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22.03.19 / 10000 Schritte sollst du gehen / Willkommen in der Überwachungs-Diktatur – Wer heutzutage Sport treibt, lässt sich von Fitnessarmbändern kontrollieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-19 vom 22. März 2019

10000 Schritte sollst du gehen
Willkommen in der Überwachungs-Diktatur – Wer heutzutage Sport treibt, lässt sich von Fitnessarmbändern kontrollieren
Stephanie Sieckmann

Während die Staatsform in Deutschland weiterhin demokratisch zu sein verspricht, unterwerfen sich immer mehr Menschen freiwillig der Überwachungs-Diktatur eines kleinen, unscheinbaren Gerätes, das in Form eines Armbands daherkommt. Die so­genannten Fitness-Tracker oder Fitnessarmbänder messen rund um die Uhr Puls und Blutdruck, zählen Schritte und Strecken, die zurückgelegt werden, und überwachen sogar den Schlaf. 

Das klingt zunächst einmal positiv. Immerhin vermitteln die Geräte einen stetigen Überblick über wichtige Körper-Daten. Das Bewusstsein für die eigene physische Leistung wird geschärft. Die Anzeige der gemessenen Daten wird bei den Fitnessarmbändern kombiniert mit einem Motivations-Marathon, der darauf ab­zielt, den physischen Zustand des Trägers zu verbessern. Da die ge­messene Leistung in den meisten Fällen überraschend gering ausfällt, zeigt der Motivations-Anteil der Geräte Wirkung. Er erzeugt einen Ansporn zu sportlicher Selbstdisziplin.

Mit ihrer permanenten Kontrolle sorgen die Armbänder, die es in jeder noch so abwegigen modischen Farbe zu Preisen von 20 Euro (mit nur wenigen Funktionen) bis zu rund 500 Euro zu kaufen gibt, dafür, dass der Träger jede Minute des Tages gut informiert ist über seinen physischen Zustand. Damit verbunden ist aber auch das Wissen, was der Fitness noch fehlt. Hier setzt das Belohnungssystem des Mini-Computers an. Sie haben die 10000 Schritte geschafft, die pro Tag empfohlen werden? Dann wird ein kleines Feuerwerk auf der Anzeige sichtbar. Sie haben erst 9156 Schritte zurückgelegt? Die restlichen Schritte schaffen Sie doch spielend – sonst gehen Sie heute leer aus. Frei nach dem Motto: Heute haben wir leider kein Feuerwerk für Sie, Sie waren schließlich nicht in der Lage, 10000 Schritte zu absolvieren. 

Erstaunlich ist, wie viele Menschen sich von dieser Art des Motivations-Terrors dazu bewe­gen lassen, ein paar Schritte mehr zu machen oder beim Essen darauf zu achten, was sie zu sich nehmen. 

Der für die Fitness-Überwachung zuständige Computer am Arm, der mittels Beschleunigungssensoren die Bewegung misst, ermittelt nämlich auch den Verbrauch der Kalorien und zeigt ihn schamlos an. Um zum optimalen Wert der Nahrungsaufnahme- und Verbrauchs-Balance zu kommen, helfen oft schon kleine Einschränkungen. 

Wenn beim Kaffeekränzchen mit der Freundin der Bestellung ein hektischer Blick auf das Handgelenk vorausgeht und mit säuerlicher Miene angesichts der roten Balken, die angezeigt werden, statt Café Latte mit Sahnetorte ein Wasser mit einem fettreduzierten Joghurt-Törtchen bestellt werden, ist es soweit. Ihre Freundin ist dem erbarmungslosen Würgegriff der Fitness-Diktatur erlegen. Trösten Sie Ihre Freundin damit, dass der moderne Mensch eben auf sich und seine Gesundheit achtet und Verantwortung übernimmt. Gut, wenn man bei dieser anspruchsvollen Aufgabe Unterstützung hat. Oder nicht? Zum Beispiel in Form eines pinken oder türkisen Armbandes. Wer braucht da noch die Selbstbestimmung? 

Einige Krankenkassen hatten bereits angedacht, die Fitness­armbänder für ein Belohnungssystem einzusetzen. Der Nachweis, täglich 10000 Schritte zu gehen, oder 30 Minuten bei einem Herzschlag von 120 zu joggen, könnte dafür eingesetzt werden, Punkte innerhalb eines Bonussystems gutgeschrieben zu bekommen. Das war der Gedanke. 

Das Bun­desversicherungsamt (BVA), die Aufsichtsbehörde für die gesetzlichen Krankenkassen, hatte Einwände gegen die Maßnahme. Datenmissbrauch sei nicht ausgeschlossen, lautete das Argument. Außerdem sei nicht wissenschaftlich erwiesen, dass das Tragen von Fitness-Armbändern tatsächlich zu einer gesünderen Lebensführung beitrage. Der Ansatz wurde jedoch wieder verworfen. Inzwischen haben die ersten Träger von Fitness-Armbädern herausgefunden, dass Händewaschen und Kreisbewegungen mit den Armen ebenfalls in der Kategorie geleistete Schritte gewertet werden.

Die Produzenten der am Handgelenk getragenen Fitness-Computer entwickeln unterdessen immer neue Überwachungs-Methoden auf Basis von aufwendigen Algorithmen und ergänzen ihre Produkte mit Apps und Modulen, von denen viele mit dem Smartphone gekoppelt werden. Erfolge können dann sogar umgehend der Fangemeinde bei Facebook mitgeteilt werden. Wir fügen uns offenbar nicht nur gern der Dauerüberwachung, sondern machen uns selbst gläsern.

Virtuelle Medaillen für persönliche Bestleistungen im Treppensteigen oder eine Rekord-Schrittzahl schaffen weitere Anreize. Dieser Anteil der Motivation wird Gamification genannt. Die Mühe des Menschen soll belohnt werden. Der Spaßfaktor beim Training soll erhöht werden, die Freude nach der Leistung unmittelbar greifbar sein.

Das Element Multi-Sport-Tracking unterscheidet das Laufen, Radfahren, Gewichtheben und andere Übungen. Der Bewegungsalarm macht Meldung, wenn ein Sportmuffel zu lange an einem Stück gesessen hat und dringend wieder in den Bewegungsmodus versetzt werden muss. 

Als Belohnung für fleißiges Beachten der neu aufgezwungenen Fitnessregeln zeigt der Quälgeist am Arm aber auch das Fitness-Alter, die Stress- und Erholungsphasen. Fleißiges Üben kann dazu führen, dass der Computer einem in einem Jahr bescheinigt, dass man gefühlt drei Jahre jünger ist. Oder auch nicht. 

Die Fitness von Herz und Kreislauf kann mit der speziellen Cardio-Fitness-App überwacht werden. Automatische Schlafaufzeichnungen zeigen an, wie lange man in welcher Schlafphase un­terwegs war und wie erholt man geschlafen hat. Aber keine Sorge, die Träume werden noch nicht gefilmt. Daran arbeitet mit Sicherheit aber auch schon ein findiger Unternehmer. Schließlich kann ein Albtraum, bei dem man um sein Leben rennt zu einer Beschleunigung des Herzschlags mit erhöhtem Kalorienverbrauch führen.