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08.02.19 / Reise mit vielen Fragen im Gepäck

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-19 vom 08. Februar 2019

Reise mit vielen Fragen im Gepäck
Dagmar Jestrzemski

Im Jahr 2012 unternahm die Autorin Gabriele Engelbert aus Schlüchtern zusammen mit ihren drei Geschwistern eine Reise nach West- und Ostpreußen, in die Heimat ihres Vaters und seiner Vorfahren. Die Brüder und Schwestern im Alter „um die 60“ sind „halbe Ostpreußen“, dennoch hatten sie sich zuvor kaum für Ostpreußen interessiert. Sie waren in Hamburg aufgewachsen, und ihr Vater hatte nicht viel über seine ersten 15 Lebensjahre in Labiau gesprochen. In Labiau wirkte dessen Vater Paul Zimmermann bis zu seinem Tod 1935 als Rektor an der Mittelpunktschule. 

Engelberts Buch über die Reise der Geschwister trägt den Titel „Wege zum Großvater. Mehr als ein Reisebericht“. Eine Fotografie des alten Rektorhauses in Labiau zeigt das Großelternpaar Zimmermann im Torbogen der Mauer stehend. Früher hing das Bild immer unauffällig an der Wand, später scheint es die Nachkommen der Großeltern gemahnt zu haben, mit ihrer Spurensuche nicht länger zu warten. Das Buch ist mit zahlreichen schönen Fotos mit teilweise ungewöhnlichen Ansichten ausgestattet.  

Die Reise führte die Geschwister zuerst in die Gegend von Graudenz, dann nach Osterode, zur Bernsteinküste nach Rauschen und Cranz, von dort nach Labiau und Gilge, zur Kurischen Nehrung, nach Tilsit und Ragnit, wieder zur Bernsteinküste, nach Königsberg und zum Frischen Haff. Im Gepäck hatten die Geschwister viele Fragen zu ihren ost- und westpreußischen Vorfahren, Fragen, die sie ihrem Vater zu seinen Lebzeiten wohl nicht gestellt hatten. Mündlich überlieferte Erinnerungen lagen also kaum vor, dafür aber verfügt die Autorin über mehrere gut geschriebene Familienchroniken mit ausführlichen, bildhaften Schilderungen aus dem 19. Jahrhundert bis zum Ende der 1930er Jahre. 

Ihre väterlichen Vorfahren waren Lehrer und Pastoren, die glücklicherweise Interesse am Schreiben hatten. Aus den Chroniken und Aufzeichnungen zitiert die Autorin ausgiebig im Wechsel mit eigenen Reiseeindrücken. Alles war neu für sie. Sie schreibt assoziativ, lebhaft, dafür nicht sehr informativ über die eigenen Anliegen hinaus. Anscheinend nicht sonderlich überrascht, finden die Geschwister alle Gebäude, die sie aufzusuchen beabsichtigen, tatsächlich auch vor. Es gibt sie noch und dies durchweg in gutem Zustand: das Gutshaus Peterhof, die Mühle Slupp, die Schulen in Labiau, Osterode und Tilsit.  

Die vom Wasser der Ossa betriebene Mühle Slupp bei Graudenz ist ihre erste Station auf der gemeinsamen Reise. Dort wuchs Paul Zimmermanns Ehefrau Martha geborene Goldnick auf. Das große Fachwerkgebäude, „fast wie aus einem Märchenbuch“, wird noch als Mühle genutzt, daneben steht wie früher das herrschaftlich anmutende Wohnhaus. Früher war das nahegelegene Schloss Peterhof beliebter Familientreffpunkt. Weiter geht es nach Osterode. Von 1877 bis 1910 war dort ihr Urgroßvater Dr. Ernst Leberecht Wüst Schuldirektor am humanistischen Gymnasium. Er hinterließ eine Chronik, berichtete von den hochgestellten Persönlichkeiten, mit denen er verkehrte, jedoch nichts über sein Familienleben mit den sieben Kindern. 

Ein Foto zeigt die historischen Flure in der Schule von Labiau. Im provisorisch hergerichteten Obergeschoss der Schlossruine von Labiau ist heute ein Museum untergebracht, dessen Decken mit senkrechten Balken abgestützt sind. Hier sind alte Möbel, Bilder, Porzellan, Urkunden ausgestellt. Auf die Autorin wirkte das „ein bisschen armselig und eher deprimierend“. In den Badeorten Cranz und Rauschen registrieren sie sanierte Bauten sowie Verfall, auch etliche Bauruinen, offenbar Zeugnisse von raschem wirtschaftlichem Auf- und Abschwung. „In Tilsit am Gymnasium unterrichtete zeitweise unser Urgroßvater George Zimmermann, Vater unseres Großvaters Paul, des Rektors in Labiau. Die damalige ist auch die heutige Schule, hat schöne, hohe Fenster …“. In Ragnit treffen sie den Lehrer und Heimatforscher Juri. Mit seinen Schülern pflegt er liebevoll ein Museum und hat schon etlichen deutschen Besuchern geholfen, lange vermisste Familienangehörige und Freunde ausfindig zu machen. 

Durch ihre gemeinsame Reise mit diesem besonderen Buch als Ergebnis haben die vier Geschwister und hat auch der Leser eine echte Bereicherung erfahren.

Gabriele Engelbert: „Wege zum Großvater. Mehr als ein Reisebericht“, Rautenberg Verlag, Würzburg 2018, gebunden, 140 Seiten, 19,95 Euro