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22.02.19 / In einem großen schwarzen Loch / Zentralafrika bleibt blutig zerrissen – Erzbischof erhofft wenig Gutes von »Friedensverhandlungen«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-19 vom 22. Februar 2019

In einem großen schwarzen Loch
Zentralafrika bleibt blutig zerrissen – Erzbischof erhofft wenig Gutes von »Friedensverhandlungen«

Der Erzbischof von Bangassou ist ein Geistlicher an der Frontlinie zwischen Christentum und Islam. PAZ-Mitarbeiter Bodo Bost interviewte den spanischen Amtsinhaber Juan-José Aguirre Muñoz bei dessen Aufenthalt in Köln über die Situation in der Zentralafrikanischen Republik und die sogenannten Friedensverhandlungen, die unter der Schirmherrschaft der Afri­ka­nischen Union vom 24. Januar bis 5. Februar in Sudans Hauptstadt Khartum stattfanden.

PAZ: Sie sind seit 2000 Bischof in der Zentralafrikanischen Republik. Seit Jahren gibt es dort einen Bürgerkrieg, wie schwer sind die Kämpfe dort im Moment?

Bischof Juan-José Aguirre Muñoz: Ich bin Spanier und stamme aus Cordoba. Seit 38 Jahren lebe ich als Comboni-Missionar in Zentralafrika, seit 18 Jahren bin ich Erzbischof von Bangassou. Früher war das Land ein sehr ruhiges Land. Die Situation ist komplizierter geworden aufgrund von menschlichen Begehrlichkeiten. Seit sechs Jahren leben wir in einem blutigen Bürgerkrieg. Dieser Krieg ist ein wirklicher Leidensweg für die Menschen im Lande. Vor sechs Jahren sind aus dem Norden, vor allem aus dem Tschad, radikale islamische Söldner ins Land gekommen. Diese Rebellen, die sich den Namen „Séléka“ gaben, wurden unterstützt von reichen arabischen Ländern wie Katar und Saudi-Arabien, die das Land plündern und ausrauben wollten. Wir sind wirklich eine verfolgte Kirche geworden. Allein 2018 wurden mindestens fünf katholische Priester ermordet. Viele Hunderte Kirchen wurden zerstört und Tausende von Katechisten ermordet oder vertrieben.

PAZ: Es gibt jedoch nicht nur die radikalen muslimischen Milizen, sondern auch die sogenannten Anti-Balaka-Milizen, die aus der christlichen Bevölkerung kommen sollen. Was sind das für Leute?

Aguirre: Während die Séléka mit radikalen islamischen Netzwerken wie IS oder al-Kaida vernetzt sind und von diesen ihre hochmodernen Kriegswaffen beziehen, entstanden in der lokalen mehrheitlich christlichen Bevölkerung lokale Milizen, die zunächst nur mit einfachen Jagdgewehren und Macheten bewaffnet waren. Diese waren Selbstschutzeinheiten, sie nannten sich Anti-Balaka-Milizen und hatten mit der Kirche gar nichts zu tun. Mit der Zeit sind diese Einheiten auch verroht und kriminell geworden, aber eben nur als Folge auf die Angriffe der Séléka. In Afrika gibt es ein Sprichwort, das sagt: „Wenn zwei Elefanten sich miteinander streiten, leidet am meisten das Gras, auf dem sie stampfen“. Dieses Gras ist die Bevölkerung, zu der auch die Kirche gehört. Wir verteidigen die Menschen, wir versuchen ihnen Mut zu machen. 

PAZ: Warum sind viele Kirchengemeinden in Zentralafrika auch zu Flüchtlingslagern geworden?

Aguirre: Das gesamte Volk Zentralafrikas wurde von dem Bürgerkrieg in Mitleidenschaft gezogen. Oft sind die Menschen nur mit dem, was sie am Leibe trugen, geflüchtet, oft sogar in den Urwald. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Allein in Bangassou haben wir vier Flüchtlingslager. Wir haben in der Kathedrale sogar ein Flüchtlingslager mit 2000 Muslimen. Die Flüchtlinge sind auf ihren eigenen Wunsch hin in die Kathedrale gekommen, wo sie jetzt sicher sind. Seit anderthalb Jahren kümmern wir uns um diese Menschen. Die Menschen in Zentralafrika wissen, dass wenn alle gehen, die Kirche bleibt. Die Kirche ist die einzige noch funktionierende Institution in vielen Regionen des Landes. Wir versuchen in unseren Schulen auch bewusst christliche und muslimische Kinder gemeinsam zu unterrichten, damit der von den radikalen Muslimen gesäte Hass bei der Jugend nicht auf fruchtbaren Boden fällt.

