29.03.2024

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15.03.19 / Eine aufregende Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-19 vom 15. März 2019

Eine aufregende Geschichte
Wolfgang Kaufmann

Die sogenannte Himmelsscheibe von Nebra soll zwischen 3700 und 4100 Jahre alt und die älteste existierende konkrete Darstellung des Sternenhimmels sein. Angeblich wurde sie 1999 von zwei Raubgräbern auf dem Mittelberg im Ziegelrodaer Forst gefunden und danach an Hehler weiterverkauft, die dann 2002 dank des Spürsinns von Harald Meller, dem gerade neu ernannten Landesarchäologen von Sachsen-Anhalt, aufflogen. Meller erlangte dadurch eine enorme Popularität und gilt inzwischen quasi als „Gralshüter“ des Artefaktes. In dieser Eigenschaft legt er nun gemeinsam mit dem Historiker und Wissenschaftsjournalisten Kai Michel das Buch „Die Himmelsscheibe von Nebra“ vor.

Darin schildert das Autorenduo zunächst die offizielle Version der Entdeckungsgeschichte des charakteristischen Bronzeobjektes mit seinen Goldauflagen, die vermutlich Sonne, Mond und Sterne symbolisieren, sowie die hieran vorgenommenen wissenschaftlichen Untersuchungen. Anschließend versuchen Meller und Michel dann auf höchst ambitionierte Weise, die untergegangene bronzezeitliche Kultur im hypothetischen „Reich von Nebra“ im Dreieck zwischen Magdeburg, Leipzig und Erfurt, aus dem die Scheibe stammen soll, zu rekonstruieren und zu beschreiben. Dieses Unterfangen bleibt allerdings reichlich spekulativ, weil ja keinerlei Schriftzeugnisse aus der angeblichen Entstehungs- und Nutzungszeit der Himmelsscheibe existieren. Ebenso vermag die Darstellung nicht, die Zweifel an der Echtheit des Objektes sowie an seiner korrekten räumlichen und zeitlichen Zuordnung auszuräumen. So fehlen eindeutige Beweise dafür, dass das Artefakt tatsächlich gemeinsam mit den Beifunden (zwei Bronzeschwerter, zwei Beile, ein Meißel und Teile von Armreifen) aus der Erde am Mittelberg geholt wurde. Manche Angaben der Raubgräber zu den genauen Fundumständen klingen nämlich recht unglaubwürdig, weshalb sogar der Verdacht laut wurde, der ganze Hort stamme in Wirklichkeit aus Ungarn – und tatsächlich ähneln die Schwerter auch sehr dem dort während der Bronzezeit verwendeten Waffentyp. 

Für Meller und Michel sind diese Bedenken gegenstandslos, was kaum verwundern kann, wenn man bedenkt, wie sehr Sachsen-Anhalt sowie auch Mellers Karriere vom Rummel um die Himmelsscheibe, deren Versicherungswert bei 100 Millionen Euro liegt, profitiert haben. Beispielsweise kann das Land Lizenzgebühren für die Vermarktung der Scheibe durch Dritte verlangen, und Mellers Team erhielt beträchtliche Fördergelder von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Harald Meller/Kai Michel: „Die Himmelsscheibe von Nebra. Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas“, Propyläen Verlag, Berlin 2018, gebunden, 384 Seiten, 25 Euro