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22.02.19 / Umfangreiche Anthologie der Vertriebenenliteratur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-19 vom 22. Februar 2019

Umfangreiche Anthologie der Vertriebenenliteratur
Dagmar Jestrzemski

Flucht, Vertreibung und Neubeginn in der Fremde sind seit über 70 Jahren durchgängig ein Thema in der Literatur. Sie fanden einen unüberschaubaren Niederschlag in zahllosen Erlebnisberichten sowie, wenn auch in weit geringerem Umfang, in der künstlerischen Form, also in Romanen, Erzählungen, Novellen und Lyrik. Beides dient vorrangig der Vergangenheitsbewältigung, doch anders und stärker als in den autobiografischen Berichten durchdringt bei der künstlerischen literarischen Verarbeitung die subjektive Sicht der Autoren ihre Werke, was angesichts der dramatischen Geschehens heißt: ihre Hoffnungen und Ängste. 

Es ist das Verdienst von Axel Dornemann, einem hervorragenden Kenner der schöngeistigen Vertreibungsliteratur, mit der fast 800-seitigen Anthologie „Heimwehland. Flucht – Vertreibung – Erinnerung. Ein literarisches Lesebuch“ eine beispielgebende Sammlung von in sich geschlossenen Texten und Romanauszügen dieses Genres zusammengetragen zu haben. Als erfahrener Herausgeber von Anthologien hat der ehemalige Lektor und Verlagsleiter ein Literaturpanorama zur Katastrophe der Jahre 1945 bis 1947 mit all ihren Folgeerscheinungen bis zur Gegenwart geschaffen, das die Voraussetzungen erfüllt, ein Standardwerk der Gattung Vertreibungsliteratur zu werden. Zu dem großen inhaltlichen Komplex wurden Romanauszüge, Erzählungen, Essays, fiktionale Tagebücher und Lyrik von mehr als 60 Schriftstellern zusammengefügt. Berücksichtigt wurden neben Größen des alten Kanons wie Willi Kramp, Peter Huchel, Günter Grass, Edzard Schaper und Horst Bienek bekannte Schriftsteller der jüngeren Generation, darunter Tanja Dückers, Joana Bator und Olga Tokarczuk. Weiterhin sind weniger bekannte sowie ganz unbekannte Autoren mit ihren nicht minder eindrucksvollen Werken vertreten, die ohne die Recherche des Autors in den Archiven verborgen geblieben wären. 

Im historischen und geografischen Kontext der Anthologie sind die Vertreibungsgebiete West- und Ostpreußen, Schlesien, Pommern, Ostbrandenburg und das Sudetenland abgedeckt. Aus diesen Gebieten flohen bei Kriegsende 12 bis 14 Millionen Deutsche oder wurden von den Russen überrannt und 1945 bis 1947 gewaltsam vertrieben. Zweieinhalb Millionen Menschen, vor allem Alte, Frauen und Kinder, fanden auf der Flucht den Tod oder verhungerten in der Nachkriegszeit. 

Aufgrund von inhaltlichen Kriterien und gemäß der chronologischen Abfolge wurden sieben Kapiteleinheiten zusammengestellt. Innerhalb jedes Kapitels ergänzen die Texte einander hinsichtlich der sehr unterschiedlichen Ausprägungen des erlebten Unrechts und Leids, dem erzählerisch in prosanahen Texten oder im Gedicht Ausdruck verliehen wird. In den belletristischen Arbeiten fällt auch die politische und theologische Dimension ins Gewicht. Den Romanauszügen hat der Herausgeber jeweils eine kurze Einführung vorangestellt. 

In drei Kapiteln sind die Themenkomplexe „Tanz auf dem Vulkan“, „Flucht und Vertreibung“ sowie „Frostiger Empfang“ der bettelarmen Flüchtlinge vereint. Viele Kinder und Enkel der Flüchtlinge und Vertriebenen wuchsen in der DDR und in der Bundesrepublik mit den Geschichten ihrer Eltern und Verwandten aus der Heimat auf, als wären es ihre eigenen. Mit der unfreiwilligen Sonderstellung der Flüchtlingskinder verbunden war oft eine erbarmungslose Ausgrenzung. Davon handeln unter anderem Texte im Kapitel „Schweres Erbe“. 

In Schlesien waren es ebenfalls die Kinder der aus „Ostpolen“ umgesiedelten Menschen, welche sich mit dem Hass auf alles Deutsche als Erbe von Krieg,  Gewalt und Propaganda auseinandersetzten. Von ihrer Auseinandersetzung mit der verschwiegenen, aber immanent vorhandenen deutschen Vergangenheit handeln Erzählungen und Romanauszüge im dritten Kapitel „Ostwestlicher Bevölkerungsaustausch“. Die beiden letzten Kapitel des Bandes sind der Reise in die Heimat, Erinnerung und Versöhnung sowie der Lyrik gewidmet. 

Unverzichtbare Beigaben zum Verständnis der jeweiligen Konstellation sind Kurzbiografien der Autoren und die ausführlichen Nachbemerkungen des Herausgebers. Das Publikationsvorhaben wurde mit Förderung durch öffentliche Mittel an der TU Chemnitz verwirklicht.

Axel Dornemann: „Heimwehland. Flucht – Vertreibung – Erinnerung. Ein literarisches Lesebuch“, Georg Olms Verlag, Hildesheim 2018, gebunden, 779 Seiten, 38 Euro