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25.01.19 / Sonderling aus Sondershausen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-19 vom 25. Januar 2019

Sonderling aus Sondershausen
Harald Tews

Die deutsche Literatur ist nicht unbedingt arm dran an Autoren, die man guten Gewissens als Sonderlinge be­zeichnen kann. Den vor 200 ge­storbenen Johann Karl Wezel kann man zweifellos zu dieser besonderen Spezies, die sowohl mit ihrem Leben wie mit ihrem Werk aus der Reihe fiel, hinzurechnen. Wezel wäre heutzutage völlig in Vergessenheit geraten, wenn nicht ein anderer großer Sonderling der deutschen Literatur, nämlich Arno Schmidt, den Kollegen aus der Zeit der Aufklärung in literararchäologischer Manier ausgegraben hätte. 

In einem seiner Radio-Essays  veröffentlichte Schmidt 1959 im Nachtprogramm des Hessischen Rundfunks den Dialog „Belphegor oder Wie ich euch hasse“. Darin nahm er Bezug auf die berüchtigtste Hinterlassenschaft Wezels, den 1776 erschienenen Roman „Belphegor oder Die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne“, den Schmidt in eine Reihe mit den Satiren „Gullivers Reisen“ von Swift und „Candide“ von Voltaire stellte.

Die in dem Buch übernommene Swiftsche Misanthropie und die Voltairsche Kritik an der vom optimistischen Großaufklärer Leibniz postulierten „besten aller möglichen Welten“ schreckten die zartbesaiteten Zeitgenossen Wezels ab. Der Weimarer Klassiker Christoph Martin Wieland erklärte über Wezel die „poetische Acht und Aberacht“, weil er aus „der Geschichte der Menschheit ein so verzogenes, verschobenes, affentheuerliches und naupengeheuerliches Unding“ gemacht habe.

Tatsächlich geht Wezel in dem Roman mit seinem Helden Belphegor nicht gerade zimperlich um. Nachdem seine Geliebte ihn mit Fußtritten aus dem Haus befördert hat, schweift er durch die Welt, wird schon nach wenigen Seiten zum Krüppel, verliert nach Auseinandersetzungen mit Bauern und Seeräubern ein Auge, einen Finger sowie ein paar Zähne und sucht am Ende desillusioniert in Virginia seinen Frieden. „Der Mensch – ist das ärgste Ungeheuer der Hölle“, resümiert Belphegor, „ich bin mir selbst gram, ein Mensch zu seyn.“

Das Buch schwamm frontal gegen den Strom der Aufklärung – heute würde man sagen gegen den Mainstream. Wezel nahm nicht nur Leibniz aufs Korn, indem er aus der besten die schlechteste aller möglichen Welten machte, sondern auch den Vernunftgedanken der Aufklärer. So scheitert der Weltverbesserer Belphegor an der hässlichen Realität. Im Prinzip nimmt er vorweg, was Horkheimer und Adorno in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ erkannten, dass nämlich ein direkter Weg von der Aufklärung in die Despotie führe.

Wezels Erkenntnis, das einem die Wirklichkeit erst davonläuft und einem dann die Zähne ausschlägt, wenn man mit belehrender Vernunft diese zu verbessern wünscht, ist heute aktueller denn je, wo linksliberale Zukunftsvisionen die harte Wirklichkeit ignorieren. Kein Wunder, dass Wezel geächtet wurde. Heutzutage würde man solche Querdenker in die rechte Ecke schieben und boykottieren.

Nach dem sentimentalen Roman „Hermann und Ulrike“, der dann doch wieder den Zeitgeschmack traf und der diesmal von Wieland „als bester deutscher Roman, der mir jemals vor Augen gekommen ist“ gelobt wurde, zog sich der Außenseiter Wezel nach Aufenthalten im Ausland in seinen Geburtsort Sondershausen zurück. Be­schrieben als verwirrter Kauz lebte er hier bis zu seinem Tod am 28. Ja­nuar 1819 noch ein Vierteljahrhundert, um nur noch ein Werk zu schreiben: „Werke des Wahnsinns: von Wezel dem Gott-Menschen“. Sein ganzes Leben und Werk ist der Wahnsinn.