PAZ: Wollte die Séléka aus Zentralafrika, das zu 80 Prozent ein christliches Land ist, einen radikal-islamischen Staat machen? 

Aguirre: Der Beginn des Konfliktes in unserem Land war der Einfall der ausländischen Séléka-Milizen, die das Land, vor allem die Bodenschätze wie Diamanten und Kobalt, im Auftrag ausländischer islamischer Mächte ausrauben sollten. Um dies zu vertuschen, hat man den Konflikt als religiösen Konflikt dargestellt. Heute kontrollieren die Séléka-Rebellen und ihre Nachfolgeorganisationen schon 80 Prozent des Landes. Die offizielle Regierung kontrolliert nur noch 20 Prozent des Landes. Es gibt radikale Kräfte im Islam, die in der Lage sind, ihre Sicht der Mehrheit aufzudrängen. Die moderaten Kräfte in Zentralafrika sind abwartend, sie warten ab wie sich die Dinge entwickeln, wenn die radikalen Kräfte die Überhand gewinnen, werden sie, wie auch in Syrien und im Irak, auf deren Seiten wechseln. Dann wird es keine Moderaten mehr geben. Das war bereits der Fall im Jahre 2013, als die Séléka für neun Monate die Macht in Bangui übernommen hatte. Damals wurden bereits Vorbereitungen getroffen, um aus dem Islam die Staatsreligion zu machen, aus den Christen wurden bereits damals Bürger zweiter Klasse.

PAZ: Warum ist es den internationalen Truppen, zunächst den Franzosen, dann den UN nicht gelungen, den Frieden im Lande wieder herzustellen?

Aguirre: Die Anwesenheit der 15000 UN-Soldaten und Mitarbeiter in Zentralafrika ist sehr zweideutig. Für viele Soldaten ist das ein großes Geschäft. Diese Menschen verdienen sehr viel Geld, sie haben kein Interesse, dass sich ihr Auftrag schnell erledigt. Wir haben zum Beispiel in Bangassou viele marokkanische Soldaten, die in einem eigenen Viertel sehr gut leben und kein Interesse daran haben, zu der Lösung des Konfliktes beizutragen. Ähnliches könnte man über die UN-Kontingente aus Mauretanien, Ägypten und Pakistan sagen, alles mehrheitlich muslimische Länder, die bei den ersten Kampfhandlungen sofort die Szene verlassen. Nur die UN-Soldaten aus Portugal, Ruanda und Burundi setzen sich wirklich für den Schutz der Bevölkerung ein und versuchen, ihren Beitrag zum Frieden in Zentralafrika zu leisten. Diese bilden jedoch nur eine Minderheit der Truppe der Minusca (Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der UN in der Zentralafrikanischen Republik). Die große Mehrheit der internationalen Truppe sieht ihren Einsatz als Business zur Selbstbereicherung. 

PAZ: Sind diese Verhältnisse bei der Leitung der MINUSCA-Truppe bekannt und auch bei der UN?

Aguirre: Ich habe persönlich mit dem UN-Generalsekretär Antonio Guterres gesprochen über die Probleme bei der MINUSCA. Alles läuft ab wie in einer großen Maschinerie. Guterres hat behauptet, dass ohne die Soldaten der UN die Situation in Zentralafrika noch schlimmer wäre. Mit solchen UN-Einsätzen bereichern sich viele arme Staaten, weil die Gehälter der Soldaten nicht an diese gehen, sondern an deren Heimatstaaten, für die diese eine wichtige Einnahmequelle darstellen.

PAZ: In Khartum fanden vor Kurzem Friedensgespräche statt. Welche Erwartungen haben Sie daran?

