25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
18.01.19 / Weg vom Besserwessi-Image / Die diesjährigen Landtagswahlen sollen für die Grünen in Mitteldeutschland die Wende bringen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-19 vom 18. Januar 2019

Weg vom Besserwessi-Image
Die diesjährigen Landtagswahlen sollen für die Grünen in Mitteldeutschland die Wende bringen
Peter Entinger

Die Wahlen in Mitteldeutschland sollen für die Grünen den Durchbruch im Osten der Republik bringen. Doch der Start ins Wahljahr ging gründlich daneben. Ausgerechnet Parteichef Robert Habeck brüskierte mit einer Videobotschaft die potenzielle Wählerschaft.

Auf Twitter veröffentlichten die Thüringer Grünen ein Video von Habeck, in dem er erklärt: „Wir versuchen alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.“ Was dann folgte, nennt man neudeutsch einen Shitstorm. Viele Internetznutzer erinnerten daran, dass der Freistaat derzeit von einem rot-rot-grünen Bündnis regiert wird. Und da war es dann wieder: das Image der Grünen als Partei der Besserwessis. 

Im Osten tun sich die Grünen schwer. Und so ist der Respekt vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Herbst groß. Bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 kamen sie in Brandenburg auf fünf Prozent der Zweitstimmen, in Thüringen und Sachsen auf noch weniger. Bundesweit erleben die Grünen derzeit einen ungeahnten Aufschwung, Umfragewerte von mehr als 20 Prozent sind keine Ausnahme mehr, bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen erzielten sie Rekordergebnisse. In Mitteldeutschland verharrt die Partei bei sechs bis acht Prozent. Und in Mecklenburg-Vorpommern flogen die Grünen 2016 gar aus dem Landtag. 

Nun hat die Parteispitze eine Kurskorrektur angeordnet. Als Partei, die im Osten belehrend auftritt, wolle man nicht mehr wahrgenommen werden. 30 Jahre nach dem Mauerfall wolle man „offen und mit Empathie, Respekt und gegenseitigem Interesse“ eine Debatte über das Zusammenleben anstoßen, auch „über Erfolgsgeschichten, Missverständnisse, Hoffnungen und Fehlentwicklungen“ in der Mitte Deutschlands, heißt es in einem Beschlusspapier des Bundesvorstands.

In den 90er Jahren habe die Partei im Westen „der gemeinsamen Zukunft in Deutschland kaum einen Raum geben wollen“, heißt es weiter. Die Fehler der Vergangenheit will die Partei jetzt korrigieren. Parteichefin Annalena Baerbock erinnerte an die Fusion mit den Bürgerrechtlern zur sogenannten Wendezeit: „Der Arbeitsauftrag an uns selbst: Bündnis90 in unserem Namen wieder großzuschreiben.“ Doch es sind auch inhaltliche Gründe, die den Grünen „drüben“ das Leben schwer machen. Der Hang der Mitteldeutschen zu multikulturellen Utopien ist traditionell weniger ausgeprägt als im Westen. Und ökologische Träumereien fanden in dem Landstrich, der noch immer von vier Jahrzehnten DDR geprägt ist, ebenfalls wenig Anklang. 

Bundesgeschäftsführer Michael Kellner nennt in einem Gespräch mit dem „Der Spiegel“ aber auch andere Gründe. Die Partei habe sich nach der sogenannten Wende völlig neu aufbauen müssen. Im progressiven Spektrum im Osten sei nach den Erfahrungen mit der SED eine Parteimitgliedschaft verpönt gewesen. „Deswegen hatten wir von Anfang an sehr wenige Mitglieder“, sagt Kellner. Noch vor kurzer Zeit habe man in Frankfurt an der Oder weniger als zehn Mitglieder gehabt. Die Partei gibt sich nun geläutert. „Doch ob die ostdeutschen Stimmen in der bündnisgrünen Partei auch immer ausreichend Gehör fanden, darf tatsächlich bezweifelt werden. Daher ist das Jahr 2019 auch für uns Bündnisgrüne eine Chance, unsere eigenen Versäumnisse nachzuholen“, heißt es in einem Parteitagsbeschluss. 

Programmatisch will man darüber hinaus neue Wege gehen. Beim Neujahrsempfang in Brandenburg ging es nicht etwa um umweltpolitische Themen wie den umstrittenen Braunkohletagebau. Vielmehr wurden Forderungen nach einem Wagniskapital für Existenzgründer und weitere Hilfen für die strukturschwachen Regionen präsentiert. Und während die Große Koalition ein langsames Ende des Solidaritätszuschlags fordert, präsentieren sich die Grünen mittlerweile als „Ostversteher“. Aus dem Solidaritätszuschlag soll eine „Abgabe für gleichwertige Lebensverhältnisse“ werden, wie es im Vorstandsbeschluss heißt. Die Co-Vorsitzende Annalena Baerbock verwies ge­genüber dem ZDF auf die finanziell klammen Kommunen im Osten. Viele Städte seien so sehr verschuldet, dass sie kaum noch Handlungsspielraum hätten. „Wir halten es für falsch, den Soli abzubauen, wenn wir keine gleichwertigen Lebensverhältnisse haben. so Baerbock. Hier zeigten sich gesamtdeutsche Probleme wie Niedriglöhne und Kinderarmut „wie in einem Brennglas“.

Erste Erfolge sind zu vermelden. Geschäftsführer Keller berichtet von ansteigenden Mitgliederzahlen und davon, dass sich immerhin 19 Prozent der Mitteldeutschen vorstellen könnten, grün zu wählen. In Sachsen gab es zuletzt eine Zitterpartie um den Einzug, mittlerweile werden neun Prozent vorhergesagt. „Wir haben jetzt dieses Jahr die Chance, dass wir uns dauerhaft oberhalb dieser Sechs-sieben-acht-Prozent-Zone festsetzen können“, sagte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Presse-Agentur: „Das wäre schon ein großer Erfolg.“

Vor den drei Landtagwahlen in der Ex-DDR stehen zunächst Ende Mai die Abstimmungen in Bremen und zum Europaparlament an. Dort hat die Öko-Partei immer besser abgeschnitten als im Bundestrend. „Wir haben gute Chancen mit Rückenwind ins Wahljahr zu gehen“, sagt Habeck.