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22.02.19 / »Ein neuer Sozialstaat« / Wie die anderen etablierten Parteien auf den Linksruck der SPD reagieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-19 vom 22. Februar 2019

»Ein neuer Sozialstaat«
Wie die anderen etablierten Parteien auf den Linksruck der SPD reagieren
Peter Entinger

Die Anzeichen mehren sich, dass die Große Koalition in Berlin ihren Zenit überschritten hat. Die SPD verstört mit ihrem Linkskurs die Union, diese macht sich Gedanken um die Merkel-Nachfolge.

Nach schier endlosen Debatten, Diskussionen und Streit will die SPD die vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeführten Sozialgesetze unter dem Namen „Hartz IV“ durch ein sogenanntes Bürgergeld ersetzen. „Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“, heißt das 17-seitige Papier, das der Parteivorstand kürzlich beschlossen hat. 

Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der Jungsozialisten und bisheriger Chefkritiker der Parteiführung, äußerte sich prompt derart begeistert, dass im Lager der Union alle Alarmglocken schrillten. „Quantensprünge“ nannte er die Ideen gegenüber dem Berliner „Tagesspiegel“ und fügte hinzu: „Wir lösen uns aus einer bleiernen Debatte der letzten Jahre.“ 

Die Grundrichtung ist klar. Die Umfragen waren in der Vergangenheit für die Genossen derart verheerend, dass sie nichts mehr zu verlieren zu haben scheinen. Mit Reformplänen will die schwächelnde SPD nun ihr soziales Profil schärfen und bereits bei den anstehenden Europawahlen im Mai sowie bei den Bürgerschaftswahlen in ihrer bisherigen Hochburg Bremen doch noch punkten. Eckpunkte der internen Vereinbarung sind unter anderem Lockerungen bei den Hartz IV-Gesetzen wie weniger Sanktionen für jene, die einen Job ablehnen, sowie eine längere Auszahlung des Arbeitslosengeldes I. Außerdem will die SPD eine Grundrente ohne Bedarfsprüfung durchsetzen. Als besonders populär schätzen die Genossen eine neuerliche Debatte über den Mindestlohn ein. „Unser Ziel ist die perspektivische Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro“, heißt es im Sozialpapier. Der Mindestlohn könne aber nur eine „Untergrenze“ sein, das eigentliche Ziel seien „anständige Tariflöhne“. Juso-Chef Kühnert ist begeistert: „Wir sind wieder auf dem richtigen Weg.“ 

Das sieht die Union naturgemäß anders. Viele in der Partei fragen sich, wann die neue Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer aus der Deckung kommt. Ihre Vorgängerin Angela Merkel hält es derzeit wie schon so oft und versucht die Debatte auszusitzen. Die verbale Kraftmeierei übernehmen andere. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, ein langjähriger Vertrauter der Kanzlerin und stellvertretender Parteichef, stellte erbost fest, die SPD plane „die Beerdigung der sozialen Marktwirtschaft“. Die Partei habe sich „für einen strammen Linkskurs entschieden“. Besonders die von Sozialminister Hubertus Heil vorgelegte Grundrente wird abgelehnt: „Sie führt zu höheren Steuern und zwar für alle Arbeitnehmer.“ Markus Söder, CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, sagte gegenüber der Deutschen PresseAgentur, die Grundrenten-Pläne seien „nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt“. Dieser werde nicht neu verhandelt. Die Grundrente steht zwar im Koalitionsvertrag; dort ist aber eine Bedürftigkeitsprüfung vorgesehen, die in Heils Konzept fehlt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stellte offen einen Bruch der Koalition in Aussicht. Die „Hartz-IV-Traumabewältigung der SPD“ sei keine Arbeitsgrundlage für das schwarz-rote Bündnis. „Der eine oder andere scheint vom linken Affen gebissen zu sein“, ergänzte er. Die Union setze der Sozialstaatsdebatte der SPD eine Wachstumsdebatte mit Forderungen nach Innovationen, Investitionen und besserer Infrastruktur entgegen.

Der radikale und auch plötzliche Kursschwenk versetzt die politischen Mitbewerber in Aufregung. Auch wenn sie sich betont gelassen geben. „Ich hatte noch nie Angst vor der SPD. Insofern stört mich das nicht, im Gegenteil. Ich freue mich, wenn die SPD jetzt zu demselben Ergebnis kommt“, sagte André Hahn, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linkspartei. Und der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch fügte hinzu: „Die Butter vom Brot nehmen lassen wir uns mit der sozialpolitischen Offensive der Sozialdemokraten ganz bestimmt nicht.“ 

Und die CDU? Die poltert, keift und versucht auszuloten, welche Konsequenzen die Pirouette der Sozis haben könnte. Die neue Parteivorsitzende ist damit beschäftigt, Wunden aus der Zeit Merkels zu heilen, obwohl diese noch im Amt ist. Öffentlich lobt sie die Zusammenarbeit mit der CSU, räumt Fehler während der Einwanderungskrise ein und hält neuerdings auch Grenzschließungen für denkbar. So wie die SPD nach links ausschert, um verlorenes Terrain zurückzuerobern, so versucht Kramp-Karrenbauer im Revier der Alternative für Deutschland zu wildern. 

Die gewöhnlich gut informierten Hauptstadtkorrespondenten der großen Redaktionen spekulierten in der vergangenen Woche bereits, die Europawahl könne das Ende der Großen Koalition bedeuten. Sollte die SPD dort schlechter abschneiden als die AfD, sähe sie sich gezwungen, die Regierung zu verlassen. Dass Merkel noch einmal Koalitionsverhandlungen führt, gilt als ausgeschlossen. Als Alternative käme ohnehin nur ein Jamaika-Bündnis mit Grünen und FDP in Frage. Liberalen-Chef Christian Lindner hat kürzlich noch einmal beteuert, er werde in keine Regierung Merkel einsteigen. Unter anderen personellen Voraussetzungen würde allerdings „eine völlig neue Lage entstehen.“