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18.01.19 / Zweimal Provinz und zurück / Die Malerin Paula Modersohn-Becker pendelte zwischen Paris und Worpswede, ihr Mann Otto zwischen neuer Frau und Wertheim

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-19 vom 18. Januar 2019

Zweimal Provinz und zurück
Die Malerin Paula Modersohn-Becker pendelte zwischen Paris und Worpswede, ihr Mann Otto zwischen neuer Frau und Wertheim
Siegfried Schmidtke / Helga Schnehagen

Während in Wuppertal eine be­achtliche Ausstellung über Paula Modersohn-Becker bis 24. Februar in die Verlängerung geht, lädt Wertheim Kunstinteressierte dazu ein, auf Spurensuche ihres Mannes Otto Modersohn zu gehen.

Paula Modersohn-Becker gilt als große Malerin des 19. Jahrhunderts und eine Vorläuferin des Expressionismus’ in Deutschland. Obwohl sie rund 700 Werke hinterließ, verkaufte sie zu Lebzeiten nur vier Gemälde. Und auf gerade einmal zwei Ausstellungen konnte sie sich und ihre Bilder präsentieren. Die Anerkennung ihrer künstlerischen Leistung kam erst Jahrzehnte nach ihrem Tod.

Einer der ersten, der Modersohn-Beckers Werk schätzen lernte, war der Bankier und Kunstmäzen August von der Heydt. Er erwarb bereits 1909 das Gemälde „Stillleben mit Rhododendron“. Es sollte der Grundstock zu einer rund 20 Bilder umfassenden Sammlung werden, die heute im Besitz des Wuppertaler Von der Heydt-Museums ist. Diese Sammlung wiederum ist die Grundlage der Ausstellung „Zwischen Worpswede und Paris“, die in Kooperation mit dem Rijksmuseum Twenthe aus Enschede/ Niederlande entstand. Zu sehen sind Gemälde von Paula Modersohn-Becker zwischen den Werken ihrer Künstler-Zeitgenossen aus Worpswede (Vogeler, Mackensen und ihres Mannes Otto Modersohn) und denen aus Paris (Rodin, Cézanne, van Gogh). 

Zwischen Worpswede und Paris liegen nicht nur 950 Kilometer Wegstrecke, sondern Welten. Hier das beschauliche Bauerndorf, ein „Kaff“ im norddeutschen Moor –aber eine „Künstlerkolonie“. Dort die mondäne, pulsierende Weltstadt und Kunstmetropole.

Die 1876 als Paula Becker getaufte Künstlerin zog 1888 mit der Familie von Dresden nach Bremen. Die Tochter eines Baurats der Preußischen Eisenbahnverwaltung begann als 16-Jährige mit dem Zeichnen. Mit 20 be­suchte sie eine Berliner Malschule, mit 21 erstmals das nahe bei Bremen gelegene Künstlerdorf Worpswede. Mit 22 übersiedelte sie dorthin und lernte die etablierten Künstler Fritz Mackensen, Otto Modersohn und das Ehepaar Overbeck kennen. Ihre erste Ausstellung in der Bremer Kunsthalle 1899 endete in einem Desaster: Beckers Werke wurden von der Kritik verrissen.

Doch die Künstlerin gibt nicht auf. Die Silvesternacht zum Jahr 1900 markiert nicht nur ein neues Jahr, sondern einen Wendepunkt im Leben der jungen Frau. Paula Becker verließ Worpswede in Richtung Paris. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1907 wechselte sie viermal zwischen dem Dorf im Moor und der französischen Metropole. Sie suchte, ja, sie rang um ihren Platz im Leben und auch um ihren eigenen künstlerischen Stil.