Aguirre: Die Konferenz von Khartum war bereits der achte Versuch einer Verhandlungslösung. Immer hatten bislang nach den Verhandlungen wieder die Waffen die Oberhand gewonnen. Diesmal ging die Initiative von der Afrikanischen Union aus, deren Sitz in Addis Abeba in Äthiopien ist. Dort hatte man ursprünglich die Verhandlungen führen wollen. Vor Kurzem wurden zwei christliche Anti-Balaka-Führer an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt. Das hat den muslimischen Kriegsherren einen Schrecken versetzt. Weil viele dieser 14 Kriegsherren, die diese Verhandlungen führen, auf der Fahndungsliste des UN-Strafgerichtes in Den Haag stehen, hat man diese Verhandlungen in den Sudan verlegt, dessen Präsident Umar al-Baschir, ebenfalls auf der Fahndungsliste des Gerichtes steht. Diskutiert wurden zwei Punkte, einmal eine Amnestie für die 14 muslimischen Bandenchefs, die alle vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesucht werden, und eine Aufteilung des Landes anhand einer Linie von Kabo im Norden nach Alindao im Süden. Der Ostteil dieser Linie, der heute schon zum größten Teil in der Hand der muslimischen Rebellen ist, soll ein islamischer Staat werden, der nach Mekka ausgerichtet wird. Mein Bistum Bangassou liegt in diesem östlichen bald muslimischen Staat. Wir werden als Priester und Bischöfe auch in diesem zukünftigen muslimischen Staat bleiben. Wir werden uns den Argumenten der Waffen, auch wenn diese scheinbar stärker sind, nicht beugen, weil wir auf der Seite der Menschen sind. 

Zentralafrika wird immer mehr auch in den globalen Konflikt mit der nicht sesshaften Fulbe-Bevölkerung hineingezogen, die in ganz Westafrika lebt. Die Fulbe sind eine Mischung aus der weißen Berberbevölkerung Nordafrikas und afrikanischen Völkern. Viele der derzeitigen Probleme der Region gehen von dieser Nomadenbevölkerung aus, die jetzt von islamischen Fundamentalisten mit Ölgeldern aus dem Golf zu radikalen Muslimen umerzogen wird und dabei ist sich sesshaft zu machen. Zentralafrika ist ein fruchtbares, aber sehr verwundbares Land, das zweitärmste der Welt, ohne Armee. Deshalb haben einige politische Schwergewichte in den arabischen Ländern wohl entschieden, die Fulbe im Osten Zentralafrikas anzusiedeln. Ihr Anteil unter den Séléka-Rebellen ist deshalb sehr groß. 

PAZ: Warum unterstützt die UN nicht die Bildung einer neuen starken Zentralregierung in der Hauptstadt Bangui?

Aguirre: Schon während der Intervention der Franzosen, der Mission Sangaris, gab es einen Beschluss zu einem Waffenembargo für Zentralafrika. Dieser Beschluss wurde von der UN fortgeführt, mit einer Ausnahme. Man hat einer russischen Söldnertruppe, der Wagnertruppe, einer Truppe mit 125 Mann, im letzten Jahr erlaubt, eine bewaffnete Sicherheitsmission im Lande durchzuführen und zwei Bataillone der Regierungsarmee, „FACA“ (Forces Armées Centrafricaines) genannt, auszurüsten. Auf diese Truppe, die von der Bevölkerung enthusiastisch begrüßt wurde und welche die Präsidentengarde ausbildet, setzen viele Einheimische jetzt ihre Hoffnung. 

PAZ: Sind diese Hoffnungen begründet und legitim?

Aguirre: Die Franzosen sind viel zu schnell aus Zentralafrika abgezogen und die UN tut im Grunde nichts, um das Land zu befrieden. Deshalb sind die Russen die einzigen, die übrigbleiben als Hoffnungsträger. Aber wir wissen alle, dass die Russen keine neutralen Entwicklungshelfer sind, man sieht es in Syrien. Sie haben ihre eigenen Interessen und auch ihnen wurden große wirtschaftliche und finanzielle Zusagen gemacht. Zwei Abteilungen der russischen Wagner-Truppen sind sogar bis zu uns nach Bangassou gekommen, wo sie euphorisch von der nicht muslimischen Bevölkerung begrüßt wurden. Die Russen sollen vor allem die FACA-Soldaten ausbilden, die Soldaten der nationalen Armee Zentralafrikas, aber diese verfügen über keine Waffen, um sich irgendwelchen Rebellen in den Weg zu stellen. Frankreich hatte zuletzt an diese Armee eine dreistellige Anzahl von Kalaschnikows geliefert, aber ohne die entsprechende Munition. Eine Farce. Wir befinden uns in einem großen schwarzen Loch.