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08.03.19 / Spannende Rekonstruktion der Familiengeschichte des Fabrikanten Wertheim

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-19 vom 08. März 2019

Spannende Rekonstruktion der Familiengeschichte des Fabrikanten Wertheim
Dagmar Jestrzemski

Eine deutsch-jüdische Familiengeschichte, eine Unternehmenschronik und ein exorbitantes Vermögen, das in dunklen Kanälen verschwunden ist – das ist der Stoff des spannenden Buches von Carlos Guilliard mit dem Titel „Das verschollene Erbe der Wertheims“. Als Ghostwriterin hat sich die Journalistin Gundula Englisch verdient gemacht. Ihr Name steht allerdings nicht auf der Titelseite, sondern findet sich merkwürdigerweise an letzter Stelle der Danksagung. Als alleiniger Autor firmiert somit der 1970 geborene Münchener Carlos Guilliard, ein direkter Nachkomme und somit potenzieller Erbe der einst schwerreichen Unternehmerfamilie Wertheim in Frankfurt und Spanien. 

Das erfuhr Guilliard jedoch erst 2003 bei seinen Nachforschungen im Frankfurter Stadtarchiv. Bis dahin hatte er geglaubt, der in Barcelona lebende Nähmaschinenfabrikant Carlos Vallin (Karl Wert-heim, 1868–1945) sei sein Großonkel gewesen. Vallin hatte jedoch einen unehelichen Sohn, Guilliards Vater, der sein Alleinerbe wurde. Sicher war das eine aufregende Nachricht für den Autor, der seinen Vater nie kennengelernt hat. Umso mehr ergaben sich für ihn nach dieser Erkenntnis bedeutungsschwere Fragen. Er nahm Kontakt zu zwei hochbetagten Verwandten in New York und Melbourne auf. Von ihnen brachte er glücklicherweise noch authentische Nachrichten über den Frankfurter Nähmaschinenhersteller Josef Wertheim (1834–1899) und seine Gattin Rosalie (1841–1918) sowie über die Schicksale ihrer zehn Kinder und zahlreichen Enkel und Urenkel in Erfahrung. Mithilfe von Fotos und Dokumenten, darunter das 40-seitige Testament Josef Wert-heims, gelang es ihm, die Geschichte der Familie Wertheim teilweise bis ins Detail zu rekonstruieren. Untrennbar damit verbunden sind der Aufstieg und der Untergang ihres Unternehmens, das jeweils aus einer Nähmaschinenfabrik und einer Eisengießerei in Frankfurt und Barcelona bestand. Bis nach Australien expandierte der prosperierende Nähmaschinenvertrieb noch zu Lebzeiten des umsichtig wirtschaftenden und äußerst sozial eingestellten Firmengründers Josef Wertheim. 

Englisch schildert die Schwierigkeiten der Geschäftsinhaber in den bewegten Zeiten während der preußischen Besatzung Frankfurts, im Ersten Weltkrieg sowie im Spanischen Bürgerkrieg und der Franco-Diktatur. In den Krisenzeiten der 1920er und 30er Jahre deponierte Carlos Vallins Ehefrau Maria das Barvermögen der Vallins in großem Umfang auf Schweizer Konten, weiß der Autor. Zu den realen Vermögenswerten der Vallins und ihrer Verwandten in Deutschland zählten Kunstsammlungen und Immobilien. Schon im 19. Jahrhundert waren die Wertheims zum Protestantismus konvertiert, dennoch wurden die in Gießen, Frankfurt und München lebenden Familien Hesselbach, Wertheim und Ullmann von den Nationalsozialisten drangsaliert und beraubt. Guilliard nennt die Adressen ihrer Wohndomizile, die zwangsweise zum Spottpreis verkauft oder gestohlen wurden. Einigen ihrer Kinder gelang die Flucht ins Ausland. Josef Wertheims hochbetagter Sohn Paul, ein Veteran des Ersten Weltkriegs, nahm sich das Leben. Drei Kinder und Enkel des Firmengründers und ihre Ehepartner wurden 1941 in Konzentrationslager deportiert und ermordet. 

In den USA scheiterte 2017 eine Milliardenklage des Wertheim Jewish Education Trust, der eine schweizerische und eine deutsche Großbank wegen angeblicher Unterschlagung des Erbes der Frankfurter Wertheim-Familie verklagt hatte. 

Guilliards Buch endet mit vielen Fragen hinsichtlich des Verhaltens seines Vaters. Doch er gibt sich zuversichtlich, dass die Wahrheit über den Verbleib des spanischen Erbes, seines Erbes und des Erbes seiner beiden Geschwister, doch noch ans Licht kommen wird. Das ergäbe dann den Stoff für ein zweites Buch.

Carlos Guilliard: „Das verschollene Erbe der Wert-heims. Die Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie“, Bastei-Lübbe Verlag, Köln 2018, gebunden, 319 Seiten, 20 Euro