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08.02.19 / Suche nach einem Ausweg / Aus sogenannten Escape-Rooms zu fliehen ist zum beliebten Detektivspiel geworden – In Polen kam es dabei zu einer Tragödie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-19 vom 08. Februar 2019

Suche nach einem Ausweg
Aus sogenannten Escape-Rooms zu fliehen ist zum beliebten Detektivspiel geworden – In Polen kam es dabei zu einer Tragödie
Stephanie Sieckmann

Anfang Januar kam es in Köslin [Koszalin] zu einem tragischen Unglück. Fünf Teenager starben in einem sogenannten Escape-Room, nachdem in einem Nebenraum ein Feuer ausgebrochen war. Eines der 15-jährigen Mädchen hatte Geburtstag und sich mit Freundinnen für ein Fluchtspiel freiwillig in einen Raum einsperren lassen, bei dem dann der Fluchtweg versperrt war.

Dass der Besuch der jungen Polinnen in dem Escape-Room, zu Deutsch: Flucht-Raum, in einer Katastrophe endete, ist tragisch. Doch was bewegt Menschen überhaupt dazu, sich mit einer kleinen Gruppe in einem Raum einschließen zu lassen, um in einer vorgegebenen Zeit Aufgaben zu lösen, weil man nur so aus dem Raum entkommen kann? 

Was nach einem Horror-Szenario klingt, ist ein beliebtes modernes Freizeitvergnügen. Die Aufgabenstellungen lauten unterschiedlich: Mal ist es das Ziel, eine Bombe zu entschärfen, mal eine vermisste Person, ein weltrettendes Serum oder ein verlorenes Amulett zu finden. Immer geht es darum, eine Fülle an Rätseln zu lösen, Detektiv zu spielen und die gefundenen Antworten zu einem Puzzle zu­sammenzufügen, die die Lösung bringen. 

Wie das aussieht? In einem dunklen Raum werden von den Mitspielern die Wände nach Ge­heimverstecken abgetastet, mit der Taschenlampe jeder Zentimeter von Gegenständen untersucht, Codes müssen entschlüsselt, No­tizen und Hinweise gefunden werden. Und um sich für diese Erfahrung gehörig unter Zeitdruck setzen zu lassen – oft stehen nur ein oder zwei Stunden zur Verfügung, zahlt der Teilnehmer auch noch Geld. Von 20 Euro an aufwärts muss der Rätselfreund zahlen, viele Anbieter nehmen 35 Euro pro Person.

Diese Art von Spielen kommt offensichtlich bei den Menschen gut an. Warum, weiß Psychologe Sören Al Roubaie: „Escape-Rooms sind in ihrer Konzeption Labyrinthen nachempfunden, wie sie in der Online-Welt beliebt sind. Spiele dieser Art rufen folgende Emotionen in uns hervor: Freude, Spannung, Interesse, Angst, Spaß. Je nachdem wie gut diese Spiele gemacht sind, sorgen sie dafür, dass bei den Spielern Neurotransmitter wie Endorphin oder Adrenalin ausgeschüttet werden, je nach Spielintensität. Diese Prinzipien greifen ebenfalls bei der ,realen Version‘ des Escape-Rooms. Die Teilnehmer erfreuen sich meist an folgenden Phänomenen: Teamarbeit, positiver Stress, realistische Inhalte, Aufgaben und Rätsel. Der Nervenkitzel wird durch den Zeitfaktor ebenfalls begünstigt. Die Teilnehmer erfahren den Leistungsdruck, in dieser Zeit alle Aufgaben und Rätsel lösen zu müssen. Tatsächlich kann ein Escape-Room bei Teilnehmern Nervenkitzel und ähnliche Emotionen hervorrufen, wie es bei manchen Extremsportarten der Fall ist.“

Zeitdruck und realistische Raumgestaltung können die Teilnehmer zudem in einen Flow-Zustand versetzen, dies ist ein Zustand intensiven Vertiefens und Erlebens, wie ihn Künstler oder Sportler in dem oft beschriebenen „Tunnel“ erleben, wenn sie völlig auf ihre Aufgabe konzentriert sind. Nach dieser Flow-Erfahrung ist der Mensch euphorisiert. Dieses Gefühl ist die beste Belohnung. Das Problem dabei ist: Diese Wirkung hat das Spiel nur beim ersten Mal. Der erneute Besuch im Escape-Room wirkt nicht mehr euphorisierend, da die Lösungen bekannt sind. 

Zum Glück gibt es das Abenteuer für die Flow-Süchtigen unter kontrollierten Bedingungen – ab­geschlossen wird der Raum gar nicht unbedingt, es wird aber vorgetäuscht, dass dies der Fall sei – inzwischen in vielen Städten Europas: Amsterdam, Prag, Stock­holm, Berlin, Hamburg, München, allein in Köln gibt es mindestens fünf Escape-Rooms. Derzeit sind in 89 deutschen Städten 205 „Live Escape Game“-Anbieter mit 422 Spielräumen registriert. Die Räume sind häufig Wochen im Voraus ausgebucht. 

Noch mehr Möglichkeiten stehen den Freunden der Escape-Spiele in Budapest zur Verfügung, wo bereits 2011 die ersten dieser Detektiv-Spielplätze entstanden sind. Hier gibt es mehr als 100 verschiedene Spielvarianten, die von mindestens 60 Anbietern unter anderem in leerstehenden Kellergewölben angeboten werden. In Japan sollen bereits 2007 die ersten Escape-Games für Begeisterung gesorgt haben. 

„Die Escape-Rooms haben großes Potenzial, denn sie sind die idealen Veranstaltungen für Teambildungsprozesse“, erläutert Al Roubaie den Trend, dass im­mer mehr Unternehmen Mitarbeiter in Escape-Rooms schicken. „Es gibt einige Unternehmen, die bei ihren internen Trainings auch mal die Möglichkeit eines Escape-Rooms testen und damit zufrieden sind. Dadurch, dass die Aufgaben gemeinschaftlich gelöst werden können und auch manchmal müssen, ist es auch bei größeren Teams bis zehn Personen immer möglich, die eigene Gruppendynamik zu analysieren und zu verbessern.“

Förderlich sind deswegen die Rätsel, der Zeitfaktor und die Dynamik, da die Teilnehmer in der wenigen Zeit effizient und effektiv kommunizieren müssen, um rechtzeitig fertig zu werden und das Ziel zu erreichen. Probleme entstehen meist dann, wenn Teilnehmer eine dysfunktionale Kommunikation haben und der „Angst“-Faktor für einzelne Teilnehmer zu belastend ist. Allgemein schreckhaften Menschen oder Menschen mit Angststörungen, Klaustrophobie und starken Angstgefühlen kann die Teilnahme an Escape-Rooms ohne professionelle psychologische Begleitung nicht empfohlen werden.

Nach der Tragödie in Polen wird man die Sicherheitsbestimmungen für solche Spielzimmer sicherlich verstärken. Die Veranstalter müssen für reale Fluchtmöglichkeiten aus solchen Räumen sorgen, die sonst ihrem Na­men Escape-Room nicht gerecht werden.