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15.03.19 / Ausreise ins soziale Elend / Sorge um Altersarmut unter jüdischen Kontingentflüchtlingen – Klage über Ungleichbehandlung gegenüber Spätaussiedlern aus Russland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-19 vom 15. März 2019

Ausreise ins soziale Elend
Sorge um Altersarmut unter jüdischen Kontingentflüchtlingen – Klage über Ungleichbehandlung gegenüber Spätaussiedlern aus Russland
Bodo Bost

Kontingentflüchtlinge jüdischen Glaubens sollen zukünftig Russlanddeutschen bei der Rente gleichgestellt werden. Schließlich seien auch die Vorfahren der russischen Juden im Mittelalter aus Deutschland ins Russische Reich ausgewandert, woran noch die mittelhochdeutsche jiddische Sprache der Ostjuden erinnert.

Ende der 1980er Jahre hatten die jüdischen Gemeinden in Deutschland gerade noch 30000 Mitglieder, religiöses jüdisches Leben stand in vielen Gemeinden kurz vor dem Erliegen. Heute gibt es wieder knapp 100000 Gemeindemitglieder, zu etwa 90 Prozent sowjetische Juden. 

Seit damals sind etwa 230000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion aufgrund einer Kontingentregelung nach Deutschland eingereist. Möglich gemacht hatte es die deutsche Vereinigung, denn die letzte demokratisch gewählte DDR-Volkskammer hatte, weil die DDR eine Entschädigung für Juden abgelehnt hatte, ein Gesetz zur Entschädigung russischer Juden verabschiedet, das dann später in das Wiedervereinigungsgesetz übernommen wurde. 

Die Einwanderung von jüdischen Kontingentflüchtlingen dauerte bis Ende 2004. Nachdem 2003 bis Anfang 2004 mehr Juden aus der ehemaligen UdSSR nach Deutschland als nach Israel ausgewandert waren, schlugen Israel und die Jewish Agency Alarm. Deutschland schloss daraufhin die jüdischen Kontingentflüchtlinge im Januar 2005 in das neue Zuwanderungsgesetz ein. 

Seit 2005 können Juden nur noch nach einer Art Punktesystem einwandern. Nachgewiesene Deutschkenntnisse, eine nachweisbare positive Integrationsprognose (Arbeitsplatz) und die Zusage, Mitglied in einer jüdischen Gemeinde werden zu können, gehören dazu. Nur noch knapp 100 jüdische Kontingentflüchtlinge kommen seitdem jährlich nach Deutschland, die Zahl der in den jüdischen Gemeinden registrierten Menschen sinkt seitdem, sie liegt inzwischen wieder unter 100000 Mitgliedern. 

Unter den jüdischen Zuwanderern bis 2005 war der Anteil älterer Menschen sehr hoch. Viele dieser Rentner gingen nicht nach Deutschland wegen einer besonderen Zuneigung zu dem Land, sondern weil es das einzige Land war, das ein solches Angebot für alle Juden gleich welchen Alters machte. 

Viele dieser Kontingentflüchtlinge waren in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion alleingelassen worden, weil ihre Kinder und Enkel bereits in die USA, Israel oder nach Kanada gegangen waren, wo sie bessere Angebote bekamen. 

Ältere Menschen haben die Vereinigten Staaten zum Beispiel jedoch nicht aufgenommen, deshalb blieb für sie nur der Weg nach Deutschland, wenn sie nicht den Weg ins soziale Ghetto in Russland antreten wollten. Der Weg in die Altersarmut und Alterseinsamkeit war jedoch auch in Deutschland programmiert, das hätten Demografen schon vor 20 Jahren vorausberechnen können. Neuerdings wächst der Druck auf die Bundesregierung dagegen zu handeln, auch im Koalitionsvertrag war ein Passus über diese Menschen eingebracht worden. 

Da es jedoch keine Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland, Russland und den meisten anderen postsowjetischen Staaten gibt, werden Rentenansprüche aus dem Herkunftsland der jüdischen Zuwanderer hierzulande nicht anerkannt. Dies bedeutet eine rentenrechtliche Schlechterstellung gegenüber der Gruppe der Spätaussiedler, deren Sozialversicherungsansprüche aus den Herkunftsstaaten bei der Rentenberechnung in Deutschland zu 60 Prozent berücksichtigt werden. Anders als die Russlanddeutschen, die oft in Generationen und großen Familienverbänden nach Deutschland einreisen und durch ihre Nachkommen für Rentengerechtigkeit in der Zukunft sorgen, reisten die jüdischen Kontingentflüchtlinge meistens ohne Kinder und oft im Rentenalter nach Deutschland ein. 

Kürzlich forderte der Bundesrat daher in einer Entschließung die Regierung auf, die Möglichkeit einer Gleichbehandlung der jüdischen Kontingentflüchtlinge mit Spätaussiedlern im Rentenrecht zu prüfen. In einer ersten Lesung hat der Bundestag dies jedoch noch verschoben. 

Aber der Druck von Verbänden und Lobbygruppen wird immer stärker, die beiden Gruppen rentenmäßig gleichzusetzen. Immer mehr wird eine Ungleichbehandlung von russlanddeutschen Spätaussiedlern und jüdischen Zuwanderern auch mit historischen Argumenten kritisiert. Nicht nur die Vorfahren der als deutschstämmig betrachteten Spätaussiedler, auch die der jüdischen Aussiedler aus der früheren Sowjetunion seien vor Jahrhunderten einst von deutschem Gebiet aus dorthin eingewandert. 

„Die im Mittelalter aus Aschkenas (Deutschland) ausgewanderten Juden waren allemal so deutsch wie die Vorfahren der sogenannten Russlanddeutschen“, sagt etwa der jüdische Soziologe Micha Brumlik. Die jiddische Sprache der Ostjuden hätte er als Beweis anfügen können. Wenn die Kontingentflüchtlinge sich jedoch noch als Deutsche gefühlt hätten, hätten auch sie Anträge nach dem Vertriebenengesetz stellen können, was jedoch nur ganz wenige getan hatten, denn dazu hätten sie einen Sprachtest wie die Russlanddeutschen seit 1992 ablegen müssen.