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01.02.19 / »Die Leute sind pappsatt« / Berlin: Ärger über maroden Nahverkehr wird zum ernsten Problem für Rot-Rot-Grün

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-19 vom 01. Februar 2019

»Die Leute sind pappsatt«
Berlin: Ärger über maroden Nahverkehr wird zum ernsten Problem für Rot-Rot-Grün
Norman Hanert

Berlins rot-rot-grünes Regierungsbündnis hat bei seinem Start vor drei Jahren den öffentlichen Nahverkehr zu  einem Schwerpunktthema des Koalitionsvertrages gemacht. Nun stecken die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Deutschlands größtes öffentliches Nahverkehrsunternehmen, in einer tiefen Krise.

„Die Leute sind pappsatt“, so die Einschätzung des Regierenden Bürgermeisters und Berliner SPD-Chefs Michael Müller zur Lage im öffentlichen Nahverkehr der deutschen Hauptstadt. Soll heißen: Sie haben die Nase gestrichen voll von der Dauermisere. Tatsächlich sind viele Nutzer der BVG leidgeprüft: Gerade in jüngster Zeit haben sich Zugausfälle und Verspätungen gehäuft. Für zusätzlichen Verdruss bei den Fahrgästen sorgen überfüllte Busse und Bahnen sowie die Art und Weise, wie Streckensperrungen bei Bauarbeiten an U-Bahnlinien organisiert werden.

Zudem ist auch die Personalsituation angespannt und der Krankenstand hoch. Demnächst könnte die Geduld weiter strapaziert werden, wenn es im Zuge anstehender Tarifverhandlungen bei der BVG auch noch zu Streiks kommen sollte. 

Die BVG-Chefin Sigrid Evelyn Nikutta war zusammen mit BVG-Personalvertretern am 22. Januar  bei der Berliner SPD-Fraktion quasi zum Rapport einbestellt worden, um Rede und Antwort zu stehen. „Frau Nikutta ist Angestellte des Landes Berlin, sie muss sich Fragen gefallen lassen“, so der SPD-Fraktionschef Raed Saleh.

Einige Kommentatoren der Hauptstadtpresse bringen die scharfen Töne aus den Reihen der SPD mit der derzeitigen Lage der Sozialdemokraten in Verbindung. Die Partei liegt bei Umfragen nur im Bereich von 15 Prozent, gleichzeitig bekommen die mitregierenden Grünen deutlich mehr Zuspruch.

Sollte die Kritik von Michael Müller und Raed Saleh in Richtung BVG tatsächlich vor allem parteipolitisch motiviert gewesen sein, dann hätte sich dies als ein politischer Boomerang erwiesen. Die aktuelle Krise bei der BVG zeigt, dass die rot-rot-grüne Koalition wie beim Wohnungsbau auf einem weiteren Politikfeld bislang nicht geliefert hat. Zudem wurden die Berliner auch noch daran erinnert, dass die seit langer Zeit regierende SPD die eingetretenen Zustände mitverantwortet.

Der öffentliche Nahverkehr war einer der Schwerpunkte des Koalitionsvertrags, den SPD, Linkspartei und Grüne im Jahr 2016 unterzeichnet haben. Das Dreierbündnis stellte in dem Vertrag in Aussicht, das Straßenbahnnetz auszubauen und weitere Busspuren einzurichten; auch die Taktdichte auf dem S-Bahn-Ring und anderen Linien sollte sich erhöhen. Viel Platz nahm in der Vereinbarung zudem das Thema Sozialticket und der Ausbau von Fahrradwegen ein.

Mittlerweile tobt selbst innerhalb des Senatsbündnisses Streit über den Zustand des öffentlichen Nahverkehrs: In der Koalition fällt das Verkehrsressort in die Zuständigkeit der Grünen. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, ebenfalls Grüne, sitzt als Chefin sogar im Aufsichtsrat der BVG. Mit der scharfen Kritik von Müller und Saleh muss sich daher der Koalitionspartner zumindest indirekt angesprochen fühlen. Um der Kritik zu entgehen, schoss Pop den Ball ins Feld der SPD zurück. 

Sie konterte mit dem Vorwurf, die SPD habe 20 Jahre lang durch verhinderte Investitionen die BVG „in den Keller gefahren“. Ähnlich ist die Sichtweise der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Deren  verkehrspolitischer Sprecher, Oliver Friederici, sagte mit Blick auf die Situation in Berlins öffentlichem Nahverkehr: „Es kann keine Politik außerhalb der SPD sein, die das verbockt hat.“ Auch Georg Pazderski, der Chef der AfD-Fraktion, spricht von „Regierungsversagen“. 

Tatsächlich haben die Sozialdemokraten in Berlin lange Jahre die Verkehrs- und Finanzsenatoren gestellt. Die landeseigenen Verkehrsbetriebe haben nach der Jahrtausendwende zunächst die Auswirkungen des Regierungsmottos „Sparen bis es quietscht“ zu spüren bekommen. In den vergangenen Jahren floss zwar wieder mehr Geld, allerdings ist der aufgebaute Investitionsstau unübersehbar. Zudem wächst die Millionenmetropole und damit auch die Zahl der Fahrgäste. Der Tourismusboom trägt ein Übriges dazu bei, dass der Druck steigt: Die BVG haben im vergangenen Jahr 1,1 Milliarden Kunden transportiert. 

Die Nutzer der BVG werden sich zunächst erst einmal weiter in Geduld üben müssen, bis sie nachhaltige Verbesserungen bemerken. Im Laufe des Jahres wollen die Verkehrsbetriebe 720 Mitarbeiter für den Fahrdienst und 113 in den Werkstätten neu einstellen. Eine Milliarde Euro will die BVG in den Kauf von 1500 neuen U-Bahnwagen investieren. Dabei handelt es sich um den größten Auftrag in der Geschichte der Verkehrsbetriebe. Die Auslieferung der neuen Wagen soll bereits 2021 beginnen und bis zum Jahr 2035 abgeschlossen sein.