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08.03.19 / Frankreichs Attentate trafen auch Bundesbürger / Vor 60 Jahren fiel Georg Puchert in Frankfurt am Main einem Anschlag zum Opfer, der dem Service Action zugeordnet wird

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-19 vom 08. März 2019

Frankreichs Attentate trafen auch Bundesbürger
Vor 60 Jahren fiel Georg Puchert in Frankfurt am Main einem Anschlag zum Opfer, der dem Service Action zugeordnet wird
Dirk Pelster

Der Himmel über der Mainmetropole war bedeckt, als Georg Puchert am Morgen des 3. März 1959 um kurz nach 9 Uhr in der Guilollettstraße des Frankfurter Westendes in seinen Mercedes stieg. Wie gewohnt, startete er den Motor und fuhr los. Doch bereits nach wenigen Metern zerriss eine ohrenbetäubende Explosion den Boden des Fahrzeuges. Puchert erlag noch an Ort und Stelle den Folgen der Verletzungen, die die unter seinem Wagen platzierte Sprengladung verursachte. Sein gewaltsamer Tod war nicht das erste Attentat in einer schon seit mehreren Jahren anhaltenden Mordserie, die sich über Nordafrika und halb Europa erstreckte. Auch sollte er nicht das letzte Opfer bleiben. 

Keine 44 Jahre war Puchert alt geworden. Das Leben des am 15. April 1915 im damaligen Petrograd und heutigen Sankt Petersburg geborenen Deutsch-Balten hatte sich zunächst in ruhigen Bahnen bewegt. Mit der Annexion Lettlands durch die Sowjets siedelte die Familie in das Deutsche Reich über, und Puchert diente als Marineoffizier in der Wehrmacht. Nach dem Krieg zog es ihn in die internationalisierte Zone um die marokkanische Stadt Tanger, in der er zu einer wichtigen Figur im weltweiten Zigarettenschmuggel und bei anderen dubiosen Geschäften wurde. In diesem Zusammenhang kam er auch in Kontakt mit Gewährsleuten der jungen Unabhängigkeitsbewegungen in den nordafrikanischen Kolonien Frankreichs. Im Jahr 1954 hatte in Algerien der Bürgerkrieg begonnen. Dieser sollte mit fast 200000 Toten einer der blutigsten Konflikte im Prozess der Dekolonisierung werden. An der Spitze des Unabhängigkeitskampfes gegen Frankreich stand die bis heute in Algerien regierende Nationale Befreiungsfront (FLN, Front de Libération Nationale). Puchert wurde einer der wichtigsten Waffenlieferanten ihrer Guerillaarmee. 

Neben den Angriffen in Algerien selbst, weitete die FLN ihren Kampf schnell auf das französische Mutterland aus. Hierbei konnte sie sich auf die Solidarität Tausender nach dem Zweiten Weltkrieg nach Frankreich ausgewanderter Landsleute stützen. Die FLN verübte Anschläge auf Polizeistationen, Militäreinrichtungen und wirtschaftlich wichtige Einrichtungen im Herzen der Republik. Während der französische Staat in seiner Kolonie aufgrund des über Algerien verhängten Kriegsrechts in der Wahl seiner Mittel keinen besonderen Beschränkungen unterlag, stellte sich die Situation im Mutterland ganz anders dar. Hier konnte er nur mit den üblichen Mitteln des Rechtsstaates vorgehen, und der Kampf gegen die FLN blieb weitestgehend Sache der Polizei. Eine weitere Herausforderung, vor der die Kolonialmacht stand, war die große internationale Unterstützung, die den algerischen Freiheitskämpfern aus dem Ausland zuteilwurde. 

Die Franzosen entschieden sich daher dazu, die FLN maßgeblich mit geheimdienstlichen Mitteln zu bekämpfen. Eine eigene Abteilung des französischen Auslandsnachrichtendienstes Direction Géné-

rale de la Sécurité Extérieure (DGSE, Generaldirektion für äußere Sicherheit) sollte wichtige Anhänger und Unterstützer der Befreiungsfront töten und die Infrastruktur der Freiheitskämpfer zerstören. Ausgeführt wurden die Operationen von der dem Dienst unterstehenden geheimen Militäreinheit Service Action (SA), die in Deutschland heute nur noch durch die Versenkung des Greenpeace-Schiffes „Rainbow Warrior“ im Jahr 1985 bekannt ist. Damals wollten die Umweltaktivisten mit ihrem Schiff französische Atomtests auf dem Mururoa-Atoll im Pazifik verhindern. Ein Mensch kam bei dem Sprengstoffanschlag des Geheimdienstes ums Leben. 

