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08.03.19 / Kurts, Wilhelms und Konrads Pendant / Der Partei- und Regierungschef Otto Grotewohl überführte die SPD in die SED

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-19 vom 08. März 2019

Kurts, Wilhelms und Konrads Pendant
Der Partei- und Regierungschef Otto Grotewohl überführte die SPD in die SED
Manuel Ruoff

Als Zentralausschussvorsitzender der SPD war er das ostzonale Pendant Kurt Schumachers; als einer der beiden Vorsitzenden der SED war er das sozialdemokratische Pendant Wilhelm Piecks und als erster Ministerpräsident der DDR war er das östliche Pendant Konrad Adenauers. Die Rede ist von Otto Grotewohl, dessen Geburtstag sich am 11. März zum 125. Mal jährt.

Für die Beantwortung der Frage, wie man sich gegenüber den Kommunisten verhalten sollte, gibt es in der deutschen Nachkriegssozialdemokratie wohl keine gegensätzlicheren Exponenten als Kurt Schumacher und Otto Grotewohl. Der eine leitete nach dem Zweiten Weltkrieg die SPD in den Westzonen, der andere die in der Ostzone. Beide Haltungen gegenüber den Kommunisten stimmten mit denen der entsprechenden Besatzer überein. Das wirft die grundsätzliche Frage auf, ob ihre Haltung aus Überzeugung oder Opportunismus resultierte. Was Grotewohl anbelangt, nannte ihn die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ anlässlich seines Todes einen Opportu-nisten und Weltverbesserer. 

Sicherlich war der damalige „Zeit“-Artikel vom Kalten Krieg geprägt, doch war Grotewohl in der Tat eher ein schwacher Charakter, den die Nachkriegszeit nach oben geschwemmt hatte und den Zuckerbrot wie Peitsche der sowjetischen Besatzer nicht unbeeinflusst ließen. Allerdings spricht die Tatsache, dass Grotewohl 1918 für vier Jahre von der SPD in deren linke Abspaltung USPD wechselte, aus der dann viele schließlich in der KPD landeten, dafür, dass Grotewohl eher dem linken Flügel der deutschen Sozialdemokratie zuzurechnen ist, dem eine echte Sympathie für die Kommunisten nicht wesensfremd ist.

Die KPD hatte die SPD in der Endphase der Weimarer Republik zwar als Sozialfaschisten attackiert, aber viele Nachkriegssozialdemokraten waren von den bürgerlichen Partnern in der Weimarer Zeit, für die sich die SPD in der Novemberrevolution entschieden hatte, enttäuscht. Die Bürgerlichen hatten 1933 mehrheitlich für das Ermächtigungsgetz gestimmt, sie hatten abgesehen von den in fast allen Parteien vertretenen Juden vergleichsweise wenige NS-Opfer zu beklagen gehabt und ihr Widerstand gegen die NS-Herrschaft hatte sich auch in Grenzen gehalten. Die viel beklagte Spaltung der Arbeiterbewegung wurde als ein tragisches Versagen empfunden, welche die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten erst möglich gemacht habe. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich die SPD für die Zusammenarbeit mit den rechts von ihr stehenden bürgerlichen Parteien entschieden. Nicht wenige in der SPD wollten nun, nach dem Zweiten Weltkrieg es lieber mit der links von ihr stehenden KPD wagen, die eher als Fleisch vom eigenen Fleisch empfunden wurde, was parteiengeschichtlich betrachtet auch nicht falsch war.

Ein Generationenunterschied war es nicht, der Grotewohl und Schumacher trennte. Beide waren fast ein Jahrgang. Nur ein gutes Jahr trennte die beiden. Während der SPD-Chef der Westzonen aus Ostdeutschland kam, aus Westpreußen, war sein Pendant in der Ostzone ein gebürtiger Westdeutscher. In Braunschweig stand seine Wiege. Im Gegensatz zum Kaufmannssohn Schumacher hatte Grotewohl eine eher proletarische Jugend. Der Sohn eines Schneidermeisters begann 1908 eine Ausbildung zum Buchdru-cker und trat der Sozialistischen Arbeiterjugend bei. 1912 beendete er die Ausbildung und wurde SPD-Mitglied. Es folgte eine Tätigkeit im erlernten Beruf.

Wie Schumacher war auch Grotewohl Soldat im Ersten Weltkrieg, kam jedoch mit vergleichsweise leichten Verwundungen davon. Nach dem Krieg vervollständigte Grotewohl seine Bildung, betätigte sich in der braunschweigischen Landespolitik als Landtagsabgeordneter, Landesminister und SPD-Vorsitzender. Für einen sozialdemokratischen Politiker in der Weimarer Zeit nicht untypisch, arbeitete er für Einrichtungen wie eine Ortskrankenkasse, den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund oder sozialdemokratische und gewerkschaftliche Zeitungsverlage. Bis zum Ende der Weimarer Zeit hatte er es in der Politik bis in den Reichstag und im Beruf bis zum Präsidenten der Braunschweiger Landesversicherungsanstalt geschafft. 

