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22.02.19 / Gelungene Generalprobe / Vor 50 Jahren wurde Gustav Heinemann mit den Stimmen von SPD und FDP zum Bundespräsidenten gewählt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-19 vom 22. Februar 2019

Gelungene Generalprobe
Vor 50 Jahren wurde Gustav Heinemann mit den Stimmen von SPD und FDP zum Bundespräsidenten gewählt
Dirk Pelster

Vor 50 Jahren gab es eine ungewöhnliche Konstellation. Trotz gemeinsamer Großer Koalition auf Bundesebene hatten SPD und CDU zur Wahl des dritten Bundespräsidenten unterschiedliche Kandidaten aufgestellt. Mit den entscheidenden Stimmen der linksgewendeten FDP wurde der Sozialdemokrat Gustav Heinemann Bundespräsident wie einige Monate später der Sozialdemokrat Willy Brandt Bundeskanzler.

Als am 5. März des Jahres 1969 die 5. Bundesversammlung in West-Berlin zusammentrat, um kurz vor dem 20. Geburtstag des noch jungen westdeutschen Teilstaates einen neuen Präsidenten zu wählen, da ahnten ihre Mitglieder noch nicht, dass es ein langer Tag für sie werden würde. Begleitet wurde die Tagung des Verfassungsorganes von internationalen Protesten. Da Berlin unter dem Vier-Mächte-Vorbehalt der alliierten Sieger stand und offiziell gar nicht Teil der Bundesrepublik war, stießen sich vor allem die Sowjets und deren Verbündete an der Wahl des Versammlungsortes. 

Zunächst eröffnete Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel (CDU) um 10.04 Uhr die Sitzung. In seiner Rede wies er den aus dem sozialistischen Lager erhobenen Vorwurf der Provokation zurück, erinnerte an den zurück­liegenden Besuch des US-Präsidenten John F. Kennedy in der Stadt, bedankte sich bei den Westalliierten und erläuterte sodann das weitere Verfahren. 

Zur Wahl standen an diesem Tag nur zwei Kandidaten. Zum einen der von der CDU/CSU-Fraktion ins Rennen geschickte Bundesinnenminister Gerhard Schröder (CDU) und zum anderen der von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Bundesjustizminister Gustav Heinemann (SPD). Obwohl die nominierenden Parteien bereits seit 1966 im Rahmen einer Großen Koalition in Bonn zusammen regierten, hatten sie sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können. 

Neben Mitgliedern der SPD und der Union gehörten auch noch 83 Abgeordnete der FDP und 22 Delegierte der NPD der Bundesversammlung an. Während die Nationaldemokraten von vornherein erklärten, für Schröder stimmen zu wollen, unterstützte die FDP offiziell Heinemann. Zwar hatten Sozial- und Freidemokraten zusammengenommen eigentlich eine klare Mehrheit in der Bundesversammlung, jedoch taten sich viele von der FDP in das Gremium entsandte Delegierte dann doch schwerer mit der Wahl des SPD-Politikers, als zu erwarten war. Die Ursachen hierfür sind einerseits in der Person Heinemanns, aber andererseits auch in der programmatischen Neuausrichtung der Freidemokraten zu suchen. 

Nur ein Jahr zuvor hatte der langjährige FDP-Vorsitzende Erich Mende auf eine erneute Kandidatur für das höchste Parteiamt verzichtet. Der vormalige Wehrmachtsoffizier und Ritterkreuzträger stand während seiner Amtszeit für einen pointiert nationalen Kurs. Ihm folgte der liberale Wal­ther Scheel, während im Hintergrund andere Vorstandsmitglieder, wie Hans-Dietrich Genscher und Willi Weyer, die Partei schon in Richtung der politischen Mitte und damit in die Arme der Sozialdemokraten trieben. Doch noch hatte sich die neue Linie nicht vollständig in den FDP-Fraktionen von Landtagen und Bundestag durchgesetzt. Daher dürfte auch der Kandidat Heinemann längst nicht allen von der Partei in die Bundesversammlung entsandten Mitgliedern geheuer gewesen sein. 

