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22.03.19 / »Weimar« als demagogische Waffe / Vergleiche der Gegenwart mit der Zeit von 1918 bis 1933 sind groß in Mode – Dahinter steckt oft politisches Kalkül

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-19 vom 22. März 2019

»Weimar« als demagogische Waffe
Vergleiche der Gegenwart mit der Zeit von 1918 bis 1933 sind groß in Mode – Dahinter steckt oft politisches Kalkül
Wolfgang Kaufmann

Neuerdings hört man immer öfter aus dem Munde von Politikern, Journalisten und Wissenschaftlern, dass uns hierzulande „Weimarer Verhältnisse“ drohten oder solche gar schon herrschten. Doch gibt es tatsächlich Parallelen zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik des Jahres 2019?

Einer der Kassandra-Rufer ist der Politologe Albrecht von Lucke, seines Zeichens Redakteur der Monatszeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“: Durch den Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) in den Bundestag sei das Parlament „hochgradig geschwächt“ worden, weil sich die Demokraten dort nun in der Defensive befänden. Deshalb werde es immer schwerer, tragfähige Regierungsmehrheiten zusammenzubekommen. Das erlaube nur einen Schluss: „Wir haben annähernd Weimarer Verhältnisse.“

Tatsächlich bestehen einige Gemeinsamkeiten zwischen der Weimarer Republik, die von 1918 bis 1933 existierte, sowie der fast 70 Jahre alten Bundesrepublik – wenngleich auch nicht als Folge des Siegeszuges der AfD. Heute herrscht vielfach der gleiche politisch-moralische Rigorismus wie damals: Die Legitimität anderer Meinungen und Haltungen wird infrage gestellt oder gar völlig geleugnet. Über weite Strecken obsiegen das Schwarz-Weiß-Denken und die Einsortierung der Dis­kurspartner in Freund-Feind-Kategorien. Das hat nicht zuletzt etwas mit dem Fehlen allgemein akzeptierter nationaler Integrationsfiguren zu tun. 

Gleichermaßen typisch ist für beide deutsche Republiken das Zusammenbrechen des konservativ-liberalen Pfeilers im Parteiensystem bei gleichzeitiger Verbreiterung der Ränder des politischen Spektrums. Und dann wäre da noch die ausgeprägte Statusunsicherheit in weiten Teilen der Bevölkerung: Auch in den angeblich so „Goldenen Zwanzigern“ warfen Technisierung und Globalisierung bereits dunkle Schatten auf die traditionelle Arbeitswelt. Beispielsweise machten die chinesischen Werften schon damals den deutschen Schiffbau-Unternehmen Konkurrenz. Andererseits gibt es aber auch ganz gravierende Unterschiede zwischen „Weimar“ und heute.

Zum Ersten sah die Verfassung der Weimarer Republik komplett anders aus als unser Grundgesetz von 1949. Dieses ist der totale Gegenentwurf zum seinerzeit äußerst ausgeprägten präsidialen System, und plebiszitäre Elemente kann man gegenwärtig ebenfalls mit der Lupe suchen.

Zum Zweiten haben wir inzwischen eine über viele Jahrzehnte gefestigte republikanische Tradition, was sogar für die 1990 beigetretenen neuen Bundesländer zutrifft, die mittlerweile fast doppelt so lange zur Bundesrepublik gehören als die Weimarer Republik insgesamt existierte. Deshalb sind die Eliten heute auch nicht ansatzweise derart republikfeindlich wie damals kurz nach dem Sturz der Monarchie. Das gilt in gleichem Maße für Beamte, Juristen, Militärs und Angehörige der Sicherheitsorgane. Dazu kommt der derzeit vorherrschende Linksdrall in der akademischen Welt, den es in „Weimar“ so ebenfalls in keiner Weise gab, weil er eine Nachwirkung der Entwick­lung seit 1968 darstellt.

Zum Dritten leben wir nun generell in einem Links-Staat, was sich auch an den Medien zeigt, in denen Meinungspluralismus – im Gegensatz zur Weimarer Republik – zur Mangelware geworden ist. Ja, mehr noch: 2019 paktieren der Staat und die Regierungsparteien ziemlich offen mit linksextremen Kräften, obwohl diese die Axt an die Wurzeln der freiheitlich-demokratischen Grundordnung legen wollen. Vergleichbares wäre in der Weimarer Republik völlig undenkbar gewesen.

