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11.01.19 / Polen von außen gesehen – Marta Kijowska beschreibt den Zustand ihrer Heimat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-19 vom 11. Januar 2019

Polen von außen gesehen – Marta Kijowska beschreibt den Zustand ihrer Heimat
Karlheinz Lau

Marta Kijowska will mit ihrem Buch „Was ist mit den Polen los?“ das Porträt einer widersprüchlichen Nation zeichnen. Sie selbst lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. In ihren Beiträgen beschreibt sie die aktuellen Probleme, Sorgen, Befürchtungen, aber auch Hoffnungen, die die polnische Gesellschaft bewegen. Polnische Gesellschaft ist für sie fast ausschließlich die bürgerliche, überwiegend westlich orientierte, urbane der Akademiker, Künstler, Wissenschaftler, Studenten, die in den Ballungszentren wie Warschau, Danzig, Breslau oder Krakau leben, jedoch kaum der große Anteil der polnischen Bevölkerung, die in Kleinstädten oder als Bauern auf dem Lande ihren Lebensunterhalt verdienen. 

Arbeitsgrundlagen der Autorin sind eigene Erfahrungen aus Besuchen ihres Heimatlandes, ihre Kenntnis der polnischen Geschichte sowie einer großen Zahl von Arbeiten polnischer Autoren. Auch einige deutsche Autoren wie Thomas Urban oder Steffen Möller waren Quellen für sie. Kijowska argumentiert aus einer Position, die sich klar von der offiziellen Politik der PiS-Regierung unterscheidet. Das kommt in der Asylpolitik, beim Abtreibungsgesetz oder in der Justizreform zum Ausdruck. Die neue Linie der Geschichtspolitik der PiS, die Polen als Opfer und gleichzeitig als Sieger zeigt, sieht die Autorin sehr kritisch. Die Agitation von Radio Maryja, die die Linie Kaczynski unterstützt, verurteilt sie mit Blick auf die ambivalente Haltung der Katholischen Kirche. 

Aktuell gibt es im Verhältnis Deutschland-Polen zwei Dissenspunkte: die plötzliche polnische Forderung nach Reparationen für Schäden, Zerstörungen, Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg in Höhe von 850 Milliarden Euro sowie die Ablehnung einer weiteren Gas-Pipeline durch die Ostsee von Russland nach Deutschland. Sind das wirklich Probleme, die den polnischen Otto Normalverbraucher bewegen oder wird hier nur eine Einzelmeinung referiert? Dazu zählt auch die Behauptung, dass der polnische Nationalismus sich viel stärker gegen Deutschland als gegen Russland richte. 

Informativ ist das Kapitel über das bis heute schwierige polnisch-jüdische Verhältnis. Beleg dafür ist das Ende Januar 2018 vom Sejm verabschiedete Holocaust-Gesetz, das nicht nur die Bezeichnung „polnische“ Konzentrationslager verbietet, sondern auch diejenigen unter Strafverfolgung stellt, die der polnischen Nation oder dem polnischen Staat eine Mitschuld an den nationalsozialistischen Verbrechen geben. Es fällt auf, dass die seit 1945 durchgeführte Grenzverschiebung von Ost nach West mit umfangreichen Bevölkerungsbewegungen – Flucht, Vertreibung, Umsiedlung – nicht thematisiert wird. Dass diese Entwicklungen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten durchaus im kollektiven Gedächtnis mindestens der betroffenen Menschen sind, zeigen aktuelle Untersuchungen (Jahrbuch Polen 2018, PAZ vom 25. Mai 2018). 

Interessante Überlegungen bietet die Autorin von polnischen Bürgern im heutigen Deutschland an, wo Integration bei Erhalt der eigenen Identität als Pole immer weniger eine Rolle spiele. Mit Hoffnung sehen große Teile der polnischen Eliten den Parlamentswahlen 2019 entgegen, die politische Szene Polens radikal verändern könnten, das heißt, die Ablösung der PiS und damit des Systems Kaczynski. Dies ist die unmissverständliche Position der Autorin. Ihre Sorge gilt dem Zustand ihres Landes. Sie stellt die Frage: „Wie geht es mit der polnischen Demokratie weiter?“. Wenn sie ferner von einer „widersprüchlichen Nation“ spricht, muss das deutlicher belegt werden unter Einbeziehung der gesamten polnischen Bevölkerung in Stadt und Land, in West und Ost und auch die Frage erörtert werden, warum die PiS in der Lage ist, Wahlen zu gewinnen, so die letzten Kommunalwahlen. Sie bestätigen das bekannte Bild: In den Großstädten überwiegen die Gegner der PiS, in den Kleinstädten und den ländlichen Gebieten die PiS.

Aktuelle Aussagen zum gegenwärtigen politischen Klima in Polen sowie wichtige Hintergrundinformationen – beispielsweise das polnisch-jüdische Verhältnis – sind ein Gewinn für den Leser, man muss nicht mit jedem Punkt einverstanden sein. Es ist zu bedauern, dass die reine Textdarstellung nicht mit Fotos, Statistiken, Schaubildern und Karten zum vertiefenden Verständnis angereichert wurde. Anknüpfungspunkte bietet der Text allemal. So wirkt das Buch etwas unvollständig.

Marta Kijowska: „Was ist mit den Polen los? Porträt einer wi-dersrprüchlichen Nation“, dtv, München 2018, broschiert, 207 Seiten, 16,90 Euro