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08.02.19 / Die Unabhängigkeit aussitzen / 143 Sitzgelegenheiten erinnern an 100 Jahre der polnischen Unabhängigkeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-19 vom 08. Februar 2019

Die Unabhängigkeit aussitzen
143 Sitzgelegenheiten erinnern an 100 Jahre der polnischen Unabhängigkeit
Chris W. Wagner

Sie sind schlicht vom Design und erinnern an einen offenen, rot angeleuchteten Laptop, der auf einem weißen Sockel steht. Auf diesem weißen, rechteckigen Betonsockel ist das Wort niepodleglosc, zu Deutsch Unabhängigkeit, in der nachempfundenen Handschrift Marschall Pilsudskis groß eingefräst.

Diese Bänke, die in Parks und städtischen Grünflächen polenweit aufgestellt wurden, heißen „Unabhängigkeitsbänke“ und sollen nicht nur zum Verweilen animieren, sondern auch der nationalen Aufklärung dienen. Wer nämlich auf einer „Unabhängigkeitsbank“ Platz nimmt und auf an der Seite neben der Sitzfläche einen „Play-Button“ betätigt, wird in elektronischer Weise patriotisch berieselt. Es erklingt das Lied My, Pierwsza Brygada, übersetzt „Wir, die Erste Brigade“, eine Art Hymne der Polnischen Armee, die zum Beispiel am Tag des polnischen Militärs intoniert wird. 1914 als Lied der unter dem Kommando Jozef Pilsudskis stehenden polnischen Legion entstanden, fungierte zunächst unter den Soldaten in den ersten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg als Quasi-Nationalhymne, denn der Mazurek Dabrawskiego wurde erst im Jahre 1927 als offizielle Nationalhymne eingeführt. 2007 wurde „Wir, die Erste Brigade“ offiziell zum Repräsentationsmarsch der Polnischen Armee ernannt. 

Neben dem Militärmarsch erklingt aus dem Lautsprecher der „Unabhängigkeitsbank“ die Rede von Marschall Pilsudski, in der er Polens Unabhängigkeit erklärt. Daneben erfüllen die Bänke auch ganz profane Funktionen. Man kann dort sein Handy aufladen oder kostenlos im Internet surfen. Damit ist die Sitzgelegenheit im Grunde auch ein trojanisches Pferd, mit dem der Jugend Nation vermittelt wird.

In Ostpreußen findet man die zu einem Fünftel durch die Kommune finanzierten „Unabhängigkeitsbänke“, während den Rest das Verteidigungsministerium aus Warschau zuschießt, in Osterode in der Berg- beziehungsweise Kaiserstraße (ul. Czarnieckiego) neben einem Obelisk zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit, in Bartenstein, Seeburg und Widminnen. In Hinterpommern kann man sich in Belgard [Bialogard], Nörenberg [Insko] und Kublank [Kobylanka] nationalbewusst ausruhen. Niederschlesier finden entsprechende Erholung unter anderem in Striegau [Strzegom] vor dem Rathaus, in Langenbielau [Bielawa], in Frankenstein [Zabkowice Slaskie], Reichenbach [Dzierzoniow], Lüben [Lubin], Bad Charlottenbrunn [Jedlina Zdroj] oder Bad Kudowa [Kudowa Zdroj].

Umgerechnet etwa eine Million Euro sind in die landesweite Bänkeaktion geflossen, pro Bank fallen Kosten von knapp 7000 Euro an. Auch wenn diese neue Form von Unabhängigkeitsdenkmälern von hohem Bildungscharakter sei, wie das Verteidigungsministerium via Twitter (@MON_GOV_PL) verlautbarte, so ist ihre Nachhaltigkeit in Polen nicht unumstritten. Vielerorts melden Internetnutzer, dass die weiße Sockelfarbe bereits bröckelt. Auch über das Design wird im Netz häufig geklagt. Die Antwort aus dem Ministerium gegenüber den Zweiflern, vom Ministerium mit einem Anglizismus „Hater“ benannt, lautet: „De gustibus non est disputandum [Über Geschmack streitet man nicht]. Wir erinnern daran, dass mehr als 200 Kommunen (unterschiedlicher politischer Couleur) aus ganz Polen diese Bänke beantragt haben“, so ein Tweet vom 29. Dezember.

Bereits Mitte 2018 ist im Verteidigungsministerium die Entscheidung für das Bänke-Projekt der Designerin Marta Rosiak aus Jaworzno gefallen, doch erst im Dezember wurde dieses durch Onlinekanäle linksliberaler Medien zu einem Politikum. Als nämlich eine „Unabhängigkeitsbank“ prominent postiert im königlichen Warschauer Lazinki-Park installiert wurde, ergoss sich über das Netz ein Shit-storm. Nicht wie eine Bank, sondern wie ein „Unabhängigkeits-Sarg“ würde die Bank aussehen, diese sei eine optische Beleidigung.

Anders als Deutsche vermuten dürften, wurde also auch von der linksliberalen Presse die historische Dimension als solche kaum kritisiert. Die Gazeta Wyborcza beschrieb das Projekt insgesamt als zu militaristisch. Befürworter loben die bislang landesweit aufgestellten 143 Bänke für ihre Nützlichkeit, denn durch das kostenlose Wi-Fi und QR-Codes könne der Verweilende seine Sicht auf die Geschichte schärfen.