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15.03.19 / Provisorien als gemeinsame Geschichte / Das Lausitzmuseum im polnischen Görlitz komplettiert die Geschichte der Stadt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-19 vom 15. März 2019

Provisorien als gemeinsame Geschichte
Das Lausitzmuseum im polnischen Görlitz komplettiert die Geschichte der Stadt
Chris W. Wagner

Eine gemütliche Ecke mit einem Stuhl am runden Café-Tisch lädt zum Verweilen ein. Im Hintergrund ein projiziertes Schwarz-Weiß-Foto, dessen Mitte eine lächelnde Frau mit Kopftuch und Mantel und ein Mann im Anzug einnehmen. Die Beiden sind koloriert und wirken, als würden sie jeden Augenblick auf einen zugehen.

Daneben ein Radiogerät, aus dem Musik tönt. Auf dem Radio befindet sich ein Aschenbecher mit einer rauchenden Zigarre. Und obwohl die Zigarre nicht wirklich angezündet ist, sondern nur auf dem Bild dampft, so glaubt man sie dennoch riechen zu können. „Die Beiden im Bild sind das Ehepaar Lawrynowicz. Sie führten das erste Café in Ost-Görlitz (Zgorzelec) nach 1945. Alles, was wir in der Ausstellung zeigen, sind Originale aus den 40er und 50er Jahren“, versichert Piotr Arcimowicz, Museumsleiter und einer der drei Kuratoren der neuen Sonderausstellung „Im Neuland unter Fremden“ im Lausitz-Museum (Muzeum Luzyckie) im  polnischen Teil von Görlitz. Von Haus aus ist Arcimowicz Grafiker und Computerexperte und für die Gestaltung und die interaktiven Details der Ausstellung verantwortlich. Seine Kollegen, die Archäologin Malgorzata Zysnarska und der Historiker und Halbtagslehrer Piotr Zubrzycki, haben die Texte verfasst. „Die Menschen wollten das Kriegstrauma vergessen, sie wollten tanzen, ausgehen. Abgesehen von den 70er Jahren gab es nie wieder in Ost-Görlitz so viele Tanzlokale, Kneipen und Gasthäuser“, so Arcimowicz, der sich dem Thema Ost-Görlitz nach 1945 bereits zum zweiten Mal in seinem Museum annimmt. Ebenfalls als Sonderausstellung hat er zusammen mit den Kollegen 2011/12 die Vertreibung und Neubesiedlung in der Neißestadt behandelt. Damals waren Zeitzeugenberichte Schwerpunkt der Präsentation.

Da alle Ausstellungen im Lausitzmuseum polnisch-deutsch sind und der Großteil der Besucher deutsche Görlitz-Touristen, ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. „Was mir besonders stark in Erinnerung blieb war eine Dame aus Deutschland, die in Görlitz lebte und von hier vertrieben wurde. Sie warf mir vor, dass wir diesen Verlust und die Vertreibung an sich nicht verstehen könnten. Ich erwiderte, dass meine Großeltern sechs Kriegsjahre erlebt haben; in diesen Jahren standen sie zunächst unter einer Okkupation und dann unter der nächsten. Die Deutschen erlebten dagegen das Grauen des Krieges meist erst ab 1945, als die Front diesen Landstrich erreichte“, so der Museumsleiter. Doch Kritik kam auch seitens der Polen, die den Ausstellungskuratoren vorwarfen, sie hätten das Martyrium der polnischen Nation nicht ausreichend behandelt.

Für den Mittvierziger und seine Kollegen ist klar, dass, obwohl sie sich ein detailliertes Wissen zu dieser Zeit angeeignet haben, sie nicht in der Lage wären, die Emotionen von damals wiederzugeben. Deshalb hätten sie sich in ihrer neuen Ausstellung entschieden, die Ereignisse stärker in den historischen Kontext zu stellen. „Die neue  Präsentation ist allgemeiner gefasst und hat drei Ebenen. In der ersten bekommt der Betrachter Informationen zu Niederschlesien und nähert sich schrittweise der lokalen Geschichte an“, so Arcimowicz, der jedoch gleich einräumt, dass die deutsche Geschichte der Region und die Vertreibung hier nur angeschnitten wird. „Für uns beginnt die Geschichte hier zwar nicht erst 1945, aber die deutsche Geschichte wird bereits vom Kulturhistorischen Museum Görlitz und vom Schlesischen Museum Görlitz behandelt. Wir wollen hier nicht in Konkurrenz zu den Kollegen auf der anderen Neißeseite treten. Wir zeigen unsere Geschichte“. 

Piotr Arcimowicz findet in den Nachkriegsjahren ein verbindendes Moment für beide Völker – das Gefühl des Provisoriums: „Die deutschen Vertriebenen  schauten gen Osten und hatten die Hoffnung, dass sie wiederkehren könnten. Dieses Gefühl, alles ist nur vorübergehend, hatten auch die Menschen, die aus den polnischen Ostgebieten hierher kamen. Viele der Befragten haben berichtet, sie hätten sich bewusst in der Nähe von Bahnhöfen niedergelassen, damit sie im Falle eines Falles schnell wieder wegkämen“.

Der polnische Görlitzer in dritter Generation sieht sich als gutes Beispiel eines typischen Bewohners seiner Stadthälfte: Sein Großvater väterlicherseits stammt aus Ostpolen, die Großmutter aus der Nähe von Warschau. Mütterlicherseits war der Opa ein Gorale aus Krynica und die Oma kam aus Kielce. Sein Großonkel heiratete eine verbliebene Deutsche. Alle „Parteien“ brachten ihre Traditionen und Mentalitäten mit. Trotz kultureller Unterschiede verband die Pioniere die Notwendigkeit, den allgemein herrschenden Mangel an allem zu managen und sich des Fremden und Verhassten, des Deutschen in der neuen Heimat, zu entledigen. Als Symbol dafür stehen in der Ausstellung Karten mit durchgestrichenen deutschen Ortsnamen und eine Truhe mit deutschen Inschriften, die zum Teil mit weißer Farbe übermalt wurde.