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22.03.19 / Dänen erinnern an Flüchtlingslager / Veranstaltung in der dänischen Botschaft in Berlin über das Projekt »Dänemarks Flüchtlingsmuseum«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-19 vom 22. März 2019

Dänen erinnern an Flüchtlingslager
Veranstaltung in der dänischen Botschaft in Berlin über das Projekt »Dänemarks Flüchtlingsmuseum«
Dirk Klose/PAZ

Eine unerwartet hohe Zahl von über 150 Teilnehmern fand sich am 28. Februar in der Königlich Dänischen Botschaft in Berlin im „Felle Huus“ ein. Der Botschaftenkomplex im Bezirk Tiergarten beheimatet seit 1999 alle fünf nordischen Botschaften.

Grund dafür war das Erinnern daran, dass vor 70 Jahren die letzten deutschen Kriegsflüchtlinge das Lager Oksböll in Dänemark verließen. Eingeladen hatte die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV) zusammen mit der Botschaft zu einem Vortrag und Zeitzeugengespräch über ein belastendes Kapitel der unmittelbaren Nachkriegszeit, das es auch galt emotional zu erschließen. Primär ging es um deutsche Flüchtlinge, überwiegend aus Ost- und Westpreußen, auch aus Pommern und Meck­lenburg, die ihr Leben haben retten können. Andererseits wurde auch die dänische Bevölkerung angesprochen, welche die bis Mai 1945 währende deutsche Besetzung erlebt hat und nach Abzug der Wehrmacht sich um die Flüchtlinge zu kümmern hatte. 

Nach der Begrüßung durch den Leiter der politischen Abteilung der Botschaft, in Vertretung für den Botschafter, wurde das bereits weit fortgeschritte Projekt „Dänemarks Flüchtlingsmuseum“, mit dem an die deutschen Flüchtlinge erinnert werden soll, vorgestellt. Gleichfalls wurde der zeitgeschichtliche Kontext der Flüchtlinge, die überwiegend vor der Roten Armee geflohen sind, dargestellt. Sie lebten teilweise bis zum Jahr 1949 in speziellen Lagern in Dänemark. 

Dänische Wissenschaftler und Museumsfachleute berichteten über die Zeit 1945 bis 1949 sowie über die Intention und räumliche Unterbringung des künftigen Flüchtlingsmuseums, das als ungewöhnliches Vorhaben in ganz Europa seinesgleichen sucht.

Bis Kriegsende waren etwa 250000 Flüchtlinge meist über die Ostsee nach Dänemark gekommen. Das Land stand bis zur deutschen Kapitulation unter deutscher Besatzung, deren Dienststellen bis dato für die Versorgung der Flüchtlingsströme zuständig waren. Fast über Nacht mussten dann dänische Behörden die Verantwortung übernehmen, was, wie dieser Abend mit Historiker- und Zeitzeugenberichten zeigte, alles in allem gut gelang. 

Mit 35000 Personen gab es im Jahr 1945 im westjütländischen Oxböll das größte Flüchtlingslager in Dänemark. Bis Februar 1949 waren dort insgesamt 100000 deutsche Flüchtlinge. Oxböll gehört zu der Gemeinde Varde. Von dort war der Direktor aller lokalen Museen, Claus Kjeld Jensen, nach Berlin gekommen. Nach seinen Worten ist das Thema „Flüchtlinge“ heute in Dänemark nahezu vergessen. Immer wieder treffe er auf Erstaunen, wenn er selbst unmittelbar in der Region von der großen Zahl der Flüchtlinge berichte. Es sei aber auch für Dänemark wichtig, hierüber informiert zu sein.

Der an dem Projekt beteiligte Kurator der kommunalen Museen Varde, John V. Jensen, berichtete anschaulich über die damalige Situation des Lagers Oxböll und über das Leben der Menschen. Es war, wie er sagte, „eine Geschichte mit vielen Phänomenen“. Verständlicherweise waren bei vielen Dänen die Flüchtlinge nicht gern gesehen. Dänische Widerstandsgruppen forderten unverblümt deren sofortige Abschiebung nach Deutschland. Dem widersetzten sich vor allem die Briten als Besatzungsmacht in Norddeutschland, und so musste das gerade befreite Dänemark die Verantwortung für die Deutschen übernehmen. 

Ein Stamm von gerade einmal 27 Personen – Zivilisten und Militärs, Männer und Frauen – bildete die Verwaltung. Ansonsten gab es eine deutsche Selbstverwaltung. In Kürze waren zahlreiche feste Baracken hochgezogen, die auch strengen Wintern trotzten. Für Kinder wurde ein deutscher Schulunterricht eingerichtet, Lehrmaterialien kamen aus Deutschland oder der Schweiz oder waren Übersetzungen aus dem Dänischen. Den Kindern wurden auch relativ bald Ausflüge ans Meer erlaubt. Ansonsten war das Lager bewacht. Einen Schießbefehl gab es aber nicht.

Wie Jensen weiter berichtete, gab es, nachdem sich das Leben halbwegs eingespielt hatte, für jeden Deutschen eine Nahrungsration von 2270 Kalorien pro Tag. Er verwies auf Tagesrationen im damaligen Deutschland von teilweise nur 600 bis 1000 Kalorien, wo Hunger an der Tagesordnung war. Jensen: „Im Lager Oxböll hat niemand gehungert.“ Angesprochen wurde auch die gerade in den ersten Monaten nach Kriegs­ende hohe Sterblichkeitsrate, was meist auf die Entbehrungen der Flucht zurückgeführt wird. In vielen Teilen Dänemarks zeugen nahe den damaligen Lagern bis heute Friedhöfe von den Flüchtlingen und sind in vielfacher Hinsicht Mahnung zugleich. 

Jensens Angaben bestätigte im Gespräch mit dem Historiker, Publizisten und Mitarbeiter der SFVV Andreas Kossert der heute 80-jährige Zeitzeuge Jörg Baden, der damals als kleiner Junge zusammen mit seiner aus Rostock im letzten Moment geflüchteten Familie zweieinhalb Jahre im Lager gelebt hatte: „Ja, es war ein hartes Leben, aber es stimmt, gehungert haben wir nicht.“ Baden weiter: „Das Leben ging weiter, ich bin Dänemark sehr dankbar.“ Zwei seiner vier Kinder sind in Dänemark verheiratet.

„Dänemarks Flüchtlingsmuseum“, so der momentane Arbeitstitel, soll in Zusammenarbeit mit der SFVV entstehen. Die Direktorin der Stiftung, Gundula Bavendamm, begrüßte sowohl das Projekt als auch die angestrebte Zusammenarbeit. Dieses Beispiel zeige, wie an Flucht und Vertreibung im Geiste der Versöhnung erinnert werden könne. Wenn alles wie jetzt projektiert verläuft, soll das Museum im Jahr 2021 eröffnet werden.