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01.03.19 / Gefahr der Altersarmut wächst rasant / Seit Inkrafttreten der Pflegestärkungsgesetze explodieren die Pflegekosten – Politik sucht nach Lösungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-19 vom 01. März 2019

Gefahr der Altersarmut wächst rasant
Seit Inkrafttreten der Pflegestärkungsgesetze explodieren die Pflegekosten – Politik sucht nach Lösungen
Manuela Rosenthal-Kappi

Die Bundesregierung ist bemüht, den steigenden Pflegebedarf mit gesetzlichen Regelungen und Anreizen für Altenpflegepersonal Rechnung zu tragen. Die geltenden Gesetze sind jedoch kaum geeignet, der drohenden Altersarmut von Pflegebedürftigen entgegenzuwirken.

In den vergangenen Wochen erhielten Hunderttausende Pflegeheimbewohner in Deutschland unerfreuliche Post: Die Pflegekosten sind erneut gestiegen. Für die einzelnen Heimbewohner bedeutet dies, dass sie – je nach Träger ihrer Einrichtung und Region – zwischen 200 und 500 Euro monatlich mehr für ihre Pflege ausgeben müssen. 

Im Bundesdurchschnitt mussten Heimbewohner 2017 allein für Pflegeleistungen 554,55 Euro zahlen, im Januar 2018 waren es durchschnittlich bereits 593 Euro. Nun drohen die Kosten zu explodieren. Zu den Pflegekosten kommen noch die für Essen und Unterkunft. Der Eigenanteil eines Pflegebedürftigen beträgt im Schnitt rund 1800 Euro, ein Platz im Pflegeheim kostet 3000 Euro. Das Dilemma: Die Rente reicht für diese Mehrkosten nicht mehr aus.  Ist auch das Ersparte aufgebraucht, springt die Sozialhilfe ein. Laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos sind derzeit 3,4 Millionen Menschen in Deutschland auf Pflege angewiesen, und schon jetzt beziehen 37 Prozent der Bewohner von Pflegeheimen und drei Prozent der ambulant Gepflegten staatliche Hilfen zur Pflege. Diese Zahl wird sich in den kommenden Jahren durch die Kostensteigerungen in der Altenpflege weiter erhöhen. 

Die Pflegeversicherung fängt die Mehrkosten nicht ab, da im Sozialgesetzbuch nur ein feststehender Sockelbeitrag verankert ist. Dabei hatte die Bundesregierung versprochen, mittels der jüngsten Pflegereform demente Senioren besser zu versorgen und sie finanziell zu entlasten. Beides wurde nur unzureichend umgesetzt. 

Die Pflegestärkungsgesetze (PSG I–III), deren letzte Stufe seit dem 

1. Januar 2017 in Kraft ist, regeln nicht nur die bessere Anerkennung von Pflegebedürftigkeit, höhere Leistungen und die Verbesserung der Pflege auf kommunaler Ebene, sondern auch die Bezahlung von Pflegern nach Tarif. Der Tarifvertrag sieht vor, dass Pflegefachkräfte nicht schlechter bezahlt werden als beispielsweise Krankenschwestern, die durchschnittlich 600 Euro mehr pro Monat verdienen. Der Tarif in kommunalen Einrichtungen bewegt sich zwischen 2600 Euro brutto beim Einstieg und 3044 Euro nach sechs Jahren Berufserfahrung. Das Problem bei den Pflegekräften ist jedoch, dass viele Einrichtungen kirchliche Träger haben, die keinen Tarifvereinbarungen unterliegen. Es sind zwar in den vergangenen Jahren rund 80000 Stellen bei ambulanten Pflegediensten und stationären Pflegeeinrichtungen geschaffen worden, in der Kranken- und Altenpflege sind aber 36000 Stellen unbesetzt. Die Pflegekosten in einem Heim spiegeln die Höhe der Personalkosten wider, die zwischen 70 und 80 Prozent ausmachen. 