Bei ihren Aktionen gegen die FLN sollten die Anschläge der SA nach außen hin so aussehen, als seien sie nicht durch den französischen Staat, sondern durch radikale französische Siedler aus den Kolonien begangen worden. Zu diesem Zweck operierte man unter dem Namen „Rote Hand“ („La Main Rouge“). Wann genau sie gegründet wurde, ist bis heute nicht geklärt. Einige Historiker gehen davon aus, dass die Rote Hand von der sozialistischen Regierung unter Ministerpräsident Guy Mollet 1956 ins Leben gerufen wurde. Doch es gibt auch Stimmen, die ihr bereits Morde auf Vertreter der tunesischen Unabhängigkeitsbewegung im Jahr 1952 zuschreiben. Bevor die Rote Hand zuschlug, erhielten ihre Opfer vorab in der Regel Warnungen, in denen sie zum Unterlassen einer weiteren Unterstützung der FLN aufgefordert wurden. Zeigte die Einschüchterung keine Wirkung, so versuchten die Franzosen die Betreffenden zu töten. Bei ihren Attentaten setzten sie sowohl Schusswaffen als auch Sprengstoff ein. Doch nicht nur Menschen wurden zum Ziel ihrer Anschläge. Die Rote Hand versenkte mehrere Schiffe, von denen sie annahm, dass mit ihnen Waffen transportiert wurden. Zwar lässt sich bis heute keine genaue Opferzahl nennen, es wird jedoch davon ausgegangen, dass einige Hundert Personen von den französischen Staatsterroristen ermordet wurden. Das Pikante daran ist, dass auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik getötet wurde. 

Im September 1956 explodierte in den Geschäftsräumen des Waffenhändlers Otto Schlüter in Hamburg eine Bombe. Ein zufällig anwesender Geschäftspartner von Schlüter wurde getötet und Schlüters Mutter schwer verletzt. Ein Jahr später detonierte eine Haftladung unter seinem Fahrzeug, bei der die Mutter diesmal umkam. Im Oktober 1958 explodierte eine Sprengladung auf dem Frachtschiff „Atlas“ im Hamburger Hafen. Es wurde niemand verletzt, doch das Schiff wurde schwer beschädigt. Einen Monat später wurde vor der tunesischen Botschaft in Bad Godesberg der Chef des deutschen FLN-Büros mit einer Maschinenpistole aus einem fahrenden Auto niedergeschossen. Der Mann erlag einige Monate später seinen Verletzungen. Im Januar 1959 wurde ein weiteres FLN-Mitglied auf dem Bahnhof von Saarbrücken ermordet. Im Oktober 1960 verlor der Waffenhändler und Spitzel des Bundesnachrichtendienstes Wilhelm Beisner bei einem Sprengstoffanschlag auf sein Fahrzeug in München-Schwabing ein Bein. 

Die bundesdeutschen Behörden wussten schon damals, dass es sich bei diesen Attentaten nicht um Fälle gewöhnlicher Kriminalität handelte. Doch in Bonn kniff man aus Angst vor dem französischen Nachbarn beide Augen zu. Auf Anweisung zog der Generalbundesanwalt die Zuständigkeit in den zahlreichen Strafverfahren an sich, damit kein übereifriger Staatsanwalt in der Provinz das deutsch-französische Verhältnis gefährden konnte. Pflichtgemäß wurden die Ermittlungen nach einigen Wochen eingestellt. Selbst als die französische Marine völkerrechtswidrig deutsche Handelsschiffe in internationalen Gewässern aufbrachte und nach Waffen durchsuchte, schwieg man am Rhein. In der Mitte der 90er Jahre wurde von einigen Staatsanwaltschaften in Deutschland erneut versucht, die Fälle juristisch aufzuarbeiten. Doch auch diese Ermittlungen ließ man im Sande verlaufen.