Zum Vierten ist die AfD keine „rechte“ oder gar „rechtsextreme“ Partei, die irgendwelche Parallelen zur NSDAP aufweist. Die angeblich „radikalen“ Positionen der AfD wurden vor noch gar nicht allzu langer Zeit von Christ- und Sozialdemokraten geteilt, welche ihrerseits nun aber weit nach links gedriftet sind. Deshalb strebt die AfD im Gegensatz zur NSDAP auch keine grundlegende Systemänderung an, sondern die Bewahrung und Optimierung des Systems.

Zum Fünften fehlen heutzutage die paramilitärischen Formationen vom Schlage der SA und des Roten Frontkämpferbundes, wenngleich die Antifa gewisse Ähnlichkeiten mit der Bürgerkriegstruppe der Kommunisten in der Weimarer Zeit aufweist, während es ein rechtes Pendant zu den organisierten linken Straßenschlägern von 2019 nicht gibt. Deshalb geht die flächendeckende Gewalt in der politischen Auseinandersetzung jetzt nur von einer Seite aus.

Zum Sechsten gibt es überhaupt keine Parallelen zum Antisemitismus in der Weimarer Epoche: Der war damals definitiv deutscher Provenienz. Inzwischen handelt es sich jedoch um ein importiertes Phänomen, dessen Träger in aller Regel Muslime sind, welche als „Schutzsuchende“ in die Bundesrepublik kamen oder abgeschotteten Subkulturen entstammen, die man in der Weimarer Zeit so auch nicht kannte.

Zum Siebten sieht die materielle Situation der meisten Deutschen derzeit wesentlich besser aus als zwischen 1918 und 1933, weil sie eben – noch – keine Hyperinflation erleben mussten. 

Und wenn doch so mancher der stetig wachsenden Unterschicht angehört und in teilweise sehr prekären Verhältnissen lebt, dann sorgt ein aufgeblähter Sozialstaat mit seiner Verteilungspolitik dafür, dass niemand wirklich ums nackte Überleben kämpfen muss. Ebenso ist die für „Weimar“ höchst typische Massenarbeitslosigkeit kaum ein Thema in der Bundesrepublik der Gegenwart, in der man stattdessen immer stärker gegen den Fachkräftemangel anzukämpfen versucht.

Zum Achten hat sich die internationale Stellung Deutschlands völlig verändert: War die Weimarer Republik nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg eher ein Paria auf unserem Kontinent, so nimmt die Bundesrepublik heute die Rolle des Musterknaben innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft ein, wo man den permanent erhobenen moralischen Zeigefinger Berlins freilich zunehmend als lästig empfindet. Zugleich war „Weimar“ in kein solch riesiges zentralisiertes übernationales Gebilde eingebunden wie das heutige Deutschland.

Zum Neunten gehörte die Weimarer Republik definitiv auch nicht zu den Einwanderungsländern dieser Welt, während für die Bundesrepublik das ganze Gegenteil gilt. Deshalb musste sich die „Weimarer“ Gesellschaft nur selten mit den Schattenseiten der Immigration herumschlagen, die das Leben in unserer Gegenwart mittlerweile so nachhaltig prägen.

Und zum Zehnten gab es bis 1933 keine geheimdienstliche Unterwanderung der deutschen Gesellschaft: Die Weimarer Republik verfügte weder über Verfassungsschutzämter noch andere Institutionen zur Überwachung der Bevölkerung und der politischen Szenerie, sondern lediglich über einen lächerlich kleinen militärischen Geheimdienst.  

Angesichts all dessen verbietet es sich strikt, von „Weimarer Verhältnissen“ zu sprechen, wenn es um die heutige Bundesrepublik geht. Das wollen mittlerweile auch einige Politikwissenschaftler wie Steffen Kailitz vom Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung erkannt haben, wobei sie zugleich die besorgte Frage aufwerfen: „Was passiert eigentlich, wenn es einen ähnlichen Zusammenbruch der Wirtschaft gibt wie bei der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre?“ 

Das kann man durchaus als listig-versteckten Wink mit dem Zaunpfahl interpretieren, dass Parteien wie die AfD bis dahin unbedingt neutralisiert sein        müssten, um eine zweite „Machtergreifung“ zu verhindern. So wird dann also doch wieder indirekt auf „Weimar“ Bezug genommen, um unterschwellige Ängste zu erzeugen und Stimmung gegen „Rechts“ zu machen.