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22.02.19 / Deutschlands Führungsrolle innerhalb der EU und Kritik an seiner Dominanz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-19 vom 22. Februar 2019

Deutschlands Führungsrolle innerhalb der EU und Kritik an seiner Dominanz
Dirk Klose

Ja, wat denn nu?“, würde der Berliner fragen. Da wird einerseits in der Krise der EU von Deutschland wegen seiner politischen und wirtschaftlichen Stärke eine Führungsrolle erwartet, zugleich aber eine deutsche Dominanz in Europa heftig kritisiert; in einigen südeuropäischen Ländern kam schon der Vorwurf einer „Germanisierung Europas“ auf. 

Der an der Universität Mainz lehrende Politikwissenschaftler Andreas Rödder hatte vor wenigen Jahren ein Buch über die Probleme der westlichen Industriegesellschaften im 21. Jahrhundert vorgelegt (siehe PAZ vom 3. Juni 2016). „Wer hat Angst vor Deutschland?“ überschreibt er sein neuestes Buch, das zu Recht im Untertitel „Geschichte eines europäischen Problems“ heißt. Rödder spürt in einer ebenso anregenden wie kenntnisreichen Analyse den Stereotypen und Vorurteilen nach, denen sich Deutschland seit der Reichsgründung von 1871 in Europa ausgesetzt sah, auf die es, auch das zeigt Rödder, seinerseits mit einer Art Trotz oder Selbstmitleid reagierte. 

Meinungen über andere Völker sind keineswegs bloße Spinnereien, sondern haben handfeste, mitunter segensreiche, öfters aber fatale Auswirkungen auf die praktische Politik. Vor 1914 wurde Deutschland einerseits bewundert wegen seines einzigartigen Ni-

veaus in Bildung und Wissenschaft, auch wegen seiner großen kulturellen Leistungen. Gleichzeitig aber wurde seine wachsende wirtschaftliche und militärische Stärke mehr und mehr als Bedrohung empfunden. Im Ersten Weltkrieg eskalierten die grobschlächtigen Meinungen: Die Deutschen waren Hunnen und Schlächter wehrloser Frauen und Kinder, umgekehrt die Engländer Krämerseelen, die Franzosen dekadente Zivilisten, die Russen asiatische Horden. In der Zwischenkriegszeit wurden die Meinungen freundlicher, um dann nach 1933 erneut in feindselige Extreme umzuschlagen. 

Unter Bundeskanzler Konrad Adenauer versuchte die junge Bundesrepublik erfolgreich, wieder „Souveränität durch Souveränitätsverzicht“, so der Autor, zu erreichen. Das Land gab bereitwillig viele Hoheitsrechte an europäische Institutionen ab, was einen Höhepunkt unter Bundeskanzler Kohl erreichte, der halb bereitwillig, halb von Mitterand gezwungen, die Währungsunion mit dem Euro akzeptierte und die D-Mark opferte. 

Aber die Schatten der Vergangenheit waren nicht verschwunden. In der Euro-Schuldenkrise brachen alte Meinungen über das „dominante“, das „selbstsüchtige“ und nationalistische Deutschland  wieder auf; umgekehrt steigerte sich das deutsche Unverständnis über das Nicht-sparen-können oder Nicht-sparen-wollen der südeuropäischen EU-Länder zu Arroganz und Selbstmitleid („wir sind die Zahlmeister Europas“). Wie da herauskommen? 

Rödder weiß auch kein Allheilmittel, etwas vage schreibt er: „Was es braucht, sind historisch inspirierte Kreativität, politischer Wille und kooperative Führung“, um zu einem Europa zu kommen, das deutsche Stärke und europäische Ordnung verbindet.

Was man aus diesem Buch lernen kann: Stereotype und böswillige Vorurteile entstehen in Windeseile; unterschwellig halten sie sich über Jahrzehnte und können bei jedem beliebigen Anlass erneut virulent werden und das Zusam-menleben der Völker gefährden. Darum müsse alles versucht werden, Eskalationen zu verhindern, sowohl durch tolerante Politik als auch – und das werde heute immer wichtiger – durch mehr Besonnenheit in den „sozialen“ Medien. 

Andreas Rödder: „Wer hat Angst vor Deutschland? Geschichte eines europäischen Problems“, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, gebunden, 368 Seiten, 20 Euro