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25.01.19 / Wie Barbaren unsere Umwelt erobern / Der Verfall der Manieren greift immer mehr um sich – Folgt der Niedergang der Sitten einem Plan?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-19 vom 25. Januar 2019

Wie Barbaren unsere Umwelt erobern
Der Verfall der Manieren greift immer mehr um sich – Folgt der Niedergang der Sitten einem Plan?
Wolfgang Kaufmann

Manieren sind der soziale Kitt, der jedwede Gesellschaft zusammenhält. Deshalb ist es fatal, wenn die Umgangsformen immer mehr verfallen, so wie derzeit in Deutschland. Die Ursache hierfür liegt in der Erosion des traditionellen Wertefundaments.

Benehmen, Anstand, Kinderstube, Betragen, Etikette, Höflichkeit, Umgangsformen, Manieren – es gibt viele Bezeichnungen für das Konvolut an Gesten und Verhaltensweisen, welche Ausdruck von Rücksicht oder Respekt beziehungsweise Affektkontrolle und Zivilisiertheit sind. Ohne sie wäre das menschliche Zusammenleben kompliziert oder gar unmöglich. 

Das wusste man hierzulande schon im Mittelalter, also lange vor der Zeit des legendären Freiherrn Adolph von Knigge (1752–1796), als Benimmbücher rieten: „Man soll nicht Schmatzen und Schnauben beim Essen; man soll nicht über die Tafel spucken und sich nicht ins Tischtuch schneuzen; man soll sich nicht über die Schüssel hermachen wie ein Schwein; nicht das Angebissene wieder in die allgemeine Soße tauchen.“

Solche Ratschläge sind heute – meistens jedenfalls – kaum mehr vonnöten. Stattdessen gibt es aber zahlreiche andere Hinweise für den Verfall der Manieren. Um diese zu studieren, genügt oft schon ein kurzer Gang über den Weihnachtsmarkt: Da wird geschubst und gedrängelt, was das Zeug hält, und zugleich mit der Bratwurst in der einen und der Glühweintasse in der anderen Hand herumstolziert. Sollen die anderen Besucher doch in ihrem schäbigsten Zwirn kommen, wenn sie sich an Senf-, Fett- oder Rotweinflecken an der Bekleidung stören! 

Während der Fahrt zum Ort der vorweihnachtlichen „Einkehr“ mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind weitere Unsitten zu beobachten: Manche Herren der Schöpfung praktizieren ungeniert „Manspreading“, wie der neumodische Fachausdruck für das betont breitbeinige und raumgreifende Dasitzen lautet. Nicht selten verzehren die Vertreter des vermeintlich starken Geschlechts dabei auch noch geruchsintensive Speisen nach orientalischer oder US-amerikanischer Rezeptur, deren Odeur dann durch das ganze Gefährt wabert, während Schilder auf das allgemeine Essverbot in Bahn und Bus hinweisen. Dazu kommt ein Schluck aus der mitgeführten Bierflasche – gefolgt von herzhaftem Rülpsen.  

Frauen wiederum widmen sich gerne diversen kosmetischen Obliegenheiten oder plaudern mit ihren Freundinnen lauthals über die intimsten Dinge – tragen also das Private voller Selbstverständlichkeit in den öffentlichen Raum. Wer so etwas nicht mag, der soll halt weghören … Apropos Weghören: Das gelingt natürlich vor allem jenen Quasi-Autisten, die zuckend unter ihren Kopfhörern dahocken, aus denen wummernde Bässe hervordringen, deren Lästigkeitspotenzial locker an das von Presslufthämmern heranreicht. Auf diese Weise kann man sogar in den Polstern kleben bleiben, wenn die neben einem stehende Rentnerin mit Rollator zu kollabieren droht.

Eine weitere Unsitte von Erwachsenen beiderlei Geschlechts ist die neuerdings zunehmend häufiger zu beobachtende Art des Aussteigens: Man geht angesichts der näherkommenden Haltestelle nicht etwa schon mal vorsorglich an die Tür wie früher, sondern erhebt sich erst, wenn die neuen Fahrgäste einsteigen, was regelmäßig zu Chaos und Verzögerungen bei der Weiterfahrt führt.

Und dann die Kinder! Lieblingssport der kleinen Träger von großen eckigen Ranzen ist die Jagd nach freien Sitzplätzen, bei der sie ältere oder gebrechliche Fahrgäste aufgrund ihrer Agilität meist um mehr als eine Nasenlängen schlagen. Ohne, dass ein Erwachsener diesen „Sieg“ dadurch quittiert, dass er ihnen die Leviten liest.

