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25.01.19 / Kraft und Licht des Fortschritts / Die Entwicklung der Elektrizität in Ostpreußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04-19 vom 25. Januar 2019

Kraft und Licht des Fortschritts
Die Entwicklung der Elektrizität in Ostpreußen
Evgeny Dvoretsky / Nikolai Cheburkin / PAZ

Ostpreußen erstreckt sich auf einem Gebiet von knapp 40000 Quadratkilometern und auf seinem Territorium gibt es über 3000 Seen und drei große Flüsse – Memel, Pregel und Weichsel mit zahlreichen Zuflüssen. Das Relief der Erdoberfläche ist flachhügelig, was den Bau von großen Wasserkraftwerken hier schwierig machte.

Die Geschichte der Elektrifizierung der Provinz beginnt im Jahr 1886 in Darkehmen, als am Fluss Angerapp das erste Wasserkraftwerk gebaut wurde, das die Energie eines Flusses zur Stromerzeugung nutzte. Hier gab es auch die erste elektrische Straßenbeleuchtung in Ostpreußen. Die Kapazität des Wasserkraftwerks Darkehmen betrug 0,5 Megawatt. Zum Vergleich, das Kernkraftwerk Brokdorf in Schleswig-Holstein hat nach eigenen Angaben eine Nettoleistung von 1410 Megawatt.

1889 wurde in Königsberg das erste Stromkraftwerk an der Stelle der Malzmühle im Mühlengrund neben dem Königsberger Schloss gebaut und 1890 in Betrieb genommen. Die Maschinen dafür lieferte die Firma Schichau aus Elbing. Vom zentralen Teil des Kraftwerks gingen etwa zehn Stromleitungen in verschiedene Stadtteile. Das Kraftwerk diente der Versorgung der Wohnhäuser und der Straßen mit Licht. Der Bau hatte über eine Million Mark gekostet. Erster Direktor des Königsberger Kraftwerks wurde Ferdinand Krieger, der 1858 in Goldap geboren wurde. 1888 arbeitete er als Baumeister im Dienste der Königsberger Bauverwaltung. Ihm wurde die Leitung des Baus des Königsberger Wasserleitungssystems übertragen. 1894 installierte er im Wasserwerk Filter zur Wasseraufbereitung und eine Beleuchtungsanlage. Krieger ließ 1900 eine neue Gasfabrik in Kosse, einem Vorort von Königsberg, und sieben Jahre später ebendort das neue Elektrizitätswerk bauen. Von 1898 bis 1905 war Krieger Abgeordneter des Königsberger Landtags.

Am 31. Mai 1895 wurde in Königsberg die Straßenbahn eingeführt. So wurde die Pregelmetropole die erste Stadt Deutschlands, in der aus dem Stadthaushalt eine Straßenbahn unterhalten wurde. Die Zunahme des Stromverbrauchs zur Beleuchtung von Straßen und Wohngebäuden zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie die zunehmende Anzahl und Länge der Straßenbahnlinien machten 1899 den Bau eines weiteren Kraftwerks im nordwestlichen Vorort Königsbergs (Hufen) notwendig.

1901 ging das zweite Elektrizitätswerk in Betrieb. In ihm wurde Kohle verstromt. Das Elektrizitätswerk auf den Hufen versorgte das nebenanliegende Straßenbahndepot mit Strom. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nach dem Umzug der Union-Gießerei, der Steinfurter Kutschanlage und der Gasanlage vom zentralen Teil Königsbergs in die städtischen Außenbezirke musste ein weiteres Kraftwerk errichtet werden. Und bereits 1907 wurde in Kosse ein drittes Kraftwerk eröffnet. Hierbei handelte es sich um eine Wärme-Strom-Zentrale, eine Art Wärmekraftwerk, das nicht nur Strom produzierte, sondern auch Wärmeenergie für Wohngebäude und Industrieanlagen. 

Im Jahr 1895 wurde in der nördlichen Vorstadt Königsbergs, in Liep, die erste Zellulosefabrik gebaut, die längst geschlossene Aktiengesellschaft „Darita“. Für die Produktion wurde auch hier ein Kraftwerk gebaut (heute Königsberger Heizkraftwerk Nr. 8). 1900 entstand im westlichen Vorort Königsbergs auf dem Holsteiner Damm eine zweite Zellulosefabrik, die Aktiengesellschaft „Zepruss“, bei der ebenfalls ein Kraftwerk gebaut wurde (heute Königsberger Heizkraftwerk Nr. 9). 

Zu dieser Zeit tauchten auch in anderen Städten und der Provinz Ostpreußens Stromerzeugungsfabriken auf. Am 22. September 1900 wurden in Tilsit ein Kraftwerk und eine Straßenbahn in Betrieb genommen. 1904 entstand am Südrand des Stadtparks in Insterburg ein Kraftwerk. 1907 wurde in Tilsit die neue Zellulosefabrik Waldhof gebaut, für deren Versorgung ein Heizkraftwerk gegründet wurde (heute Tilsiter Heizkraftwerk 10). Auch an der Scheschuppe in der Nähe des Dorfes Lasdehnen ging ein Wasserkraftwerk in Betrieb. An der Pissa gab es zwei kleine Wasserkraftwerke. Sie befanden sich in der Stadt Gumbinnen und im  Dorf Gerwischkehmen. Die von diesen Kraftwerken erzeugte Energie reichte aus, um alle im Nordosten der Provinz gelegenen Orte mit elektrischer Beleuchtung zu versorgen.