Kritik hagelt es vor allem an dem Umfang der Erhöhung der Pflegekosten. Die Bezahlung des Personals nach Tarif wurde einfach auf die Heimbewohner umgelegt. Dabei gibt es zum Teil sehr große regionale Unterschiede. Grund für die  unterschiedliche Höhe des Eigenleistungsanteils ist, dass die Pflegesatz-Verhandlungen individuell zwischen Pflegekassen sowie Sozialleistungs- und Heimträgern verhandelt werden. So müssen Pflegebedürftige in Nordrhein-Westfalen, Berlin, im Saarland und Bayern besonders hohe Beiträge zahlen. 

Angehörige beklagen, dass der Eigenanteil zwar drastisch gestiegen sei, wie im Beispiel der 107-jährigen Seniorin Lisbeth Exner aus Sachsen von 1322 auf 1734 Euro, aber ansonsten „alles beim Alten“ sei. Von einer Verbesserung der Pflege sei nichts zu spüren. 

Eine weitere Kostenexplosion steht ins Haus, wenn die Babyboomer-Generation (Jahrgänge 1955 bis 1969) pflegebedürftig werden. Dann wird die Zahl derjenigen, die für einen Rentner aufkommen müssen, geringer sein und die öffentlichen Kassen – nicht zuletzt wegen der dann immer noch niedrigen Löhnen – nicht voller. Das Pflegerisiko gerät immer mehr zum Armutsrisiko. 

Beantragt ein Pflegebedürftiger, dessen Rente für den Eigenanteil nicht ausreicht, Sozialhilfe, prüft das Amt, ob der Antragsteller Sparvermögen oder Immobilien hat. Dabei gibt es sogenannte Schongrenzen, die regeln, was man behalten darf. 2600 Euro Ersparnisse bleiben unangetastet. Auch beim Einkommen gelten Grenzen, bis zu denen Angehörige nicht herangezogen werden. In Schleswig-Holstein sind beispielsweise Häuser geschützt, wenn sie nicht unverhältnismäßig groß für die Bewohner sind. Dann tritt das Sozialamt darlehensweise ein holt sich das Geld im Erbfall aber zurück. 

Verbraucherschützer, Gewerkschaften und die Politik streiten seit Langem darüber, wie die Pflege künftig finanziert werden kann. Dass etwas getan werden muss, bezweifelt niemand. Laut einer Forsa-Umfrage sind 89 Prozent der Deutschen dafür, zusätzliche Mittel für die Pflege aus Steuergeldern bereitzustellen. Zumal laut Berechnungen des Statistischen Bundesamts 2018 Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen einen Überschuss von 58 Milliarden Euro hatten, wird die Mehrbelastung pflegebedürftiger Senioren als ungerecht empfunden. 

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schließt Zuzahlungen nicht aus. Mitte Januar hatte er angekündigt, er wolle die Finanzierung der Pflege langfristig „ganz neu austarieren“. Die Gewerkschaft Verdi verlangt, die Pflegeversicherung in eine Art Vollkaskoversicherung umzugestalten, die dann alle anfallenden Pflegekosten übernimmt, so wie es bei der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt ist. Der seit Januar angehobene Pflegeversicherungsbeitrag von 3,05 Prozent vom Bruttolohn könnte zukünftig auf 4,25 Prozent steigen. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält ein gemischtes System, nämlich die Finanzierung aus Steuermitteln und steigender Beiträge für die Pflegeversicherung, für sinnvoll. Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks schlägt einen Bundeszuschuss von zunächst 1,5 Milliarden Euro vor, mit dem die höheren Pflegekosten aufgefangen werden, plus 2,3 Milliarden Euro von den Krankenkassen bei ambulanter Pflege und medizinischer Behandlungspflege in Heimen. Der Awo-Bundesverband hat eine Petition an den Deutschen Bundestag gestartet, um die Eigenanteile der Senioren in Pflegeheimen zu begrenzen. 

Am 15. März will der Bundesrat über den Hamburger Vorschlag beraten.