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15.02.19 / Aus »glühender Liebe zum Vaterland« / Vor 100 Jahren wurde der erste Ministerpräsident des Freistaates Bayern, der Sozialist Kurt Eisner, Opfer eines tödlichen Attentats

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-19 vom 15. Februar 2019

Aus »glühender Liebe zum Vaterland«
Vor 100 Jahren wurde der erste Ministerpräsident des Freistaates Bayern, der Sozialist Kurt Eisner, Opfer eines tödlichen Attentats
Erik Lommatzsch

Angesichts von Gustav Ritter von Kahr und dessen „Ordnungszelle des Reiches“ in der Weimarer sowie Franz Josef Strauß und dessen CSU in der bundesrepublikanischen Ära sollte man es kaum glauben, aber der erste Ministerpräsident des Freistaates Bayern war ein Sozialist. Kurt Eisner hieß er, und am 21. Februar 1919 wurde der USPD-Politiker Opfer eines tödlichen Attentats.

Der Attentäter, der 30 Jahre jüngere Adlige, Offizier und Student Anton Graf von Arco-Valley, wurde nach seinen tödlichen Schüssen selbst von Eisners Leibwache niedergeschossen, überlebte aber im Gegensatz zu seinem Opfer  und wurde von dem bekannten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch ärztlich versorgt. In der irrtümlichen Annahme, der SPD-Politiker Erhard Auer, Innenminister im Kabinett Eisner, aber nichtsdestoweniger Eisners Kontrahent, sei für das Attentat verantwortlich, wurde dieser durch den Mitbegründer des „Revolutionären Arbeiterrates“ Alois Lindner wenig später im Landtag ebenfalls schwer verletzt. Ein Offizier, der Lindner aufhalten wollte, starb, ebenso ein konservativer Abgeordneter.

Kurt Eisner, das prominenteste Opfer des Tages, stammte ursprünglich aus Berlin. 1867 als Sohn eines Kaufmanns geboren, wirkte er zunächst vor allem als Journalist und Verfasser politischer Schriften. Er arbeitete bei der „Frankfurter Zeitung“, bei der „Hessischen Landeszeitung“ in Marburg, beim „Vorwärts“ und als Chefredakteur der sozialdemokratischen „Fränkischen Tagespost“ in Nürnberg. Nach München kam er 1910.

1897 war Eisner wegen Majestätsbeleidigung zu einer neunmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Den Sozialismus strebte er an. Politik war für ihn „zum Teil Erziehung, zum größten Teil vorausgeschaute Wirklichkeit“. Das Heil suchte der Theoretiker in einer Kombination der Ideen von Karl Marx und Immanuel Kant. „Eisner setzt die politische Mündigkeit vor die Umwälzung, die vollzogen wird im Namen von Individuen“, formulierte  Freya Eisner, Publizistin und Enkelin des Politikers.

Nachdem er 1914 noch die Zustimmung der Sozialdemokraten zu den Kriegskrediten begrüßt hatte, wandelte er sich mehr und mehr zum radikalen Pazifisten. 1917 war er Mitbegründer und in der Folge maßgeblicher Vertreter der von der SPD abgespaltenen Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) in München. Hier wirkte er als Streikorganisator. In der USPD, die im politischen Spektrum weit links stand, fanden sich diejenigen SPD-Parteimitglieder, welche die Loyalität der Sozialdemokraten gegenüber der kriegführenden Reichsleitung nicht mehr mittragen wollten.

Nach dem Sturz König Ludwigs III. proklamierte der Revolutionär Eisner am 8. November 1918 den Freistaat Bayern. Der Münchener Arbeiter- und Soldatenrat stellte ihn an die Spitze der Regierung. Das Kabinett setzte sich aus USPD, SPD und Parteilosen zusammen. Legitimiert durch eine Wahl war es nicht. Innenpolitisch erstrebte er wohl einen Kompromiss aus parlamentarischer Demokratie und berufsständischem Rätesystem.