In den Memoiren des Teilnehmers des Ersten Weltkrieges, des Hauptmanns des Infanterieregiments Alexander Uspenskij, wird die hohe Elektrifizierung der Region erwähnt: „Als wir neue Gebiete in Ostpreußen besetzten, welche Zufriedenheit, welchen Wohlstand und sogar Reichtum haben wir hier bei jedem Schritt gesehen! Jeder Hof eines einfachen Bauern wird mit einem Dutzend landwirtschaftlicher Geräte, Telefon, Strom, Fahrrädern und einer Zeitung versorgt. Überall gibt es Wasser- und Abwasserleitungen! Und was gibt es für ,Paläste‘ fürs Vieh mit Strom, Asphaltböden, fließendem Wasser und so weiter!“

Die durch den Polnischen Korridor vom Deutschen Reich abgeschnittene Provinz benötigte für die Entwicklung des Gebiets eine lokale Industrie. Die Kraftwerke, die hier vor dem Ersten Weltkrieg gebaut wurden, waren kohlebetrieben. Die Kohle kam aus Schlesien. Die hohen Transportkosten für die Lieferung von Rohstoffen für die Wärmekraftwerke zwangen zum Bau neuer Wasserkraftwerke. Dank der Bemühungen des Oberpräsidenten der Provinz August Winnig (1878–1956) wurden im Jahr 1920 seitens der deutschen Regierung 200 Millionen Mark für den Bau ostpreußischer Elektrizitätsnetze und den Bau einer Kaskade von Kraftwerken an der Alle gewährt. Das 

Ostpreußenwerk (OWAG) wurde 1921 gegründet, um Strom 

für die Bedürfnisse der Provinz Ostpreußen bereitzustellen. 1922 wurden zwei Wasserkraftwerke am Alle-Fluss gebaut. Eines befand sich im ostpreußischen Friedland und das zweite in Wohnsdorf. 

1939 waren in Ostpreußen 19 Wasserkraftwerke mit einer durchschnittlichen Kapazität von 20 Megawatt in Betrieb. Im Verwaltungsgebäude des Friedländer  Kraftwerks wurde eine Verteilerzentrale eingerichtet, von der aus über die Provinz hinweg elektrische Übertragungsleitungen an ein gemeinsames Netz angeschlossen waren. 1928 wurde in der Stresemannstraße in Königsberg ein fünfstöckiges Backsteingebäude des Ostpreußenwerks A.G. ostpreußischen Elektroverwaltung errichtet, in dem heutzutage die Polizeibehörde untergebracht ist. 1938 wurde die Stresemannstraße in General- Litzmann-Straße umbenannt. Die Stadtverwaltung baute darüber hinaus Kohlekraftwerke mit niedriger Kapazität für die städtische Nutzung. So gab es 1922 ein Kohlekraftwerk in Allenburg. Gleichzeitig erhielten Zinten, Nordenburg und Domnau städtische Kraftwerke. In Insterburg wurde das 1914 zerstörte staatliche Bezirkskraftwerk umgebaut und modernisiert, sodass 1927 ein Trolleybus durch die Straßen der Stadt fahren konnte. So wurde Insterburg die zweite Stadt in Deutschland und die erste in der Provinz Ostpreußen mit Trolleybusverkehr. Im Jahr 1923 begann der industrielle Bernsteinbergbau. Dort war ein Kraftwerk vonnöten, um die Steinbruchgeräte und die Siedlung Palmnicken mit Strom zu versorgen.

Am 1. April 1924 wurde in Königsberg die Aktiengesellschaft Ostmarken-Rundfunk (ORAG) gegründet. Am 14. Juni fand die feierliche Eröffnung der ersten Königsberger Radiostation statt mit den Worten: „Achtung, Achtung! Hier spricht Radio Ostmark, von der Sendestation in Königsberg auf Welle 460 Meter.“ 1928 wurden zwei Funkmasten mit einer Höhe von 80 Metern auf der Alten Pillauer Landstraße und in der Stresemannstraße aufgestellt.

Schon 1930 gab es in der Stadt elektrisch beleuchtete Straßen auf 92,2 Kilometern Länge. 1937 produzierten die drei Königsberger Elektrizitätswerke 69 Millionen Kilowattstunden, und in der gesamten Provinz wurden mehr als 315 Gigawattstunden Strom erzeugt. Der Beginn des Ersten Weltkriegs brachte die Entwicklung der Elektrizität in der Provinz zum Erliegen. Alle Einrichtungen von strategischer Bedeutung wie Fabriken, Häfen und Flugplätze wurden mit zusätzlichen autonomen elektrischen Energiequellen ausgestattet. Selbst alle 15 Forts des äußeren Schutzrings der in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts erbauten Festung Königsberg waren elektrifiziert und mit autonomen Dieselgeneratoren ausgestattet.

So führte die Entwicklung der Elektrizitätswirtschaft in Ostpreußen zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg zu folgenden Ergebnissen: In der Provinz wurde ein großes Unternehmen, die Ostpreußenwerk AG, gegründet, der Bau einer Wasserkraftwerkskaskade am Alle-Fluss wurde durchgeführt, und elektrische Übertragungsleitungen führten über die gesamte Provinz als gemeinsames Netzwerk.

Die Elektrifizierung Ostpreußens fand in zwei Etappen statt: Die erste Etappe diente der Gemeinde – der Bau von Elektrizitätswerken für die Stadtverwaltung. Die zweite Stufe betraf die Schaffung eines gemeinsamen Stromnetzes in der gesamten Provinz. Viele Objekte sind immer noch im Dienst.