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18.01.19 / Aus der Sicht des Vaters

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-19 vom 18. Januar 2019

Aus der Sicht des Vaters
Dagmar Jestrzemski

Elchzeit. Wider alle Schick-salsschläge“ lautet der Titel eines biografischen Romans von Gerd E. Friede Kolakowski über seinen Vater Ewald Kolakowski, der am 12. April 1919 im ostpreußischen Gutsdorf Elgenau, Kreis Osterode, geboren wurde. Der Autor aus Ingelbach (Rheinland-Pfalz) wählte die ungewöhnliche Form der Ich-Perspektive, erzählt also aus der Sicht seines Vaters. Mit viel Fantasie und Einfühlungsvermögen hat er die Geschichten aus dessen Leben zu einem atmosphärisch dichten Roman verbunden. So entsteht der Eindruck einer quasi-authentischen Wiedergabe der Geschehnisse aus eigener Erinnerung. Das ist eine wirklich beachtliche erzählerische Leistung. Lobenswert ist auch das sorgfältige Lektorat.

Gerd Kolakowski wurde 1951 in Bielefeld geboren, war Pfarrer in Lippe/Detmold und Berufskollegpfarrer in Köln und Siegburg. Die Idee zu dem Buch entstand, weil ihn die Geschichten seines Vaters aus dessen Kindheit, Jugend und Soldatenzeit schon seit der frühesten Kindheit begleitet haben. Bis ins hohe Alter trug sein Vater die Sehnsucht nach der ostpreußischen Heimat in sich. Dabei wurde Ewald Kolakowski keineswegs mit einem silbernen Löffel im Mund geboren. Den Untertitel „Wider alle Schicksalsschläge“ hat der Autor mit Bedacht gewählt. Als Halbwaise wuchs der Junge bei den Großeltern auf, war mit acht Jahren Vollwaise. Schon als Kind musste er im Sommer auf dem Rittergut bei der Ernte helfen. Später zog er als Arbeiter von Gutshof zu Gutshof. In Bielefeld, wo er sich nach dem Krieg mit seiner Familie dauerhaft niederließ, sollten sich er und seine Frau Ursula – sie hatten 1942 in Mohrungen geheiratet – nie vollkommen heimisch fühlen. Ursula, eine geborene Kunz, hatte einen Hof in Mohrungen erben sollen. Der Krieg brachte sie um ihr Erbteil. Ewald ergriff in den Nachkriegsjahren die sich talentierten und fleißigen jungen Menschen bietende Chance zur Weiterbildung. Anknüpfend an die Verwaltungslehrgänge, die er als Kriegsver-sehrter seit 1943 in Allenstein absolviert hatte, nahm er in Münster ein Studium für Verwaltungsaufgaben im Öffentlichen Dienst auf. Die Stadt Bielefeld wurde anschließend sein Arbeitgeber. Ewald Kolakowski überlebte seine Frau um acht Jahre. Er starb im Alter von 95 Jahren am 27. Juli 2014.

In Gerd Kolakowskis Roman nehmen die Berichte über den Einsatz seines Vaters beim Reichsarbeitsdienst und dessen Kriegseinsätze in Polen, Frankreich und an der Ostfront einen zentralen Raum ein. Mit 18 Jahren hatte sich sein Vater im November 1937 freiwillig zu zwölf Jahren Militärdienst verpflichtet. Dessen Orden und Fotos aus der Kriegszeit sollten im Buch jedoch nicht abgebildet werden. Da nicht viele Familienfotos überliefert sind, war der Autor besonders dankbar für die Genehmigung einer Cousine zur Veröffentlichung zahlreicher Heimatbilder des seinerzeit erfolgreichen Kunstmalers Karl Kunz aus Herzogswalde, eines Onkels seiner Mutter. Schon einige Jahre nach seiner Ausbildung in Danzig konnte Karl Kunz Ende der 20er Jahre den verschuldeten elterlichen Hof in Herzogswalde zurückkaufen.

Der Autor erklärt, wie er zu seinem ungewöhnlichen dritten Vornamen Friede kam. Friede sollte er nach dem Willen seines Vaters heißen, doch der Standesbeamte wollte diesen Namen nicht genehmigen. Schließlich akzeptierte er ihn als dritten Vornamen des Jungen. Der schmerzlich empfundene Heimatverlust des Vaters wurde vom Sohn gewissermaßen verinnerlicht. 1987 reisten beide auf der Suche nach ihren Wurzeln zum ersten Mal nach Ostpreußen. Auf seiner Internetseite schreibt Gerd Kolakowski: „Die Geschichten meines Vaters verfolgten mich nach seinem Tod sogar nachts. Sie schrien danach, aufgeschrieben und dem Vergessen entrissen zu werden.“ Wer gegen das Vergessen schreibt, hinterlässt den nachfolgenden Generationen ein unschätzbares Vermächtnis: „Als Theologe weiß ich: Geschichten prägten das Volk Israel, seine 

Existenz bis heute. Nicht weniger müssen auch andere Völker bis in die Familien hinein ihre Erlebnisse erzählen, sonst verlieren sie ihre Identität.“