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01.03.19 / Offener Tabubruch / Türkinnen posten von sich alte Bilder mit und neue ohne Kopftuch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-19 vom 01. März 2019

Offener Tabubruch
Türkinnen posten von sich alte Bilder mit und neue ohne Kopftuch
Bodo Bost

Ein neuer Trend im Internet: #10YearChallenge. Internetnutzer posten von sich ein zehn Jahre altes und ein aktuelles Foto. Das hat auch eine Türkin gemacht. Auf dem einen Foto ist sie zu sehen, wie sie lacht und ein Kopftuch trägt. Letzteres ist eng um ihren Kopf gewickelt, man sieht kein einziges Haar, keinen Zentimeter Hals. Das andere Bild zeigt sie, wie sie ihr Kinn in die Höhe reckt und verschmitzt in die Kamera lächelt. Ihr braunes Haar fällt in Wellen auf ihre Schultern. Diese zwei an sich privaten Bilder werden in der Türkei zum Politikum, weil sie der Islamisierungspolitik Recep Tayyip Erdogans zuwiderlaufen. 

Wie ein Muslim vom Islam nicht abfallen darf, darf eine Frau, die einmal ein Kopftuch anhatte, dieses nicht mehr in der Öffentlichkeit ablegen, allein schon aus Prinzip. Niemand werde ja gezwungen, es anzulegen, so wird argumentiert. Aber wenn eine Frau es einmal angelegt habe, dann müsse sie es immer anbehalten. Zum Wesen des Islam gehöre es ja, dass er nur eine Richtung, zum Sieg und zu Allah, kenne. 

Angestoßen wurde die Kampagne auf den sozialen Medien von Büsra Cebeci. Die junge Journalistin hat viele Nachahmer gefunden, die ihre Entscheidung gegen das Kopftuch öffentlich gemacht haben. Es haben sich ganze Blogs gebildet, in denen Frauen von ihren Erfahrungen mit dem Ablegen des Kopftuchs berichten. 

Manche von säkularer Seite bezeichnen diese Bewegung als eine Befreiung, während andere von konservativer Seite sie als Verrat bezeichnen und den Frauen vorwerfen, sie hätten eine geheime Agenda. Erdogan sieht dahinter eine gezielte Manipulation durch Anhänger der von der türkischen Regierung als Terrororganisation bezeichneten Gülen-Bewegung oder Adnan Oktar, einem religiösen Kultführer.

Das Kopftuch, das Frauen nach islamischer Lesart anlegen sollen, um die Männer nicht zu reizen, sei nur ein Werkzeug, um Frauen zu kontrollieren, behaupten die Organisatoren der Kampagne. Frauen mit Kopftuch können zum Beispiel nicht öffentlich küssen, Alkohol trinken oder tanzen. Wenn Frauen es doch tun, machen sie sich angreifbar, denn fast jeder hat heute ein Mobiltelefon mit Kamera und kann Fotos online stellen. Konservatismus und Kontrolle bedingen sich gegenseitig. Mit Mobiltelefonen ist die Kontrolle noch allumfassender möglich. 

Viele Organisatoren der Kopftuchbewegung sind der Überzeugung, dass die Frauen, die ihre Fotos in den sozialen Medien teilen, nicht unbedingt politisch sind, viele tun es einfach aus Solidarität mit anderen Frauen, die ebenfalls ihr Kopftuch ablegen und diese Entscheidung öffentlich machen. Das Kopftuch ist in der Türkei ein symbolträchtiges Kleidungsstück wie wohl kein anderes. Seit der Republikgründung vor 100 Jahren steht es in der türkischen Politik zwischen den Fronten des politischen Islam auf der einen Seite und des kemalistischen Säkularismus auf der anderen.

Nach dem Militärputsch von 1980 wurde das Kopftuch an Universitäten und öffentlichen Einrichtungen verboten. Die Armee wollte islamischen Tendenzen in der Politik vorbeugen. Als die AKP unter Recep Tayyip Erdogan an die Macht kam, drehte er den Trend um. Zuerst hob er das Kopftuchverbot an den Universitäten auf, später im öffentlichen Dienst, in der Armee und zuletzt im Parlament. Mit dem Kopftuch möchte Erdogan den Islam retten.