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten verlor Grotewohl Reichstagsmandat und Präsidentschaft. Er schlug sich als Selbstständiger im kaufmännischen Bereich durch und landete schließlich in Berlin. Protegiert wurde er in jener Zeit von seinem Partei- und persönlichen Freund Erich Gniffke. Grotewohl kam zweimal in Untersuchungshaft, wurde aber jedes Mal wieder entlassen. Als er nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 erneut verhaftet werden sollte, entzog er sich dem durch Untertauchen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen die Sowjets die Gründung von Parteien früher zu als die Westmächte. Im Juni konstituiert sich in Berlin der Zentralausschuss der SPD als Führungsorgan der Partei. Zu gleichberechtigten Vorsitzenden wurden Gniffke, Grotewohl und Max Fechner gewählt. Der ehrgeizige Grotewohl kristallisierte sich schließlich als Sprecher und Spitzenrepräsentant der Ost-SPD heraus. 

Im Aufruf des Zentralausschusses zum Neuaufbau der Partei vom 15. Juni 1945 wurde bereits die „organisatorische Einheit der deutschen Arbeiterklasse“ gefordert. Die KPD hoffte zu dem Zeitpunkt jedoch noch, mithilfe der sowjetischen Besatzungsmacht auch ohne die Sozialdemokraten zur stärksten Partei zumindest in der Ostzone werden zu können. Erste Nachkriegswahlen in Ungarn, Österreich und Westdeutschland wirkten jedoch diesbezüglich sehr desillusionierend. Daraus wurde die Konsequenz gezogen, nun die Einheit mit den Sozialdemokraten zu suchen. 

Die sowjetische Besatzungsmacht unterstützte die kommu-

nistischen Vereinigungsbemühungen mit Zuckerbrot und Peitsche. Dazu gehörten eine Einbestellung Grotewohls zur Sowjetischen Militäradministration nach Karlshorst ebenso wie „Pajoks“ genannte Geschenkpakete. Mit der Unterstützung Grotewohls ver­ei­nig­ten sich am 21./22. April 1946 seine SPD und die KPD in der Ostzone zur SED. 

Formal wurde sehr großer Wert auf Parität gelegt. Dazu gehörte, dass die bisherigen Parteichefs von SPD und KPD gleichberechtigte Vorsitzende der neuen SED und auch die nachgeordneten Posten paritätisch besetzt wurden. Parität signalisierte auch das Logo der neuen Partei, der Händedruck von Grotewohl und Pieck auf der Bühne des Ad­mi­rals­palastes während des Ver­ei­ni­gungs­parteitages.

Auf diese formale Parität wurde auch drei Jahre später bei der Gründung der DDR Wert gelegt. Pieck wurde Präsident, Grotewohl Ministerpräsident. Insofern hatte Grotewohl in der DDR erreicht, was Schumacher in der Bundesrepublik versagt blieb – Regierungschef des eigenen deutschen Teilstaats zu werden. 

Doch kann man in dem berühmten Zitat Walter Ulbrichts „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“ problemlos das Wort „demokratisch“ durch „paritätisch“ ersetzen. Die SED wurde systematisch in eine kommunistische Partei neuen Typus umgewandelt. Ex-Sozialdemokraten hatten die Wahl, entweder gute Miene zum bösen Spiel zu machen oder ihre Posten zu verlieren und schlimmstenfalls verfolgt zu werden. Grotewohl entschied sich wie viele Sozialdemokraten für die gute Miene. Dem Dreigestirn aus Pieck, Ulbricht und der Sowjetmacht erwies er sich zunehmend als nicht gewachsen. Widerständiges Verhalten ging über die Warnung gefährdeter Genossen kaum hinaus. 

Nachdem 1954 bereits das Amt des SED-Vorsitzenden ersatzlos gestrichen worden war, kam 1960 auch das Ende der beiden an der Spitze von Staat und Regierung. Im September starb Pieck, und zwei Monate später zog sich Grotewohl aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurück. Fortan wurde Grotewohl an der Spitze der Regierung von seinem späteren Nachfolger Willi Stoph vertreten, der wie der Staatsratsvorsitzende Ulbricht ein Ex-KPD-Mitglied war. Nachdem Otto Grotewohl zu seinem 70. Geburtstag noch der Leninorden und der Titel „Held der Arbeit“ verliehen worden war, starb er, gelähmt und des Sprechens nicht mehr fähig, am 21. September 1964 in Ost-Berlin an den Folgen eines Schlag-anfalls.