Derartige Verhaltensweisen sind dabei absolut kein Unterschichtphänomen, wie das Auftreten mancher Politiker belegt, wenn es gegen den politischen Gegner geht. Man denke hier nur an die vollmundige Ankündigung der neugewählten SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles an die Adresse der Union: „Ab morgen kriegen sie in die Fresse.“

Gründe für diese Stagnation oder gar Umkehr des zivilisatorischen Fortschritts gibt es viele. Wie der äthiopisch-deutsche Bestsellerautor und Unternehmensberater Asfa-Wossen Asserate, welcher ein preisgekröntes Buch über die Manieren der Deutschen schrieb, sehr richtig feststellte, liegt die Schuld unter anderem bei der 68er-Bewegung. Diese trat eine globale Kulturrevolution los, in deren Verlauf alles Althergebrachte infrage gestellt wurde, darunter auch die Manieren. Schließlich basieren die Umgangsformen ja auf Regeln – und mit Regeln tat man sich Ende der 1960er Jahre und danach zunehmend schwerer. 

Soziologen bezeichnen dieses Phänomen als Informalisierung: Zuerst werden verbindliche Verhaltensnormen gelockert oder ignoriert – man agiert immer zwangloser und genießt den Zugewinn an Freiheit und Bequemlichkeit. Bis das Individuum dann die Regeln komplett vergisst und meint, alles sei erlaubt. Das gelingt natürlich nur bei weitgehender Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen der Mitmenschen. Aber die wurde der Generation der Kinder der 68er ja systematisch antrainiert, Stichwort „Antiautoritäre Erziehung“.

Durch diesen neuen pädagogischen Ansatz kam es zu einem weitgreifenden Verlust an Disziplin und Selbstbeherrschung – Eigenschaften, die nötig sind, um Entgleisungen im zwischenmenschlichen Umgang zu vermeiden. Gleichzeitig brachte die neue Freiheit aber jede Menge Verunsicherung: Wenn soziale Normen plötzlich nicht mehr existieren, fehlt auch die Richtschnur für das angemessene Handeln. Damit wächst natürlich die Angst, etwas falsch zu machen. Und diese Angst wiederum führt bei den ebenso narzisstischen wie egoistischen Selbstverwirklichungsakrobaten von heute zu ruppigem und taktlosem Verhalten, mit dem sie ihre Schwäche unbewusst zu kompensieren trachten.

Eine weitere Erklärung für den Verfall der Manieren bietet die jüngere deutsche Geschichte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese war geprägt durch permanente Zäsuren: 1871, 1918, 1933, 1945, 1989, 2015. Hierdurch konnten sich kulturelle Traditionen und verhaltensprägende Tendenzen nicht in dem Maße herausbilden wie in anderen Staaten. Umgangsformen, wie man sie beispielsweise bei den autochthonen Bürgern der britischen Monarchie noch verbreitet zu finden vermag, sind hierzulande daher Mangelware.

Allerdings ist das Fehlen einer kulturellen Identität, welches sich auch am Beispiel des Niedergangs der Manieren zeigt, offenbar erwünscht, denn nur so lassen sich Einwanderung und Multikulturalismus als wünschenswerte Phänomene hinstellen. Andernfalls bleibt der nicht assimilierte Fremde eben ein Fremder – mit all jenen Konsequenzen, die aus der Sicht der Einwanderungslobby­isten um jeden Preis zu vermeiden sind.

Deshalb werden heutzutage erhebliche Anstrengungen unternommen, um eine neue soziale Tugend an die Stelle der nunmehr obsolet gewordenen alten Manieren zu rücken. Gemeint ist die sogenannte „Interkulturelle Kompetenz“. Diese läuft letztendlich auf eine Bereitschaft zur totalen Relativierung aller Verhaltensnormen hinaus. Umgangsformen werden als Ausdruck der jeweiligen Kultur verstanden, was bedeutet, die eigenen zu hinterfragen beziehungsweise deren Verschwinden als etwas Positives zu feiern, weil der „Dialog der Kulturen“ ja stattdessen etwas Neues und viel Besseres hervorbringe.

Vor diesem Hintergrund sind dann auch die Attacken auf Konservative zu sehen, welche an den althergebrachten Anstandsregeln festhalten. Ebenfalls erklärt sich so die unverhohlene Sympathie der „fortschrittlichen Kreise“ für rüpelhaftes Verhalten in Politik, Kunst und anderen Bereichen der Gesellschaft.