Eine umstrittene Tat Eisners während seiner Ministerpräsidentschaft war die Veröffentlichung von Dokumenten der königlich-bayerischen Gesandtschaft in Berlin, auf die er qua Amt Zugriff hatte. Die Papiere, die zumindest in verkürzter, wenn nicht sogar gefälschter Form wiedergegeben wurden, sollten die Kriegsschuld des preußisch dominierten Deutschen Reiches beweisen. Eisner, der auch als bayerischer Außenminister fungierte, erhoffte, auf diese Weise von den Weltkriegsgegnern bessere Friedenbedingungen erreichen zu können. Laut Ministerratsprotokoll war er der Meinung, „dass nur durch die volle Wahrheit jenes Vertrauensverhältnis zwischen den Völkern wiederhergestellt werden könnte, das Voraussetzung für einen Frieden der Völkerversöhnung ist“. Durch die Belastung der vormaligen Führung gedachte er das deutsche Volk in den Augen der Sieger zu entlasten. Die Kürzungen rechtfertigte er damit, dass eine umfangreichere Veröffentlichung ohnehin bevorstehe. Eisners Aktion stieß auch in seinem eigenen Lager auf großes Befremden.

Innenminister Auer hatte Eisner zur Abhaltung von Landtagswahlen gedrängt, die am 12. Januar 1919 stattfanden, wenige Tage nach der blutig beendeten Besetzung des Sozialministeriums durch mehrere tausend Arbeitslose. Zu Eisners Überraschung errang seine Partei gerade einmal drei von 180 Parlamentssitzen. Die SPD kam auf 61, die Bayerische Volkspartei auf 66.

Am 21. Februar 1919 soll Eisner, der auch immer wieder wegen seiner jüdischen Herkunft angegriffen wurde, auf dem Weg in den Landtag gewesen sein, um seinen Rücktritt bekanntzugeben, als er durch Arco erschossen wurde. Der  Weltkriegsleutnant und Jurastudent hatte zuvor erklärt: „Der Grund: Ich hasse den Bolschewismus, ich liebe mein Bayernvolk, ich bin ein treuer Monarchist, ein guter Katholik.“ Arco wurde in Abwesenheit von den Revolutionären sofort zum Tode verurteilt. Als Sauerbruch seinen schwerverletzten Patienten nicht herausgeben wollte, sollte er kurzerhand ebenfalls hingerichtet werden. Beides wurde nicht vollzogen.

Im Gegensatz zu dem Wahlergebnis und einer Reihe prominenter  Stimmen – so etwa sagte der Schriftsteller Ludwig Thoma: „In München haben wir mit der Hinrichtung des Eisner den Nachweis geliefert, dass es uns nicht an Temperament fehlt“ – stand die große Anteilnahme der Bevölkerung bei der Beisetzung des Ministerpräsidenten. Nach dem Tod Eisners kam es zum kurzzeitigen Experiment der „Münchener Räterepublik“, die im Mai 1919 mit Hilfe von aus Berlin gesandten Truppen zerschlagen wurde.

Arcos Einzeltäterschaft wurde gerade aus dem linken Lager immer wieder angezweifelt. Kritik erfuhr die letztendlich relativ milde Strafe. Vor einem regulären Gericht stand Arco erst ein Jahr nach der Tat. Der Richter attestierte ihm, er habe aus „glühender Liebe zum Vaterland“ gehandelt. Auch hier erfolgte ein Todesurteil, das jedoch schon am Folgetag in lebenslange Haft umgewandelt wurde. Nach vier Jahren kam er frei. Während dieser Zeit hatte Arco Privilegien genossen. Der zeitweise parallel mit ihm inhaftierte Adolf Hitler soll sich über Arcos Klavierspiel echauffiert haben, Arco über Hitlers Lärm.

Als Eisner-Attentäter stand der eigenwillige Arco bei NS-Kreisen später in hohem Ansehen. Wie wenig er selbst von deren Regime und deren Führer hielt, geht aus seiner auf Hitler bezogenen Äußerung hervor, er könne „noch einmal einen Diktator umbringen“. Angesichts dieser verworrenen Freund-Feind-Konstellation zeigt sich einmal mehr, dass sich die Welt nicht so einfach in ein politisches Rechts-Links-Schema pressen lässt.