inzwischen über 80-jährige Künstler ist heute einer der weltweit bekanntesten deutschen Komponisten. In der DDR groß geworden, hat er noch vor der Wende auch im Westen reüssiert. Hier erzählt er, dass er nach langen Bemühungen in der Glasnost-Ära von Gorbatschow seine Heimat wiedersehen konnte. Von seinem Dorf stand kaum noch etwas, aber über die Musik hat er inzwischen in Königsberg viele neue Freunde gewonnen. In seiner ehemaligen Schule in Angerapp [Osjorsk] erinnert eine Ausstellung an frühere bedeutende Schüler – eine Vitrine ist ihm gewidmet. 

Ein scharfes Nachwort zu den „Kriegsverbrechern“Wladimir Putin und seinen Kommandeuren beendet etwas schroff dieses auf Versöhnung gestimmte Buch. Einige der Protagonisten sind schon gestorben, die anderen kommen von ihrer Heimat ganz offensichtlich nicht los. Ruhelos treibt es eine der Frauen immer wieder dorthin: „Meine Identität muss ich finden. Ich bin eine Ostpreußin!“

Freya Klier: „Wir letzten Kinder Ostpreußens. Zeugen einer vergessenen Generation“, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2018, erweiterte Neuauflage, broschiert, 464 Seiten, 16 Euro