16.04.2024

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01.02.19 / Angriff des Kapitalmarkts auf die Gesundheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-19 vom 01. Februar 2019

Angriff des Kapitalmarkts auf die Gesundheit
D. Jestrzemski

Einer, der den vielfältigen Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft nicht gerecht wird, bekommt Probleme, sei es durch Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit, Krankheit und/ oder Suchtverhalten. Dann ist oft die Gesundheitsversorgung lebenswichtig. Diese aber wird nicht jedem Behandlungsbedürftigen gerecht, unter anderem weil die Gesundheitsleistungen immer teurer werden. 

In seinem Buch „Unsere Gesellschaft macht krank. Das Leiden der Zivilisation und das Geschäft mit der Gesundheit“ beschäftigt sich Suitbert Cechura umfassend mit der Ausrichtung unseres gesellschaftspolitischen Systems und dessen Verquickung mit der globalen kapitalistischen Marktwirtschaft. Letztere werde von einer Politik, die sich dem Wachstumsgedanken verschrieben habe, nicht hinreichend in die Schranken gewiesen. 

Cechura prangert die auf Profitmaximierung ausgerichtete Produktionsweise an, insbesondere die unzureichende staatliche Regelung des Gesundheitsmarktes. Dieses System sei zwangsläufig mit zahllosen Risiken und Schäden für Mensch und Umwelt verbunden. Die seien zwar teilweise hinreichend bekannt, würden aber meist widerspruchslos hingenommen, da der Einzelne über keinerlei Einfluss verfüge, um Änderungen herbeizuführen. Betroffen seien alle Individuen, als Arbeitnehmer, Verbraucher, Eltern und Pflegebedürftige, lautet die Fundamentalkritik des Autors.

Cechura ist promovierter Rehabilitationswissenschaftler und war als Psychotherapeut viele Jahre mit psychischen und physischen Beeinträchtigungen seiner Patienten konfrontiert. Sein weit ausgreifender Report ist mit einer Fülle von aktuellen Pressemeldungen unterlegt und deckt ein breites Spektrum an Themen ab. 

Von Arbeitssuchenden erwartet die Privatwirtschaft „Flexibilität“ und „Belastbarkeit“, der Staat von sämtlichen Bürgern und Verbrauchern Eigenverantwortung in Sachen Gesundheit zur Vermeidung von „Zivilisationskrankheiten“, moniert Cechura. Wir seien aber konfrontiert mit „Billigware von bedenklicher Qualität“: „Dass Lebensmittel, Atemluft und viele Dinge des täglichen Lebens mit Schadstoffen belastet sind, ist bekannt, wird aber nur dann zum öffentlichen Thema, wenn der Grad der Vergiftung oder Schädigung das erlaubte Maß überschreitet ...“. 

Hier seien als Beispiele die zunehmende Verwendung von Nanoteilchen in Kleidung und Kosmetika genannt, obwohl deren Ausbringung in die Umwelt möglicherweise gesundheitliche Schäden bewirkt, sowie das in Lebensmitteln nachgewiesene Pflanzengift Glyphosat, das von der Politik dennoch nicht verboten wird. Dabei gäbe es eine Alternative: „Eine Produktion, die auf die Versorgung der Menschen ausgerichtet ist, würde weder Schadstoffe in der Produktion akzeptieren noch mit dem Verschleiß der Produzenten kalkulieren.“ 

Doch die sozialstaatliche Kalkulation mit der Gesundheit und den Todesfällen wache lediglich darüber, dass die unternehmerischen Maßnahmen nicht zum völligen Ruin von Mensch und Natur führen, so lautet die Quintessenz von Cechuras denkbar schlechter Bewertung der staatlichen Aufgabenerfüllung.

Im Zentrum der Abrechnung des Autors mit unserer Gesellschaftsordnung steht das ökonomisierte Gesundheitssystem. Chronische Leiden wie Diabetes und Krankheiten des Stütz- und Bewegungsapparates seien auf dem Vormarsch, desgleichen multiresistente Erreger („Krankenhauskeime“) sowie psychische Krankheiten wie auch Krebs und Herzkreislaufkrankheiten, deren Ursachen aber nicht ohne Weiteres auf Umweltbelastungen zurückzuführen sind.

Chechura nimmt alles unter die Lupe, den Hausarztbesuch, die Krankenhausbehandlung, die Apotheken, den Gesundheitsmarkt, welcher wie alle anderen Sektoren dem Wachstum von Geldvermögen unterworfen ist. 

Letztendlich bleibt der gut informierte Leser mit einem mulmigen Gefühl zurück, denn es gibt keinen Ausweg aus der Misere. Des Autors Vorschlag „einer umfassenden Änderung unserer Gesellschaft mit dem Ziel, die Produktionsverhältnisse an den Bedürfnissen ihrer Bewohner auszurichten“ klingt nach gescheitertem Konzept des Sozialismus.

Suitbert Cechura: „Unsere Gesellschaft macht krank. Das Leiden der Zivilisation und das Geschäft mit der Gesundheit“, Tectum Verlag, Baden-Baden 2018, broschiert, 336 Seiten, 21,95 Euro