1901 heiratete sie den elf Jahre älteren Witwer Otto Modersohn. Dem Dichterfreund Rainer Maria Rilke schrieb sie: „Und nun weiß ich gar nicht, wie ich mich unterschreiben soll. Ich bin nicht Mo­dersohn, und ich bin auch nicht mehr Paula Becker. Ich bin Ich und hoffe, es immer mehr zu werden. Das ist wohl das Endziel von allem unseren Ringen.“ 

In der Zeit ihrer Ehe, die nur sechs Jahre dauern sollte, nannte sie sich Modersohn-Becker. 1907 starb sie 31-jährig nach der Ge­burt einer Tochter an einer Embolie. Otto Modersohn aber heiratete nur zwei Jahre später die Künstlerin Louise Breling. Mit seiner nunmehr dritten Frau zog es ihn vom Norden immer häufigen in den Süden Deutschlands. Viel Zeit verbrachte das Künstlerpaar in der fränkischen Stadt Wertheim.

Dort ist der goldene Stiefel  nach 100 Jahren immer noch Blick­fang der Eichelgasse – so wie Louise Modersohn-Breling ihn auf ihrem Bild von der alten Straße mit dem Pinsel festhielt. Würden die Modersohns heute in Wertheim ihre Staffelei aufstellen, sie fänden viele ihrer damaligen Motive gut erkennbar wieder.

In der Stadt erhält man eine kostenlose Broschüre mit Ab­drucken von Modersohn-Ge­mälden, die in zwei Rundgängen zu insgesamt 17 Modersohn-Blicken führt. Der direkte Vergleich vor Ort ist mehr als eine Begegnung mit alten Stadtansichten. Er offenbart auch die Auseinandersetzung des Künstlerpaares mit neuen Malweisen, mit dem Expressionismus: nach der Natur zu malen und dennoch zu abstrahieren, räumlich zu wirken und doch in der Fläche zu bleiben. Dabei be­vorzugte Louise die Gassen und Otto die Landschaft.

„In Wert­heim“, so Modersohn, „kam noch ein glückliches Moment hinzu ... Da mir die Leinwand ausging, kaufte ich Nessel, präparierte ihn mit Leim und Weimargrund oder Kreidegrund und fand, daß es sich darauf herrlich malen ließ ... So fand ich eine eigene, technisch sehr intime, delikate Handschrift.“

Die malerische Lage am Zu­sammenfluss von Tauber und Main, zwischen Odenwald und Spessart, ist eine Verpflichtung, ebenso das pittoreske Stadtbild zu erhalten. Viele Millionen Euro wurden in den vergangenen Jahren in die Stauferburg investiert, die seit dem Dreißigjährigen Krieg als Ruine hoch über der Stadt thront. Der große Bestand an historischen Fachwerk- und Bürgerhäusern wurde in den letzten Jahren nahezu vollständig denkmalschutzgerecht saniert. 

Wertheim ist schon lange Mitglied der Deutschen Fachwerkstraße, doch erst seit 2016 verläuft auch die Romantische Straße durch die Große Kreisstadt. Ganz so idyllisch wie zu Modersohns Zeiten ist es daher nicht mehr. Jährlich bevölkern rund eine halbe Million Tagestouristen vor allem den Marktplatz, darunter inzwischen etwa 80000 Flusskreuzfahrer. Auch fränkisches Mittelalter à la Disneyland wie in Wertheim Village, dem Luxus-Outlet vor den Toren der Stadt mit jährlich über 2,6 Millionen Besuchern, gab es zu Modersohns Zeiten nicht. Doch ist der Tagestrubel vorbei, gilt selbst auf dem Marktplatz wieder Modersohns Notiz: „Wertheim ist wirklich ein entzückendes Nest, hochmalerisch und urgemütlich.“ 

Modersohn reiste mit Louise zwischen 1916 und 1924 mehrfach nach Wertheim: „Die Reise nach Wertheim war eine der schönsten meines Lebens, gewissermaßen die erste echte Studienreise. Köstlich die neuen Eindrücke, die beglückende Arbeit, der anregende künstlerische Verkehr.“ Das Modersohn-Kabinett im Grafschaftsmuseum zeigt dazu eine kleine, feine Sammlung, die man hier fern von Modersohns norddeutscher Heimat nicht vermutet. Auch Künstlerfreunde, mit denen sich das Paar in Wertheim zum Malen traf, sind dort vertreten.