Im Westen gibt es eine propolnische (und antirussische) Erzählung, ein Narrativ: Die Sowjet- union habe ihre ostpolnische Beute aus dem Hitler-Stalin-Pakt nach dem Krieg nicht zurückgegeben, und Polen habe zur Kompensation Ostdeutschland zur Ansiedlung seiner vertriebenen Landsleute aus „Ostpolen“ bekommen. Die in Ostdeutschland nun lebenden Polen seien somit Leidensgefährten der ostdeutschen Vertriebenen, ebenfalls bedauernswerte Vertreibungsopfer der Sowjets.
Ganz so war es denn doch nicht. So waren von den 1950 in den deutschen Gebieten unter polnischer Verwaltung lebenden 5,9 Millionen Menschen nur 1,5 Millionen „Repatrianten“ aus „Ostpolen“. Für eine Peuplierung der Vertreibungsgebiete mit „Repatrianten“ hätten diese zahlenmäßig nämlich gar nicht ausgereicht, denn wenn im Westen auch der Propagandabegriff „Ostpolen“ unkritisch benutzt wird, so bildeten die Polen in diesem Gebiet nur eine Minderheit. So waren 1921 von den 8,8 Millionen Bewohnern „Ostpolens“ nur 2,6 Millionen Polen und selbst 1939 waren es von 11,5 Millionen nur 4,1 Millionen. Das mehrheitlich von Polen besiedelte Gebiet reichte im Osten nämlich nur bis ungefähr zur heutigen Ostgrenze der Republik Polen.
Dem Selbstbestimmungsrecht der Völker folgend schlugen die Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg denn auch eine ungefähr der heutigen entsprechende Ostgrenze der Republik Polen vor, die sogenannte Curzon-Linie. Das reichte den Imperialisten in Warschau allerdings nicht, und sie setzen ihren vor 100 Jahren begonnen Krieg gegen die Sowjets so lange fort, bis diese 1921 schließlich einwilligten, „Ostpolen“ abzutreten. Verständlicherweise nutzten Letztere die erstbeste Gelegenheit (1939), sich „Ostpolen“ zurückzuholen.M.R.
(siehe auch Seite 10)