Der 1899 im westfälischen Schwelm geborene Jurist hatte sich bereits während der Weimarer Zeit in pazifistischen Kreisen und für die linksliberale Deutsche Demokratische Partei engagiert. Durch seine Frau Hilda kam er in den späten 20er Jahren zunehmend mit Vertretern der evangelischen Kirche in Kontakt. Während der nationalsozialistischen Regierungszeit bewegte er sich im Dunstkreis der Bekennenden Kirche, einer Gruppe von Protestanten, die in Opposition zum systemtreuen Kurs der Amtskirche stand. 

Nach dem Krieg wurde Heinemann von den britischen Besatzern als Oberbürgermeister von Essen eingesetzt. Er gehörte zu den Mitbegründern der CDU. Als Präses stand er zudem von 1949 bis 1955 der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vor und gehörte 1949 zu den Unterzeichnern des sogenannten Stuttgarter Schuldbekenntnisses. In Bezug auf die Interpretation der deutschen Geschichte seit Otto von Bismarck bildet dieses Schlüsseldokument den Grundstein für die bis heute in Staat und Gesellschaft vorherrschende Kultur der moralischen Selbstbezichtigung. Im selben Jahr berief Konrad Adenauer Heinemann als Bundesinnenminister in sein Kabinett. Als der Kanzler auf die Forderungen der US-Amerikaner hin erste Schritte zu einem eigenen militärischen Beitrag der Bundesrepublik für ein noch einzugehendes Bündnis mit den Westmächten einleitete, kam es zum Zerwürfnis zwischen beiden Männern. Heinemann trat von seinem Amt zurück und begründete dies mit der Gefahr einer möglichen Renazifizierung durch die geplanten Aufrüstungsbestrebungen. Wenig später trat er auch aus der CDU aus. 

Mit einigen Weggefährten gründete er die Gesamtdeutsche Volkspartei, die sich gegen die Remilitarisierung und für die Blockfreiheit Deutschlands einsetzte. Allerdings blieb die Gruppe bei Wahlen ohne nennenswerten Erfolg, sodass Heinemann 1957 zur SPD übertrat. Dort wurde der deutlich jüngere Willy Brandt sein Förderer, der ihn als Bundesjustizminister der ersten Großen Koalition 1966 wieder zurück an den Kabinettstisch holte. In dieser Funktion verantwortete er die ersten wichtigen Schritte zur Liberalisierung des Strafrechts. Der Umstand, dass er die aufkommende linke Studentenbewegung vor Angriffen ihrer Gegner in Schutz nahm, brachte ihm den Spitznamen „APO-Opa“ ein. Auch forderte Heinemann in moralgeschwängerten Reden immer wieder eine Demokratisierung von Staat und gesellschaftlichen Institutionen. Konzeptionell passten derartige Verlautbarungen hervorragend zur Agenda des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, der ebenfalls „mehr Demokratie wagen“ wollte, was sich innerhalb der Großen Koalition jedoch nicht in der gewünschten Form realisieren ließ. Auch er peilte daher nach der Bundestagswahl 1969 ein Bündnis mit der FDP an. 

Die Popularität Heinemanns bei Teilen der Jugend war ausschlaggebend für seine Nominierung für das Amt des Bundespräsidenten. Dieses Manöver eignete sich hervorragend als Testlauf, um festzustellen, wie viel Rückhalt der neue linksliberale Kurs schon innerhalb der FDP-Fraktion der Bundesversammlung hatte. 

Zwar verfehlte Heinemann in den ersten beiden Wahlgängen die absolute Mehrheit, dennoch erlangte er jeweils einen knappen Stimmenvorsprung vor seinem Gegenkandidaten Schröder. In der dritten Abstimmung reichte die relative Mehrheit dann für die Entscheidung aus. Das Wahlergebnis nahm damit die sich ändernden Mehrheitsverhältnisse bei der Bundestagswahl im September 1969 symbolisch vorweg. Auch inhaltlich repräsentierte Heinemann bereits den neuen sozialliberalen Geist der kommenden Regierungskoalition aus SPD und FDP.